Der EZB-Rat hat seine drei Leitzinsen wie erwartet unverändert bei 4,5%, 4% und 4,75% belassen. Die Sitzung selbst verlief ereignislos und das Ergebnis war angesichts der wenigen zusätzlichen Informationen seit der März-Sitzung durchaus zu erwarten. In der Erklärung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Zinssenkung auf der nächsten Sitzung (im Juni) beschlossen werden wird, sofern die Daten und die konjunkturellen Aussichten die Grundlage dafür schaffen. Tatsächlich waren einige Mitglieder sogar dafür, die Zinssätze bereits im April zu senken, so dass davon auszugehen ist, dass eine Zinssenkung im Juni bereits beschlossene Sache ist. Die EZB legte sich jedoch bewusst nicht auf einen Zinssenkungspfad für den Rest des Jahres fest.
Die EZB legt sich auf eine Zinssenkung im Juni fest
Das war zwar allgemein erwartet worden, stellt aber eine eindeutige Änderung in der offiziellen Kommunikation der EZB dar. Die EZB hat ihre künftige Entscheidung von drei Faktoren abhängig gemacht: der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation, den Inflationsaussichten und der Effizienz der geldpolitischen Transmission. Was den ersten Faktor betrifft, so erwarte ich, dass die Dienstleistungsinflation bis Juni zurückgeht und zum Rückgang der Kerninflation beitragen wird. Doch selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, wird die Disinflation im Kerngüterbereich die Kerninflation weiter nach unten drücken. Zweitens werden neue Projektionen veröffentlicht, die für den Ausblick aufschlussreich sein werden. Die EZB geht bereits davon aus, dass die Inflation in den Jahren 2025 und 2026 den Zielwert erreichen wird, wobei die Gefahr besteht, dass sie weiter nach unten tendiert. Schließlich ist die geldpolitische Transmission zwar weniger stark ausgeprägt, die Finanzierungsbedingungen bleiben jedoch weiterhin restriktiv. Wie aus der Anfang dieser Woche veröffentlichten Bank Lending-Umfrage für das erste Quartal hervorgeht, ist das vor allem bei Unternehmen der Fall. Diese drei Kriterien sprechen für eine Zinssenkung im Juni, und die EZB scheint diese Einschätzung zu teilen.
Auch wenn der Zinssenkungszyklus beginnt, wird die EZB datenabhängig entscheiden und sich nicht auf einen bestimmten Zinspfad festlegen
Sowohl das EZB-Statement selbst als auch Präsidentin Lagarde unterstrichen diesen Punkt mehrmals. In der Kommunikation im Zusammenhang mit der Zinssenkung im Juni wurde sogar von einer „Verringerung der gegenwärtigen Restriktionen“ gesprochen, was darauf hindeutet, dass die EZB in diesem Jahr trotz der Zinssenkungen recht restriktiv bleiben wird. Es ist davon auszugehen, dass sich die EZB bis zur Veröffentlichung weiterer Daten über ihre Absichten nach Juni ziemlich bedeckt halten wird. Während die Gesamtdaten bisher ausreichen, um den Beginn des Zinssenkungszyklus zu bestätigen, wird die Dynamik der Dienstleistungsinflation der wichtigste Bestimmungsfaktor für das Tempo der Zinssenkungen sein. Angesichts der Hartnäckigkeit der Inflation, die fünf Monate in Folge bei 4% lag, muss die Dienstleistungsinflation zurückgehen.
Weniger Zinssenkungen stellen 2024 das größere Risiko dar
Mein Basisszenario für vier Zinssenkungen in diesem Jahr mit einer Lockerung von insgesamt 100 Basispunkten bleibt unverändert, aber es lohnt sich, die Risiken für dieses Szenario hervorzuheben. Die Inflationsdaten für die Eurozone vom März bestätigten den disinflationären Trend, zeigten aber gleichzeitig, dass die Dienstleistungsinflation weiterhin bestehen bleibt. Angesichts der Aussichten auf eine schwache Konjunktur und eine Verlangsamung des Lohnwachstums in diesem Jahr wird die Dienstleistungsinflation entsprechend reagieren und 2024 weiter zurückgehen. Sollte sich die Dienstleistungsinflation jedoch auch in der zweiten Jahreshälfte als hartnäckig erweisen, könnte die EZB die Zinssätze nur auf den Prognosesitzungen im September und Dezember senken, was einer Gesamtsenkung von 75 Basispunkten in diesem Jahr entspricht. Zum jetzigen Zeitpunkt schätze ich die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios als gering ein, ausschließen können wir es jedoch nicht.
Der Markt hat bereits eine Senkung für 2024 eingepreist - wahrscheinlich aber aus den falschen Gründen
Bis zuletzt rechnete der Markt mit fast vier Zinssenkungen für insgesamt 100 Basispunkte im Jahr 2024. Die stärker als erwartet ausgefallenen US-CPI-Daten haben dazu geführt, dass der Markt nun auf insgesamt 75 Basispunkte an Zinssenkungen setzt. Wie ich bereits erwähnt habe, stellt dies ein Risiko dar, das jedoch hauptsächlich auf die Entwicklungen in der Eurozone zurückzuführen ist. Ich wiederhole, dass die EZB nicht von der Fed abhängig ist und so handeln wird, wie es die Daten der Eurozone erfordern. Präsidentin Lagarde hat diesen Aspekt auch in ihrer Antwort auf Fragen zur stärkeren US-Inflation unterstrichen. Eine besondere Sorge gilt den Auswirkungen der erwarteten Zinsdivergenz zwischen der Eurozone und den USA auf den EUR/USD-Kurs und folglich auf die Inflation. Das ist ein valider Punkt, denn ein schwächerer Euro bedeutet eine höhere importierte Inflation, was sich in den Juni-Projektionen der EZB widerspiegeln würde. Sofern jedoch ein schwächerer EUR den disinflationären Prozess nicht zum Entgleisen bringt, gibt es keinen Grund, den Zinssenkungszyklus zu unterbrechen. So wie es aussieht, wird die EZB die Zinsen nicht nur vor der Fed senken, sondern selbst im konservativsten Szenario wahrscheinlich sogar noch deutlicher.
Von Sandra Rhouma, European Economist – Fixed Income bei AllianceBernstein