Die Weltwirtschaft ist nach wie vor widerstandsfähig. Doch allmählich treten die Divergenzen zwischen den Industrieländern wieder zu Tage – und die USA werden aller Voraussicht nach besser abschneiden, trotz der jüngsten Bonitätsherabstufung. Niemand rechnet wirklich damit, dass die Vereinigten Staaten ihre Schulden nicht zurückzahlen können. Es wird weiterhin eine Nachfrage nach lang- und kurzfristigen Staatsanleihen geben, und wir sehen diese Herabstufung nicht als signifikantes Zeichen für zukünftige Probleme.
Trotz der Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft mehren sich die Anzeichen für Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung und der Preisdruck dürfte in den nächsten Monaten nachlassen. Die Zentralbanken scheinen dementsprechend am oder kurz vor dem Ende ihres Straffungszyklus zu stehen. Wir erwarten keine weiteren Zinserhöhungen in den USA und nur eine weitere im Euroraum. Die Entscheidungen der Zentralbanken sind jedoch datengetrieben, was die kurzfristige Geldpolitik unsicher und veränderungsanfällig macht. Die Märkte müssen sich deshalb auf mögliche Schwankungen im Zusammenhang mit Datenveröffentlichungen einstellen.
Die Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung in den USA sind für die Aktien- und Anleihemärkte besorgniserregend. Ein Konjunkturaufschwung in dieser Phase des Zyklus würde den Märkten wahrscheinlich mehr schaden als nützen, da er die Annäherung der Inflation an ihr Ziel verzögern und die Zinsen in die Höhe treiben würde. Zwar ist ein nachhaltiger Aufschwung unwahrscheinlich, aber das Verbraucherverhalten sollte genau beobachtet werden.
Die Bank of Japan (BoJ) setzte ihre allmähliche Lockerung der Kontrolle der Zinskurve als Reaktion auf den weiteren Inflationsanstieg fort. Wir gehen nicht davon aus, dass die BoJ den Leitzins im Jahr 2023 erhöht; für 2024 ist eine Erhöhung allerdings durchaus möglich.
Zinssenkungen zuerst in Schwellenländern
Die chinesische Politik signalisierte einen subtilen Wechsel zu einer expansiveren Politik, aber die Details bleiben ungewiss. Fiskalische Unterstützung wird der Schlüssel zur Stabilisierung der chinesischen Wirtschaft sein.
Die Schwellenländer sind den Industrieländern in diesem Zyklus in vielen Fällen voraus. Zinssenkungen und die damit einhergehende Belebung des Wachstums werden in den Schwellenländern, insbesondere in Lateinamerika, wahrscheinlich früher eintreten.
Von Eric Winograd, Director—Developed Market Economic Research bei AllianceBernstein