Angesichts der nachlassenden Konjunktursorgen sind wir der Meinung, dass das Gewinnwachstum als Triebfeder für die Erträge einer größeren Gruppe von Unternehmen an den Aktienmärkten in den Mittelpunkt rücken wird.
Zu Beginn des Jahres glaubten viele Anleger, dass eine Reihe von Zinssenkungen der großen Zentralbanken unmittelbar bevorstünde. Dazu kam es nicht, und dennoch kletterte der MSCI All Country World Index (ACWI) im ersten Quartal auf US-Dollar-Basis um 8,1% (Abbildung). Die starken Zuwächse bei japanischen Aktien wurden auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Bank of Japan Ende März zum ersten Mal seit 17 Jahren die Zinsen anhob. In den USA nahmen die Aktienanleger den Aufschub und die Reduzierung der Zinssenkungen durch die Federal Reserve gelassen hin; die Märkte hatten zu Beginn des Jahres mit sechs Zinssenkungen bereits ab März gerechnet. Auch in Europa wird erwartet, dass der Zinssenkungszyklus Mitte des Jahres beginnt. Die Anleger scheinen sich damit abgefunden zu haben, dass die relativ hohen Zinsen tatsächlich Ausdruck einer stärkeren Wirtschaft sind, und haben ihre Erwartungen entsprechend angepasst.
Wendepunkt für die Aktienmärkte?
Oberflächlich betrachtet mag es so aussehen, als hätte sich wenig geändert. Im ersten Quartal übertrafen die globalen Wachstumswerte wie schon im letzten Jahr die Substanzaktien. Der Technologiesektor stand weiterhin an der Spitze der Erträge der US- und globalen Sektoren (Abbildung oben).
Unter der Oberfläche sieht es jedoch nicht nach einer Wiederholung des Jahres 2023 aus. Zum einen verhielten sich die „Glorreichen Sieben“, die als die größten Nutznießer der Künstlichen Intelligenz (KI) gelten, nicht wie eine einheitliche Gruppe (Abbildung unten). NVIDIA ragte heraus, während Apple und Tesla stark zurückfielen. Wir glauben nicht, dass die KI-Begeisterung eine Blase ist, die kurz vor dem Platzen steht, denn anders als während der Dotcom-Blase wird sie von einem realen Gewinnwachstum in der gesamten Technologiebranche angetrieben. Die unterschiedlichen Erträge innerhalb der „Glorreichen Sieben“ spiegeln jedoch die Unterschiede in den Geschäftsergebnissen der einzelnen Unternehmen wider, die auf dem ausgewiesenen Gewinnwachstum für das Gesamtjahr 2023 basieren.
Wandel liegt in der Luft: Schlüsselindikatoren beginnen sich zu verlagern
Das Gewinnwachstum sieht unserer Meinung nach vielversprechend aus, und zwar nicht nur für die Mega-Caps. Obwohl die „Glorreichen Sieben“ als Gruppe nach wie vor ein höheres Gewinnwachstumspotenzial aufweisen als der breite Markt, sind wir der Meinung, dass Anleger sehr selektiv vorgehen müssen, um dieses Potenzial zu nutzen; die Divergenz der Erträge innerhalb der Gruppe im ersten Quartal hat diese Erkenntnis noch verstärkt.
Jenseits der Mega-Caps ziehen die Konsens-Gewinnprognosen an (Abbildung). Trotz regionaler Unterschiede sind wir der Meinung, dass Anleger in Europa und in den Schwellenländern und sogar in China trotz der dortigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten attraktive Wachstumschancen finden können.
Auch weltweit sind die langfristigen Gewinnaussichten unserer Meinung nach vielversprechend. Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Prognosen für das weltweite Gewinnwachstum in den nächsten drei bis fünf Jahren von den extremen Tiefständen vor einem Jahr nominal und real gestiegen sind, aber im historischen Vergleich immer noch niedrig sind (Abbildung oben). Mit anderen Worten: Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um das Potenzial für weitere Verbesserungen zu nutzen.
Unterdessen sind die Bewertungen nicht so extrem, wie sie erscheinen mögen. Die Bewertungen der US-Aktien wurden von den „Glorreichen Sieben“ in die Höhe getrieben. Doch auch jenseits der Mega-Caps lassen sich unserer Meinung nach attraktiv bewertete Chancen bei Unternehmen mit einem unterschätzten Gewinnwachstumspotenzial finden. Außerhalb der USA sind die Bewertungen niedriger, und die Aktien in Europa, Australasien und Fernost (MSCI EAFE) sowie die Schwellenländeraktien werden im Vergleich zu ihrer langfristigen Entwicklung auf einem recht attraktiven Bewertungsniveau gehandelt (Abbildung).
Strategische Ausrichtung für ein sich wandelndes Umfeld
Die Identifizierung attraktiv bewerteter Aktien mit starkem Gewinnwachstumspotenzial erfordert eine strategische Denkweise, die auf das sich verändernde Umfeld abgestimmt ist. Wir sind der Meinung, dass Aktien für Anleger auch in Zukunft entscheidend sein werden, um reale Erträge zu erzielen, die über dem Inflationsniveau liegen. Die Hürden dafür werden jedoch höher sein als in den vergangenen zehn Jahren.
In diesem Umfeld werden unserer Meinung nach Unternehmen belohnt werden, die beständig Gewinne oberhalb ihrer Kapitalkosten erwirtschaften können, während diejenigen, denen dies nicht gelingt, wahrscheinlich hinterherhinken werden. Qualitativ hochwertige Unternehmen und Fundamentaldaten werden bevorzugt werden. Gesunde Bilanzen, solide Geschäftsmodelle, Wettbewerbsvorteile und Managementfähigkeiten werden in den kommenden Jahren entscheidend sein, um ein Gewinnwachstum zu erzielen, das Aktienerträge über der Inflation ermöglicht.
Ungewohnte und sich verändernde Bedingungen werden das Schicksal der Unternehmen beeinflussen. Im Zuge dieses Prozesses erwarten wir, dass sich die Streuung der Gewinne und der Aktienerträge weiter vergrößert – wie in diesem Quartal durch die Divergenz zwischen NVIDIA und Apple zu sehen war. Das wiederum dürfte einen fruchtbaren Boden für aktive Manager schaffen, um Aktien von Unternehmen auszuwählen, die noch nicht für ihre Widerstandsfähigkeit und Wachstumsaussichten geschätzt werden.
Von Nelson Yu, Head—Equities bei AllianceBernstein