Vor einem Jahr löste der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank und die Pleite mehrerer regionaler Kreditgeber eine Bankenkrise aus und sorgte geradezu für ein Beben auf dem US-Finanzsektor. Als sich die Wogen geglättet hatten, beschränkten sich die Verluste zwar auf wenige Banken, die durch Einlagenflucht und Mark-to-Market-Bilanzstress gefährdet waren, das Vertrauen der Anleger hatte jedoch deutlich gelitten. Diese zeigten sich verständlicherweise verunsichert und brauchten Zeit, um die Schäden und die Gesundheit des Bankensystems vollständig zu beurteilen.
US-Bankensystem bleibt stabil
Inzwischen hat sich die Stimmung gedreht. Der S&P 500 Financials Index legte von November 2023 bis März 2024 um 30,4 Prozent zu und übertraf damit den Anstieg der Benchmark von 25,2 Prozent im gleichen Zeitraum. Seit November erzielten die Finanzwerte fast ebenso hohe Erträge wie die Technologiewerte, auch wenn sie noch einen weiten Weg vor sich haben, um den Markt einzuholen (Abbildung 1). Die Trends des ersten Quartals deuten darauf hin, dass die Erträge in dem Sektor weiter zulegen könnten – eine gute Nachricht für die Anleger.
Selbstverständlich ist es angebracht, weiterhin auf anhaltende Schwachstellen zu achten, wie sie etwa in der schwierigen Gewerbeimmobilienbranche und dem jüngsten Zusammenbruch der New York Community Bank zu sehen sind. Dennoch ist das US-Bankensystem ausreichend stabil. Fundamentale Indikatoren und Branchenentwicklungen schaffen zudem ein positives Umfeld für ausgewählte Finanzwerte. Insbesondere große US-Banken verfügen über eine starke Kapitalposition. Ende 2023 verzeichneten 12 der größten US-Banken zusammengenommen ein Überschusskapital von 180 Milliarden US-Dollar. Ein Wert, der deutlich über den aufsichtsrechtlichen Mindestanforderungen lag (Abbildung 2).
Warum hohe Inflation und Zinsen hilfreich sind
Hohe Kapitalbestände helfen den Banken auch, den regulatorischen Druck zu bewältigen, der aktuell seinen Höhepunkt erreicht haben sollte. Aktuell versuchen die Banken, den jüngsten Regulierungsvorschlag, der als „Basel III Endgame“ bekannt ist, aufzuhalten. Auch der Vorsitzende der US-Notenbank, Jerome Powell sprach sich im März gegen diesen Vorschlag aus. Der Markt jubelte geradezu über die Aussicht auf eine Aufweichung der Vorschriften. Abgesehen von regulatorischen Fragen reagieren die Finanzunternehmen auch auf makroökonomische Trends. Vieles spricht dafür, dass die US-Wirtschaft bereits zu ihrer „alten Normalität“ zurückgefunden hat. Das heißt auch: Die hohe Inflation wird bleiben. Das ist für Risikoanlagen nicht unbedingt schlecht. Ganz im Gegenteil dürften in diesem Umfeld auch die nominalen Wachstumsraten höher ausfallen – eine Stütze für die Gewinne der Finanzbranche.
Es liegt nahe, dass in den Jahren 2024 und 2025 Aufwärtskorrekturen und ein vernünftiges Wachstum bei Finanztiteln zu erwarten sind. Höheres Nominalwachstum gibt es nicht zum Nulltarif. Selbst wenn die Fed die Zinsen in diesem Jahr wie allgemein erwartet senkt, könnten die Marktzinsen stabil bleiben oder sogar steigen. Unter sonst gleichen Bedingungen könnte dies ein Vorteil für Finanzwerte sein. Immerhin profitieren in diesem Sektor viele Geschäftsmodelle von höheren Zinsen.
Trends frühzeitig erkennen
Momentan lassen sich für wichtige Branchensegmente viele positive Trends beobachten. Einige große Autoversicherer haben ein zweistelliges Preiswachstum gemeldet. Auch die Manager alternativer Anlagen verzeichnen ein starkes organisches Umsatzwachstum, da das Interesse an nicht-traditionellen Anlageprodukten zunimmt. Die jüngste Erholung an den Finanzmärkten ist eine gute Nachricht für Vermögensverwalter. Auch die Erträge im Investmentbanking haben in den vergangenen Monaten bereits Erholung gezeigt, wenn auch von einem niedrigen Niveau. Es bleibt die Frage, wie es mit den Geschäftsbanken weitergeht. Nach dem Schock des vergangenen Jahres sehen die Lebenszeichen zumindest stabil aus. Die Kreditkosten normalisieren sich weiter, nachdem sie jahrelang auf extrem niedrigem Niveau verharrt hatten; insbesondere für Kreditgeber ein gutes Zeichen. Ausgewählte große, diversifizierte Banken, mit einem großen Einlagengeschäft sollten für dieses neue Umfeld gut positioniert sein.
Aktuell spiegeln sich die Fundamentaldaten der Branche noch nicht in den Bewertungen wider. Sowohl der breiter gefasste S&P 500 Financials Index als auch der KBW Bank Index werden mit deutlichen Kurs-Gewinn-Abschlägen gegenüber dem Markt gehandelt (Abbildung 3). Das eröffnet für Aktienanleger Chancen. Es ist an der Zeit, einen neuen Blick auf die US-Finanzwerte zu werfen. Insbesondere Unternehmen mit positiven Gewinnrevisionen, die auf günstige Geschäftstrends zurückzuführen sind, könnten sich lohnen. Finanzwerte sind dabei weit mehr als nur Banken. Durch eine Kombination aus einem diversifizierten Ansatz für den Sektor und einem differenzierten Blick auf die Fundamentaldaten der Unternehmen können Anleger das aufgestaute Potenzial nutzen – und von der Erholung bei amerikanischen Finanzwerten profitieren, die viel zu lange ungeliebt waren.
von Kurt Feuerman, Chief Investment Officer—Select US Equity Portfolios bei AllianceBernstein