Traditionell gelten Branchen wie Konsumgüter und Gesundheit aufgrund einer stabilen Nachfrage als defensiv. Investoren, die ihr Portfolio defensiv ausrichten und breiter diversifizieren wollen, können jedoch auch in anderen Sektoren fündig werden. Besonders der Technologiesektor wird diesbezüglich unterschätzt. Zwar zeichnen sich die bekanntesten Player der Branche durch eine hohe Volatilität aus, doch abseits der FAANG-Aktien gibt es viele hochwertige, profitable Technologieunternehmen, die hinter den Kulissen agieren und als sogenannte „Enabler“ die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft überhaupt erst ermöglichen. Das sind zum Beispiel Hersteller von Computerhardware, Zahlungsdienstleister, Cloud-Computing-Anbieter und Chiphersteller, die das Rückgrat der informationsbasierten Wirtschaft bilden. Diese Unternehmen stehen weniger im Rampenlicht, verfügen aber über tragfähige Geschäftsmodelle und regelmäßige, solide Ertragsströme. Ein Beispiel dafür ist Broadcom, ein weltweit führender Anbieter von Infrastrukturtechnologie, der eine Reihe von Halbleiter- und Softwarelösungen anbietet. Angesichts der wachsenden Bedeutung künstlicher Intelligenz ist das Unternehmen so positioniert, dass es von der Entwicklung vor allem als Anbieter von Handelssilizium für Hochgeschwindigkeitsnetzwerke profitieren kann.
Niedriges Beta und geringe Zinsabhängigkeit
Dank ihrer Fähigkeit, starke Preisschwankungen abzufedern, haben diese hochwertigen Enabler im Jahr 2022 den Informationstechnologiesektor insgesamt outperformt. Der Grund: Sie weisen ein geringeres Beta auf als die großen Technologieunternehmen und reagieren damit weniger empfindlich auf Bewegungen am Gesamtmarkt. Tatsächlich weisen etwa ein Viertel der Technologiewerte im MSCI World Index einen Beta-Faktor kleiner 1 auf und erreichen damit ähnliche Werte wie die traditionell defensiven Branchen (siehe Abbildung 1). Die aussichtsreichsten Tech-Unternehmen dieses Viertels haben jedoch noch einen entscheidenden Vorteil: Sie haben eine relativ geringe Schuldenlast und sind damit weniger anfällig für Zinserhöhungen.
Investoren, die sich diese defensiven Eigenschaften für ihr Portfolio zunutze machen wollen, sollten bei der Unternehmensauswahl unter anderem auf beständige Cashflows, Profitabilitätskennzahlen wie den ROI und eine gewisse Stabilität, sprich eine im Vergleich zum Markt geringe Volatilität der Erträge, achten.
Preissetzungsmacht und stabile Nachfrage
Wettbewerbsvorteile und vor allem die Preissetzungsmacht eines Unternehmens sind ebenfalls entscheidende Erfolgsfaktoren. Manche Unternehmen etwa bieten Dienstleistungen oder einzigartige Produkte an, die schwer oder gar nicht zu reproduzieren sind. Andere wiederum verfügen über stabile Netzwerke. Auch beliebte Marken oder günstige Produktionskosten sichern die Nachfrage. Dadurch verfügen solche Unternehmen zudem über eine hohe Preissetzungsmacht, was insbesondere in Zeiten hoher Inflation wichtig ist, da die gestiegenen Kosten an die Kunden weitergegeben werden können.
Paychex beispielsweise ist ein Gehaltsabrechnungsdienst für kleine und mittelständische Unternehmen. Paychex profitiert von hohen wiederkehrenden Umsätzen, da die Kundenbindung aufgrund der hohen Wechselkosten hoch ist. Die niederländische Informationsdienstleistungsgruppe Wolters Kluwer wiederum verfügt dank ihrer geschützten Datenbestände über ein robustes Geschäftsmodell. Als Herausgeber von Fachzeitschriften und Anbieter von gefragten Softwarelösungen basieren 80 Prozent ihres Geschäfts auf wiederkehrenden Umsätzen. Und ein marktbeherrschendes Zahlungsabwicklungsunternehmen wie Mastercard wird kaum einen Nachfragerückgang verzeichnen, wenn es seine Gebühren inflationsbedingt anpasst.
Die Marktvolatilität im Jahr 2022 hat zudem gezeigt, wie wichtig es ist, die Bewertungen im Blick zu behalten. Im Vorfeld des Abschwungs wurden viele Technologieunternehmen sehr teuer. Trotzdem haben viele Anleger weiter investiert, da stetige Kursgewinne den falschen Eindruck erweckten, dass es sich bei ihnen um dauerhafte Gewinner handelte. Als sich der Markt drehte, war der Absturz unvermeidbar. Anleger sollten deshalb immer abwägen, ob die Bewertung einer Aktie der Realität oder Wunschdenken entspricht, auch wenn das zugrunde liegende Unternehmen solide erscheint. Auf diese Weise kann das Ertragspotenzial verbessert und teure, anfällige Marktsegmente gemieden werden.
So lassen sich mit der richtigen Herangehensweise grundsätzlich auch im Tech-Sektor defensive Eigenschaften und Unternehmen finden, die stabile Erträge bei unterdurchschnittlichem Risiko auch in herausfordernden Zeiten bieten.
Von Kent Hargis - Co-Chief Investment Officer - Strategic Core Equities bei AllianceBernstein