Globale Konjunktur: Kein Absturz, aber ein merkliches Nachlassen

Trotz einer Reihe von Schocks blieb die Weltwirtschaft im Jahr 2023 bemerkenswert stabil. Welchen Kurs wird sie 2024 einschlagen? AllianceBernstein | 19.12.2023 12:28 Uhr
Eric Winograd, Director—Developed Market Economic Research bei AllianceBernstein / © e-fundresearch.com / AllianceBernstein
Eric Winograd, Director—Developed Market Economic Research bei AllianceBernstein / © e-fundresearch.com / AllianceBernstein

Ob galoppierende Inflation, Geopolitik oder Bankenpleiten – die Volkswirtschaften der Welt wurden immer wieder von Krisen heimgesucht, stehen aber größtenteils auf soliden Füßen. Zu Beginn des Jahres 2024 sprechen immer noch gewichtige Faktoren für eine sanfte Landung. Die Risiken für ein günstiges Basisszenario wachsen jedoch.

Langsameres Wachstum wahrscheinlich, mit besserem Gleichgewicht

Wir glauben, dass die globale Konjunktur immer noch genug Schwung hat, um eine sanfte Landung am wahrscheinlichsten zu machen. Angesichts der verschlechterten Fundamentaldaten und des zunehmenden Drucks durch höhere Zinsen wird sich das Wachstum im Jahr 2024 wahrscheinlich deutlich abschwächen. Das ist nicht unbedingt eine schlechte Nachricht: Das langsamere Wachstum dürfte die Inflation zurückgehen lassen, sodass die Zentralbanken die Zinsen senken können. Auf diese Weise dürfte die Weltwirtschaft allmählich in ein besseres Gleichgewicht gebracht werden.

Die Stärke der Verbraucher ist der Schlüssel zur wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit

Robuste Verbraucherausgaben waren der Schlüssel zur wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit im Jahr 2023, insbesondere in den USA. Der Arbeitsmarkt übertraf unsere Erwartungen im Jahr 2023 bei Weitem und sorgte für ein Einkommen, das die Ausgaben stützte. Die Neueinstellungen waren robust und das Lohnwachstum lag deutlich über der Inflation. Gegen Ende des Jahres zeigten sich erste Risse, sodass wir nicht davon ausgehen, dass die Ausgaben im Jahr 2024 so stark sein werden. Das Tempo der Neueinstellungen hat sich verlangsamt, die Zahl der offenen Stellen ist zurückgegangen, die Zahl der Anträge auf Arbeitslosenunterstützung ist gestiegen, und Umfragen bei Unternehmen und Verbrauchern deuten darauf hin, dass es für die Arbeitnehmer schwieriger ist, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

Dennoch zeigen diese Daten nur erste Problemtendenzen – insgesamt bleiben die Arbeitsmärkte stark. Die weltweiten Arbeitslosenzahlen sind im historischen Vergleich sehr niedrig, und die Zahl der Entlassungen hat noch nicht wesentlich zugenommen. Wir gehen davon aus, dass langsamere Neueinstellungen irgendwann in Entlassungen übergehen werden, aber der Arbeitsmarkt hat wahrscheinlich genug Schwung, um die Verbraucher bis ins Jahr 2024, wenn nicht sogar darüber hinaus, zu tragen. Die wichtigste Erkenntnis: Eine sanfte Landung auf dem Arbeitsmarkt wird sich in einer sanften Landung für die Gesamtwirtschaft niederschlagen.

Es war nicht nur der Arbeitsmarkt, der den Konsum im Jahr 2023 ankurbelte. Die Vorräte an überschüssigen Ersparnissen aus der Zeit der Pandemie dämpften auch den Schock durch die höhere Inflation. Die fiskalische Unterstützung in den USA und Europa ermöglichte es den meisten Haushalten in den Industrieländern, ihren Lebensstandard aufrechtzuerhalten, auch wenn die Preise stiegen, vor allem als die Inflation gegen Ende des Jahres abkühlte. Heute scheinen diese zusätzlichen Ersparnisse aufgebraucht zu sein (Abbildung), was die Bewältigung künftiger Schocks im Jahr 2024 noch schwieriger machen wird. Auch deshalb erwarten wir in den kommenden Quartalen ein langsameres Wachstum.

Regionale Wachstumsunterschiede

Das Wachstum wird weltweit nicht einheitlich sein, und wir erwarten, dass die regionalen Unterschiede im Laufe des kommenden Jahres zunehmen werden.

Das europäische Wachstum ist bereits schwach, und eine gewisse Haushaltskonsolidierung (wie jüngst etwa in Deutschland beschlossen) ist wahrscheinlich – ein zusätzlicher Gegenwind für 2024. Allerdings kühlt sich die Inflation in Europa schneller ab als in anderen Industrieregionen, sodass die Europäische Zentralbank in der Lage sein dürfte, die Zinsen früher zu senken als ihre Kollegen (Abbildung). Eine rasche geldpolitische Reaktion auf das langsamere Wachstum dürfte den wirtschaftlichen Schaden begrenzen und eine Rezession relativ milde ausfallen lassen.

Die großen asiatischen Volkswirtschaften befinden sich im Vergleich zum Westen in einem anderen Konjunkurzyklusstadium. Chinas verzögerte, schrittweise Wiederöffnung nach der Pandemie hat zu schwachem Wachstum und niedriger Inflation geführt, sodass die Behörden wahrscheinlich weiterhin versuchen werden, das Wachstum mit einer akkommodierenden Geldpolitik zu stabilisieren. In Japan deuten die Nachwirkungen der Pandemie darauf hin, dass die positive Inflation nach zwei Jahrzehnten anhaltender Disinflation endlich tragfähig sein könnte. Wir gehen davon aus, dass die Bank of Japan mit den Inflationsaussichten so zufrieden ist, dass sie im Jahr 2024 zu positiven Zinsen übergehen wird. 

Die Risiken nehmen zu – geldpolitisch und fiskalisch

Obwohl unser Basisszenario günstig ist, weist die Tendenz eher nach unten. Die beträchtlichen, raschen Zinserhöhungen im Westen erhöhen die Möglichkeit eines plötzlichen Einbruchs an den Finanzmärkten oder in der Wirtschaft. Höhere Zinsen erhöhen den Druck auf Unternehmen, die zur Finanzierung ihrer Geschäfte auf Kredite oder die Anleihenmärkte angewiesen sind. Mit der Zeit werden immer mehr Unternehmen gezwungen sein, sich zu höheren Zinsen zu refinanzieren, und einige werden dadurch in Schwierigkeiten geraten. Auch für die privaten Haushalte wird die Verschuldung teurer, vor allem durch höhere Hypotheken- und Kreditkartenzinsen.

Unerwünschte Folgen mangelnder Haushaltsdisziplin sind eine weitere Gefahr. Die USA scheinen besonders anfällig zu sein. Die sehr hohen Haushaltsdefizite werden auch im nächsten Jahrzehnt bestehen bleiben, und in einem Wahljahr sind signifikante Budgetänderungen sehr unwahrscheinlich (Abbildung). Wenn das Überangebot an Staatsanleihen die Zinsen wieder stark in die Höhe treibt, könnten sich die Wirtschafts- und Marktaussichten verschlechtern.

Doch es gibt nicht nur Abwärtstendenzen für die globale Konjunktur. Bisher hat sich die Inflation abgekühlt, ohne den Arbeitsmarkt oder die Wirtschaft im Allgemeinen zu beeinträchtigen. Die „makellose Disinflation“ – die Abkühlung der Inflation ohne Anstieg der Arbeitslosigkeit – deutet darauf hin, dass der weltweite Inflationsausbruch fast ausschließlich ein Artefakt der Pandemie und nicht auf ein zugrunde liegendes wirtschaftliches Ungleichgewicht zurückzuführen sein könnte. Wenn dem so ist, könnte die Inflation weiter sinken, ohne dass es zu nennenswerten wirtschaftlichen Verwerfungen kommt. Dieses Ergebnis wäre von Vorteil: eine sinkende Inflation und ein solides Wachstum sind gute Voraussetzungen für eine sehr gute Wertentwicklung des Marktes. 

Das Jahr 2024 beginnt mit einer starken Position

Obwohl wir der Meinung sind, dass die Risiken für die Weltwirtschaft nach unten größer sind als nach oben, wird das Jahr 2024 zweifellos unerwartete Entwicklungen bringen. Wir waren überrascht von der Widerstandsfähigkeit im Jahr 2023 und davon, wie sehr diese Robustheit die Zinsen in die Höhe trieb. Wir können nicht sagen, welche Überraschungen das Jahr 2024 bringen wird, aber die Weltwirtschaft befindet sich in einer ziemlich guten Ausgangsposition. Eine sanfte Landung wäre historisch gesehen ein seltenes Ergebnis, aber das scheint der wahrscheinlichste Weg zu sein.

Von Eric Winograd, Director—Developed Market Economic Research bei AllianceBernstein 

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