Wenn sieben Aktiengiganten die Renditen dominieren, ist es für aktive Manager schwierig, besser als der Markt zu performen. Doch unserer Auffassung nach wird sich der Fokus auf lange Sicht wieder verlagern, und allmählich werden mehr Unternehmen mit echtem Gewinnpotenzial die ihnen gebührende Aufmerksamkeit erhalten.
Im Jahr 2023 waren die Marktrenditen nach vielen Maßstäben äußerst hoch. Die Aktien der Glorreichen Sieben, einer Gruppe von riesigen Unternehmen, die als die großen Gewinner der künstlichen Intelligenz (KI) angesehen werden, waren im vergangenen Jahr für 58% der Rendite des S&P 500 verantwortlich. Lediglich 26% der im S&P 500 vertretenen Unternehmen konnten 2023 die Benchmark schlagen – der geringste prozentuale Anteil in über 30 Jahren (Abbildung). Die gleichgewichteten Indizes S&P 500 und MSCI World, die jedem Indexmitglied die gleiche Gewichtung zuweisen, damit sie eine bessere Darstellung der allgemeinen Marktrenditen liefern, entwickelten sich in einem der engsten Jahre in der Geschichte um 12,7% bzw. 7,1% schlechter als ihre nach Marktkapitalisierung gewichteten Pendants. Die Unternehmensergebnisse waren 2023 nicht die treibenden Kräfte der Aktienmarktrenditen – stattdessen waren es im Wesentlichen die steigenden Kennzahlen bei den Kurs-Gewinn-Verhältnissen.
Die Begeisterung für KI war nicht nur ein Hype. Anleger reizte das Potenzial der Aktien der Glorreichen Sieben, mit der revolutionären Technologie Geld zu verdienen – ein besonders attraktives Angebot in einem unsicheren Konjunkturumfeld. Für aktive Manager, deren Ziel die Diversifizierung der Bestände auch in konzentrierten Portfolios aus einer vergleichsweise geringen Anzahl an Aktien ist, waren dies schwierige Bedingungen. Zwar handelt es sich bei den Glorreichen Sieben um ausgezeichnete Unternehmen mit leistungsstarkem Geschäft, aber viele aktive Manager scheuen sich davor, die gesamte Gruppe von Aktien, die eine hohe Korrelation aufweisen und rund 29% des S&P 500 ausmachen, im Bestand zu halten.
Wo sind die Gewinne?
Obgleich der Konsens zu Beginn des Jahres 2024 optimistisch ist, erwarten wir keinen explosionsartigen Anstieg der Gewinne auf breiter Front. Die Gewinne sind einem anhaltenden Gegenwind aufgrund der hartnäckigen Lohninflation, einer Verlangsamung des BIP-Wachstums und der eher eingeschränkten Fähigkeit zur Preisfestsetzung ausgesetzt, da die Inflation zurückgeht. Unterdessen könnte ein erhöhtes geopolitisches Risiko Volatilität auslösen, da der Krieg zwischen Russland und der Ukraine weitergeht, während der Israel-Hamas-Konflikt den Nahen Osten destabilisiert und in den USA ein polarisierender Wahlkampf bevorsteht.
Die anhaltende Unsicherheit könnte die auf kurze Sicht positive Stimmung gegenüber den US-Mega-Caps weiterhin unterstützen. Aufgrund von rekordverdächtigen operativen Margen in den USA und weltweit werden unseres Erachtens nach Unternehmen im breiteren Markt Probleme haben, die Konsens-Gewinnprognosen von rund 13,4% in den USA und 8,5% weltweit zu erfüllen. Wir glauben jedoch, dass der jeweilige Gewinnvorteil der Aktien der Glorreichen Sieben mit der Zeit kleiner wird (Abbildung).
Denn die Märkte bieten mehr Gewinnwachstumspotenzial, als man auf den ersten Blick sieht. Wenngleich die bereinigten Gewinne (headline earnings) im vergangenen Jahr schwach waren, weist eine große Anzahl von nicht zu den Glorreichen Sieben zählenden Unternehmen attraktive Gewinnwachstumsprofile über die letzten drei Jahre auf. Tatsächlich entfallen circa 40% der Gewichtung im S&P 500, mit Ausnahme der sieben größten Unternehmen, auf Unternehmen, die von 2020 bis 2023 ein Gewinnwachstum zwischen 10% und 30% erzielten (Abbildung). Über 20% der Benchmark-Gewichtung entfallen auf Unternehmen, die um mindestens 30% pro Jahr wachsen. Der MSCI World zeigt vergleichbare EPS-Wachstumsmerkmale.
Dieser Dreijahreszeitraum bot sicherlich kein gewöhnliches Umfeld. Er umfasst unter anderem den Bust-and-Boom-Zyklus während der Coronakrise, als viele Unternehmen einen drastischen Rückgang ihrer Erträge hinnehmen mussten, sowie die darauffolgende rasche Erholung. Zudem waren Anleger mit einem Inflationsschub, steigenden Zinsen und den Aussichten auf eine Normalisierung konfrontiert. Dennoch gehen wir davon aus, dass sich langfristig Unternehmen finden lassen, die über verschiedene Quellen für Gewinnwachstum verfügen.
Qualität ist nach wie vor der Leitstern
Das Vertrauen in das längerfristige Potenzial geht leicht verloren, wenn Unternehmen mit realem Wachstum nicht belohnt werden. Und noch schwieriger ist es durchzuhalten, wenn eine kleine Gruppe von Riesenunternehmen die ganzen Renditen erzielen.
Wir sind aber der Ansicht, dass Anleger mit einem langfristigen Anlagehorizont den Fokus weiterhin auf Unternehmen mit einem qualitativ hochwertigen Geschäftsbetrieb legen sollten, um ein kontinuierliches Gewinnwachstum für die kommenden drei bis fünf Jahre zu fördern. Unternehmen mit Wettbewerbsvorteilen, Preismacht, innovativen Produkten und einem Management der Spitzenklasse besitzen die geschäftlichen Eigenschaften, die notwendig sind, um ihr Ziel zu erreichen – selbst dann, wenn sie das Rennen um die kurzfristigen Renditen aufgrund ungewöhnlicher Marktbedingungen nicht gewinnen.
Reales Wachstum wird belohnt werden
KI ist nicht die einzige Chance für Wachstum. Neue Produkte im Gesundheitswesen, die auf die Bewältigung weltweiter Gesundheitskrisen einschließlich Diabetes und Adipositas abzielen, können ein enormes Potenzial für unerfüllte medizinische Bedürfnisse ausschöpfen. Softwareunternehmen mit strategischen Lösungen für die kontinuierliche Migration in die Cloud dürften vom strukturellen Wachstum eines weltweiten Technologietrends profitieren. Mehr digitale Zahlungen und Open-Banking-Dienstleistungen schaffen Gelegenheiten für FinTech-Unternehmen.
Es ist nicht einfach, Unternehmen wie diese zu finden. Selbst in den besten Zeiten sind nur sehr wenige Jahr für Jahr in der Lage, überzeugende Businesstrends zur Erzielung eines beständigen Gewinnwachstums zu nutzen. Die Ergebnisse unserer Analysen legen jedoch den Schluss nahe, dass Unternehmen, die in mindestens drei aufeinanderfolgenden Jahren starke Gewinnzuwächse erzielen, in der Regel im Laufe der Zeit den Markt schlagen.
Solche Unternehmen wurden in letzter Zeit nicht konsequent von den Märkten belohnt. Für die Aktien der Glorreichen Sieben herrschte derart uneingeschränkte Begeisterung, dass die Aktienkurse einiger KI-Lieblinge sogar weiterhin anstiegen, als ihre Gewinnrevisionen negativ waren. Nach unserer Auffassung kann dieser Überschwang nicht endlos anhalten. Für Anleger ist es jetzt an der Zeit, unter den abgehängten Unternehmen diejenigen mit relativ attraktiven Bewertungen und stabilem Gewinnpotenzial auszumachen. Aktien von Unternehmen wie diesen sind Spitzenkandidaten für eine Neubewertung, wenn sich die Anzeichen für eine sanfte Landung häufen und das Vertrauen in eine allgemeine Erholung der Unternehmen stärken.
Von Dev Chakrabarti Chief Investment Officer—Concentrated Global Growth & James T. Tierney, Jr. Chief Investment Officer—Concentrated US Growth, AllianceBernstein