In ganz Europa tendieren die Inflationsraten nach unten, im Euroraum sogar schneller als in allen anderen Industrieländern (Abbildung).
Während die sinkenden Inflationsraten die Anleger weltweit zu neuem Optimismus veranlasst haben, bezweifeln wir, dass die Schlüsseldaten und die Politik der Zentralbanken eine baldige Lockerung der Geldpolitik in Europa unterstützen. Wir glauben auch, dass die Märkte jetzt schnellere Zinssenkungen einpreisen, als die Zentralbanken bereit sind zu liefern.
Tendenz bleibt hawkish
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Zinsen wie erwartet unverändert belassen, und auch der Wortlaut ihrer Pressemitteilung blieb unverändert: Die Kerninflation habe sich abgeschwächt, aber die Europäische Zentralbank bleibe angesichts des starken Anstiegs der Lohnstückkosten auf den Preisdruck fokussiert. Und der EZB-Rat bekräftigte seine Entschlossenheit, die Zinsen so lange wie nötig auf einem ausreichend restriktiven Niveau zu halten.
Er zog auch die Beendigung eines der wichtigsten Anleihenkaufprogramme der EZB, des Pandemie-Notkaufprogramms, vor, das Ende 2024 vollständig auslaufen wird. Wir sehen diesen Beschluss als weiteren Schritt der Falken; die Verringerung des Umfangs der EZB-Bilanz wird die finanziellen Bedingungen verschärfen. Es gab ein einziges akkommodierendes Signal: In der Erklärung der EZB wurde ein früherer Hinweis darauf, dass die Inflation zu lange hoch bleibt, weggelassen.
Auf der anschließenden Pressekonferenz betonte EZB-Präsidentin Christine Lagarde, dass Zinssenkungen nicht zur Debatte gestanden hätten und dass eine solche Diskussion verfrüht sei – ein deutlicher Hinweis darauf, dass man sich gegen den Rückgang der Marktzinsen wehren wolle. Zuletzt wies Lagarde jedoch darauf hin, dass bereits im Sommer Zinssenkungen wahrscheinlich sind.
Zinssenkungen in Europa? Ja, aber nicht so schnell, wie es die Märkte einpreisen
Die Wachstums- und Inflationsprognose des EZB-Eurosystems vom Dezember 2023 blieb konservativ und deutet auf weitere Abwärtskorrekturen hin. Die Prognose geht insbesondere davon aus, dass die Kerninflation aufgrund des starken Anstiegs der Lohnstückkosten und des inländischen Preisdrucks auch 2026 bei 2,1% liegen wird. Und während die Zahlen für das Wirtschaftswachstum in den Jahren 2023 und 2024 nach unten korrigiert wurden, wird für das Jahr 2025 eine kräftige Erholung erwartet.
Auf dieser Grundlage glauben wir, dass die Europäische Zentralbank weiterhin eine geduldige Vorgehensweise bevorzugen wird, auch wenn die Anzeichen für eine sinkende Inflation bald immer deutlicher werden. Wir erwarten die erste Zinssenkung der EZB im Juni 2024, mit einer Senkung um 100 Basispunkte im Laufe des Jahres. Der Markt ist aggressiver und rechnet mit einer ersten Zinssenkung bereits im März und einer Gesamtsenkung um 150 Basispunkte im Jahr 2024.
Von Sandra Rhouma, European Economist—Fixed Income bei AllianceBernstein