Aktiv oder passiv? Lösungen für Unklarheiten rund um ESG-Kriterien

Aktives Management kann Anlegern helfen, Lösungen für einige der größten Herausforderungen im Zusammenhang mit nachhaltigen Aktienanlagen zu finden. AllianceBernstein | 22.05.2024 09:30 Uhr
© Foto von Edson Junior auf Unsplash
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Anleger mit Fokus auf Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung (ESG) setzen zunehmend auf passive Portfolios, die in einem komplexen Marktumfeld offenbar Einfachheit versprechen. Passive Anlagen sind jedoch mit einigen Risiken verbunden. Dies gilt insbesondere für nachhaltige Strategien.

Passive Portfolios gewinnen zunehmend an Bedeutung. Laut Daten von Morningstar überstieg das von passiven Aktienfonds verwaltete Vermögen 2023 erstmals das der aktiv verwalteten Fonds. Bei nachhaltigen Portfolios war der Trend weniger deutlich. Nach Angaben von Morningstar flossen 2023 jedoch weltweit 52,6 Milliarden US-Dollar in passive nachhaltige Aktienfonds, während 16,7 Milliarden US-Dollar aus aktiven nachhaltigen Fonds abgezogen wurden (Abbildung). 

Steht ein Boom passiver Nachhaltigkeitsfonds bevor? Für die Beantwortung dieser Frage ist es noch zu früh. Der Großteil des weltweit verwalteten Vermögens bei nachhaltigen Aktienanlagen in Höhe von 1,87 Billionen US-Dollar entfällt nach wie vor auf aktive Fonds. Ein Vergleich aktiver Strategien ist angesichts unterschiedlicher Nachhaltigkeitsdefinitionen und Investmentprozesse jedoch mitunter schwierig. Darüber hinaus trägt die ESG-Regulierung, die eigentlich nachhaltiges Investieren vereinfachen soll, oft zur Verwirrung bei. Für Anleger, die ein nachhaltiges Investment wünschen, lohnt sich ein genauer Blick auf die Vor- und Nachteile der verschiedenen Ansätze.

Attraktivität passiver Strategien: kostengünstig und einfach

Die Vorzüge passiver Anlagestrategien sind allgemein bekannt. Bei passiven Portfolios fallen geringere Kosten an als bei ihren aktiven Pendants und sie basieren üblicherweise auf klaren Regeln der Indexzusammensetzung. Das ermöglicht eine einfache Partizipation an Markterträgen. Spezialisierte Benchmarks sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen, sodass Anleger leicht eine passive Strategie finden können, die ihren Vorstellungen entspricht.

Nachhaltige Anleger könnten passive Anlagestrategien aufgrund ihrer vermeintlichen Einfachheit als geeignete Lösung betrachten, die ihnen die nähere Auseinandersetzung mit verwirrenden ESG-Vorschriften, komplexen aktiven Anlagestrategien und einer Vielzahl unterschiedlicher Methoden erspart. Die Einfachheit passiver Portfolios wird jedoch möglicherweise überschätzt. In einem sich schnell verändernden Umfeld bietet ein aktiver Ansatz für nachhaltige Aktienportfolios aus unserer Sicht mehrere deutliche Vorteile.

Bewertung der Vorteile einer aktiven Auswahl nachhaltiger Aktien

Nicht zurück, sondern nach vorne blicken. Passive Portfolios bilden typischerweise einen Index nach. Benchmarks sind jedoch von Natur aus rückwärtsgerichtet, da die Gewichtung der Aktien anhand ihrer Marktkapitalisierung erfolgt, die die Wertentwicklung in der Vergangenheit widerspiegelt. Infolgedessen bieten die Titel mit der größten Gewichtung nicht unbedingt die besten Chancen. Aus unserer Sicht haben aktive Manager Zugang zu besseren Research-Tools, um strukturelle Wachstumschancen zu erkennen und strategische Perspektiven für einzelne Unternehmen zu entwickeln. Deshalb sind sie in der Lage, sich gezielt in nachhaltigen Unternehmen mit starken ESG-Profilen zu positionieren, die zukunftsgerichtet sind, zur Anlagestrategie passen und ein attraktives langfristiges Ertragspotenzial bieten.

Die Fundamentalanalyse bietet einen Mehrwert bei ESG-Anlagen. Externe ESG-Kennzahlen sind hilfreich, haben aber gut dokumentierte Schwächen. Die verschiedenen Anbieter geben zum Teil sehr unterschiedliche ESG-Bewertungen für ein und dasselbe Unternehmen ab. Darüber hinaus kann die Gewichtung der drei ESG-Komponenten das Ergebnis verzerren. So kann beispielsweise ein gutes Governance-Ergebnis ein schlechtes Umweltergebnis ausgleichen und ein Unternehmen in einem besseren Licht erscheinen lassen, als angebracht wäre – oder umgekehrt.

Passive Strategien stützen sich bei der Portfoliokonstruktion auf diese Ratings. ESG-Ratings können aktiven Managern aus unserer Sicht als hilfreiches Instrument und Ausgangspunkt für weitere Analysen dienen, um anhand einer klaren Anlagephilosophie die Nachhaltigkeit von Unternehmen zu bestimmen und zu entscheiden, wie diese unter Risiko-Rendite-Gesichtspunkten in die Gesamtstrategie passen.

Sich für positive Veränderungen engagieren. Aktive Aktienmanager sind in der Regel langfristig orientierte Investoren, zu deren Strategie es gehört, mit dem Management der Unternehmen in ihrem Portfolio in den Dialog zu treten. Ein gezielter Dialog mit dem Management über finanziell relevante ESG-Themen bietet die Möglichkeit, das Verhalten von Unternehmen zu beeinflussen und positive Veränderungen zu fördern, die den Unternehmenswert langfristig steigern können. Dieser Ansatz in Kombination mit einer aktiven Stimmrechtspolitik ist unseres Erachtens bei aktiven Managern erfolgversprechender. Auch wenn passive Investoren über Stimmrechte verfügen, haben sie aufgrund ihres breit gestreuten Engagements und der kürzeren Haltedauer in der Regel nicht die gleichen Anreize zur Einflussnahme.

Stärkere Diversifizierung der Ertragsströme. Über die Dominanz der „Glorreichen Sieben“ am Aktienmarkt ist viel gesagt worden. In einigen Fällen sind ESG-orientierte Benchmarks, die passive Strategien nachbilden wollen, sogar noch konzentrierter – vor allem in den USA. So vereinen beispielsweise die zehn größten Aktien in den beiden wichtigsten ESG-Benchmarks von S&P mehr als 40% des Indexgewichts auf sich – deutlich mehr als die 31%, die auf die zehn größten Aktien im breiten S&P 500 entfallen. Beliebte globale ESG-Benchmarks sind weniger konzentriert, unter ihren größten Positionen finden sich aber viele bekannte Schwergewichte, darunter mehrere US-Mega-Caps (Abbildung).

Passive Portfolios, die einen konzentrierten Index nachbilden, halten ebenfalls große Positionen in einer kleinen Gruppe von Unternehmen. Eine hohe Konzentration setzt Anleger aus unserer Sicht Klumpenrisiken aus, die dann zum Tragen kommen, wenn sich die Stimmung gegenüber der Gruppe dominierender Aktien verschlechtert. Die Konzentration kann auch zu einer unbeabsichtigten Übergewichtung bestimmter Sektoren und Aktienstile führen. Aktive Manager können Portfolios mit diversifizierteren Ertragsquellen zusammenstellen, um diese Anfälligkeiten zu verringern.

Entspricht das Portfolio Ihren Nachhaltigkeitsanforderungen?

Angesichts der Ähnlichkeiten zwischen ESG-Indizes und traditionellen Benchmarks kann es sein, dass Anleger ihre definierten Nachhaltigkeitsziele mit einem Indexfonds nicht erreichen. Passive Portfolios haben zwar durchaus ihren Platz in einer breiteren nachhaltigen Allokation, aber wir glauben nicht, dass sie diese Aufgabe allein übernehmen können. Aktive Strategien eignen sich unserer Ansicht nach als eigenständiges ESG-Portfolio oder als ergänzende Komponente im Rahmen einer Core-Satellite-Struktur für Anleger, die einen passiven Anker für Markterträge bevorzugen.

Bei der Festlegung der Allokation sollten Anleger zunächst ihre Nachhaltigkeits- und Finanzziele klar definieren. Dann sollten sie nach aktiven Managern suchen, deren Philosophie mit diesen Zielen übereinstimmt und die Transparenz durch klare und nachvollziehbare Investmentprozesse bieten.

Nicht jeder aktive Manager verfügt über die zur Erzielung nachhaltiger Aktienerträge erforderlichen Fähigkeiten. Aktive Strategien müssen aus unserer Sicht ESG-Research mit Fundamentalanalyse kombinieren, um Unternehmen mit langfristigen Wettbewerbsvorteilen zu identifizieren. Mit einem klar definierten Ansatz können Aktienstrategien die Quellen für überdurchschnittliche Erträge gezielt nutzen, indem sie die Hürden für den Erfolg nachhaltiger Anlagen aktiv überwinden.

Von Amelia Sexton, CFA, Director of ESG Strategy & Operations—Client Group und Kate Mead, Investment Strategist—Equity Business Development bei AllianceBernstein

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