Schmerzlindernd: Der verhaltensbasierte Nutzen von defensiven Aktien

Menschliches Verhalten kann zu irrationalen Anlageentscheidungen führen. Eine durchdachte Strategie mit geringer Volatilität kann Abhilfe schaffen. AllianceBernstein | 06.11.2023 08:40 Uhr
Kent Hargis - Co-Chief Investment Officer - Strategic Core Equities bei AllianceBernstein / © e-fundresearch.com / AllianceBernstein
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Das menschliche Verhalten ist nicht immer rational. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele sonst so besonnene Anleger irrationale Entscheidungen treffen – und Verluste festschreiben, indem sie zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt verkaufen oder Aktien mit überzogenen Bewertungen hinterherlaufen. Gibt es eine Anlagestrategie, die helfen kann, emotionale Verhaltensweisen zu konterkarieren?

Die drei Ebenen des menschlichen Gehirns

Um der Frage auf den Grund zu gehen, warum Anleger irrationale Entscheidungen treffen, ist es aufschlussreich, das menschliche Gehirn und seine Reaktion auf Freude und Schmerz zu betrachten.

Unsere Gehirne haben sich über Millionen von Jahren entwickelt und bestehen aus drei Ebenen. Den Kern bildet unser primitives Gehirn, das für den Kampf-oder-Flucht-Instinkt sorgt, der uns am Leben erhält. Darüber liegt das höher entwickelte Säugetiergehirn – die Quelle von Emotionen, Erinnerungen und Gewohnheiten, die unsere Entscheidungsfindung unterstützen. Die höchste Ebene der Gehirnfunktion ist der Neokortex, der uns bei der Verarbeitung von Gedanken, der Argumentation und der Selbstreflexion hilft. Das ist der Kern dessen, was uns zu Menschen macht.

Signale aus den primitiven Regionen unseres Gehirns veranlassen uns, Vergnügen zu suchen und Schmerzen zu vermeiden. Doch dieselben Signale können den Neokortex übersteuern und uns dazu bringen, uns irrational zu verhalten. Ein weiterer Grund, der unser Denken aus dem Gleichgewicht bringt, ist die menschliche Neigung, Schmerz viel mehr zu fürchten als Freude zu empfinden.

In der Welt der Kapitalanlagen kann dieses Verhalten zu einigen verblüffenden Entscheidungen führen.

Die Verlustaversion in der Praxis

Hier ein Beispiel, das auf den bahnbrechenden Forschungen der israelischen Verhaltensökonomen Amos Tversky und Daniel Kahneman beruht.

Angenommen, Sie haben die Wahl zwischen zwei Türen, durch die Sie gehen können. Man sagt Ihnen, dass Sie eine 80%ige Chance haben, 4.000 US-Dollar zu gewinnen, wenn Sie Tür A öffnen. Da die Gewinnwahrscheinlichkeit bei 80 % liegt, beträgt der Erwartungswert 3.200 US-Dollar. Wenn Sie jedoch Tür B öffnen, gewinnen Sie garantiert nur 3.000 US-Dollar. Wofür würden Sie sich entscheiden? Tversky und Kahneman fanden heraus, dass die meisten Teilnehmer Tür B wählen würden, was eine verständliche, wenn auch nicht gewinnmaximierende Wahl zu sein scheint – warum spielen, wenn man die sichere Sache bekommen kann? Lieber auf Nummer sicher gehen (Abbildung).

Was passiert, wenn das Szenario umgedreht wird? Jetzt besteht hinter Tür A eine 80%ige Chance, 4.000 US-Dollar zu verlieren – ein Erwartungswert von 3.200 US-Dollar –, während hinter Tür B eine Garantie besteht, 3.000 US-Dollar zu verlieren. Dieser Verlust von 3.000 US-Dollar würde die Verluste nach unten begrenzen, aber es stellt sich heraus, dass die meisten Teilnehmer lieber einen Verlust von 4.000 US-Dollar riskieren würden für die geringe Chance, nichts zu verlieren (Abbildung).

Die Erkenntnis, die immer wieder in Forschungsstudien bestätigt wird, ist, dass Verlustaversion die Risikoaversion übertrumpft. Die Menschen gehen mehr Risiken ein, um Geld nicht zu verlieren, als um Geld zu verdienen. Tversky und Kahneman kamen sogar zu dem Schluss, dass Menschen den Schmerz eines Verlustes zwei- bis dreimal stärker empfinden als die Freude über einen Gewinn (Abbildung).

Anleger überschätzen oft ihre Fähigkeiten bei der Aktienauswahl

Eine weitere menschliche Neigung ist Selbstüberschätzung. Eine Studie aus dem Jahr 1999, an der fast 80.000 US-Haushalte teilnahmen, ergab, dass Haushalte, die am seltensten in ihren Aktiendepots handelten, auf Jahresbasis um sieben Prozentpunkte höhere Erträge erzielten als Haushalte, die am häufigsten handelten. Die Forscher führten diesen Unterschied auf das übermäßige Vertrauen der Anleger in ihre eigenen Fähigkeiten bei der Aktienauswahl zurück – eine Selbstüberschätzung, die zu niedrigeren Erträgen führte (Abbildung).

Allzu oft lassen sich Anleger in ihren Anlageentscheidungen von Verhaltensmustern wie Verlustaversion und Selbstüberschätzung leiten. 

Argumente für die Anlage in Aktien mit niedriger Volatilität

Stellen Sie sich eine Aktienanlagestrategie vor, die darauf abzielt, die Abwärtsrisiken zu begrenzen (das heißt die Exponierung gegenüber fallenden Märkten) und gleichzeitig an den Marktgewinnen zu partizipieren, wenn auch nicht vollständig. Dieses theoretische Portfolio könnte so konzipiert sein, dass es in Haussen 90 % der Marktgewinne mitnimmt, während es in Baissen nur 70 % der Marktverluste mitmacht.

Wie kann diese defensive 90 %/70 %-Strategie dazu beitragen, verhaltensbedingte Tendenzen abzuschwächen?

Indem sie auf Aktien abzielt, die ein Gleichgewicht zwischen Offensive und Defensive herstellen, reduziert die Low-Volatility-Strategie das Risiko überbewerteter Aktien, denen die Anleger aus Übermut hinterherlaufen könnten.

Diese Strategie zeigt ihre Stärke insbesondere bei fallenden Märkten. Im Erfolgsfall würde das Portfolio im Durchschnitt nur 70 % so stark fallen wie der breite Markt. Das hilft, Verluste zu verkraften und wirkt der Verlustaversion entgegen, die Anleger dazu veranlassen könnte, sich vorzeitig aus dem Markt zurückzuziehen. Die Forschung zeigt, dass das Verpassen der fünf besten Tage einer Markterholung die langfristigen Erträge stark beeinflussen kann (Abbildung).

Das liegt daran, dass Aktien, die bei Marktabschwüngen weniger verlieren, weniger Boden gutmachen müssen, wenn sich der Markt erholt. Infolgedessen können sie bei nachfolgenden Erholungen von einer höheren Basis aus zulegen.

Aktives Management kann helfen, Risiko und Ertrag in Balance zu halten

Anhand von Daten von März 1986 bis Juni 2023 haben wir herausgefunden, dass ein hypothetisches 90 %/70 %-Portfolio in diesem Zeitraum jährliche Erträge erzielen würde, die um 3,1 Prozentpunkte über denen des MSCI World Index liegen – und das bei geringerer Volatilität. Wir glauben, dass der Schlüssel zum Aufbau eines solchen Portfolios in der Konzentration auf qualitativ hochwertige Aktien mit stabilen Handelsmustern zu attraktiven Kursen liegt. Ein aktives Management, das durchdachtes, fundamentales Research einsetzt, um solche Titel zu finden, bietet Anlegern mehr Möglichkeiten, die Volatilität zu steuern – was im heutigen Umfeld höherer Zinsen, makroökonomischer Unsicherheit und geopolitischer Instabilität entscheidend ist.

Wenn wir verstehen, wie angeborene emotionale Reaktionen der schlimmste Feind eines Anlegers sein können, sind wir davon überzeugt, dass eine Strategie mit geringer Volatilität den Neigungen des Verhaltens entgegenwirken und langfristig zu besseren Anlageergebnissen beitragen kann.

Von Kent Hargis - Co-Chief Investment Officer - Strategic Core Equities bei AllianceBernstein

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