Warum blieb der Gesundheitssektor im vergangenen Jahr hinter dem breiteren Aktienmarkt zurück, und wie sind die Aussichten für 2024?
Vinay Thapar: Anleger in Gesundheitsaktien wurden 2023 enttäuscht, da sich der Sektor schlechter als die globalen Märkte entwickelte. Doch ein genauerer Blick hinter die Fassade offenbart ein komplexeres Bild. In wichtigen Branchen sind die Gewinnwachstumsprognosen robust und die Bewertungen attraktiv. Während die Tech-Titanen die globalen Aktienmärkte inmitten der Begeisterung für Künstliche Intelligenz (KI) anführen, sind andere Sektoren ins Hintertreffen geraten. Meiner Meinung nach haben die Anleger jedoch die Chancen und Anwendungen von KI im Gesundheitssektor übersehen, wo man kurzfristig ein stabiles Gewinnwachstum und längerfristig KI-Optionen finden kann. Aus fundamentaler Sicht ist die Profitabilität im Gesundheitssektor nach wie vor solide, Wachstumschancen sind reichlich vorhanden und das politische Umfeld bleibt beherrschbar.
Was werden Ihrer Meinung nach die wichtigsten Einflussfaktoren für den Gesundheitssektor im Jahr 2024 sein?
Thapar: Als aktive Anleger konzentrieren wir uns auf Qualitätsunternehmen, die von dauerhaften Wachstumstrends in der Branche profitieren und zu attraktiven Bewertungen gehandelt werden. Dazu gehören Diagnostik- und Life-Science-Unternehmen, die zur Verbesserung der Früherkennung von Krankheiten beitragen, sowie Technologieunternehmen, die von der Einführung KI-gesteuerter Lösungen profitieren können, um die Ergebnisse nicht nur in der medizinischen Versorgung, sondern im gesamten Gesundheitssektor zu verbessern. Innovative Ausrüstungsunternehmen entwickeln ebenfalls neue Wege zur Verbesserung der Ergebnisse, z. B. durch Roboterchirurgie und andere Arten von minimalinvasiven Verfahren. Biotechnologiewerte sind relativ teuer, daher müssen Anleger besonders darauf achten, ob das Geschäfts- und Wachstumsprofil eines Unternehmens dieser Gruppe den Kurs rechtfertigt.
Viele Wachstumstrends im Gesundheitssektor werden durch die Notwendigkeit von Effizienz und Kosteneinsparungen in den Gesundheitssystemen auf der ganzen Welt angetrieben. Ich glaube, dass diese Trends über einen längeren Zeitraum anhalten werden und es unwahrscheinlich ist, dass sie durch eine konjunkturelle Schwäche zum Stillstand kommen. Der Schlüssel zum Erfolg für Aktienanleger liegt unseres Erachtens darin, in die Wirtschaft und nicht in die Wissenschaft zu investieren. Das bedeutet, dass Anleger nach Gesundheitsunternehmen mit qualitativ hochwertigen Geschäftsbereichen suchen sollten und es vermeiden sollten, die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung vorherzusagen, was bekanntermaßen schwierig ist. Solche Gesundheitsunternehmen sind gut gerüstet, um kurzfristige Marktschwächen zu überwinden und Aktienanlegern innovative Quellen für beständiges Wachstum auch unter schwierigen Bedingungen zu bieten.
KI ist ein Megatrend, der ganze Branchen verändert und sich täglich auf unser Leben und unsere Arbeitsplätze auswirkt. Wie treibt die KI den Wandel im Gesundheitswesen voran?
Thapar: KI bietet ein enormes Potenzial, die Effizienz des Gesundheitssystems zu verbessern, indem klinische Studien beschleunigt, der Verwaltungsaufwand reduziert und die Ergebnisse durch die Verringerung medizinischer Fehler verbessert werden. Wir glauben, dass sich diese potenziellen Effizienzgewinne nicht in den Bewertungen vieler Unternehmen in diesem Bereich widerspiegeln.
So werden wir in nicht allzu ferner Zukunft wahrscheinlich über KI-gestützte Pflegeassistenten verfügen, die bei der Krankheitsdiagnose, der Terminplanung und dem Ausfüllen ambulanter Krankenblätter helfen und dem medizinischen Personal viele Arbeitsstunden ersparen.
Eine weitere Chance ist das genauere Lesen von medizinischen Bildern. In einer Studie aus dem Jahr 2020 wies Google nach, dass sein KI-Algorithmus beim Lesen von Mammographien zur Erkennung von Krebs effektiver war als erfahrene Radiologen - eine spannende Entwicklung, die sich wahrscheinlich in besseren Patientenergebnissen niederschlagen wird.
KI wird von Unternehmen wie dem US-amerikanischen Veeva Systems und dem irischen Unternehmen ICON in kommerziellen Anwendungen eingesetzt. In dem Maße, in dem sich die KI-Fähigkeiten verbessern und in größerem Umfang zur Diagnose von Krankheiten eingesetzt werden, werden sich unserer Meinung nach Unternehmen, die Software als Dienstleistung für das Gesundheitswesen anbieten, einer größeren Nachfrage erfreuen. Veeva und das japanische Unternehmen M3 bieten eine Reihe von Software-Dienstleistungen an, von klinischen Studien über die Gesundheitsüberwachung zu Hause bis hin zu Marketing-Software für den Pharmavertrieb.
Sollten sich die Anleger Sorgen über die Auswirkungen der US-Wahlen im Laufe dieses Jahres machen?
Thapar: Anleger denken oft, dass Gesundheitsaktien in Wahljahren anfällig für Volatilität sind, aber die historischen Daten sprechen eine andere Sprache. Tatsächlich glauben wir, dass politische Unsicherheit nicht unbedingt akute Risiken für den Gesundheitssektor darstellt. Wenn man bedenkt, dass heute 10% des weltweiten BIP für das Gesundheitswesen ausgegeben werden, genießt der Sektor einen strukturellen Rückenwind, der mit der Alterung der Bevölkerung unabhängig von kurzfristigen politischen Veränderungen an Dynamik gewinnen dürfte. Selbst US-Firmen, die eher binnenorientiert sind, können über Geschäftsmodelle verfügen, die teilweise vor den Risiken der US-Regulierung und Kostenerstattung geschützt sind. Beispiele hierfür sind die Unternehmen der zweiten Reihe, die Arzneimittelentwickler, Medizinproduktehersteller und Krankenhäuser beliefern. Darüber hinaus ist es unwahrscheinlich, dass Diagnostik- und Softwaredienste politischem Druck ausgesetzt sind, insbesondere weil sie dazu beitragen können, die Kosten für die Gesundheitssysteme zu senken. Auch die bereits erwähnte KI-Innovation ist ein Trend, der wohl kaum von der Politik aufgehalten werden wird. Schließlich könnte es wieder zu einer gespaltenen US-Regierung kommen, was in der Regel die Wahrscheinlichkeit der Verabschiedung wichtiger neuer Gesetze verringert. Dadurch wird auch das Potenzial für Haushaltskürzungen eingeschränkt, die die Finanzierung großer Behörden wie der US Food and Drug Administration und der National Institutes of Health gefährden könnten.
Wie würden Sie die Aussichten für Anleger im Gesundheitssektor zusammenfassen?
Thapar: Die Bewertungen im Gesundheitswesen sind nach wie vor angemessen, insbesondere nach der unterdurchschnittlichen Performance im Jahr 2023. Wir glauben, dass Anleger durch Investitionen in hochprofitable Unternehmen mit starken Reinvestitionschancen (einschließlich KI) attraktive langfristige, risikobereinigte Erträge erzielen können. Obwohl sich die Gesamtkonjunktur auf ausgewählte Teilbereiche des Gesundheitswesens auswirken kann, sind wir weiterhin der Ansicht, dass die wirtschaftliche Sensibilität des Sektors im Vergleich zu anderen Sektoren gering ist, während das Innovationspotenzial weiterhin hoch ist. Letztendlich vertraue ich auf unsere seit langem verfolgte Philosophie und unseren Prozess - mit dem Ziel, ein durchgängiges Engagement in Profitabilität und Wachstum zu bieten -, die sich in der Vergangenheit für Anleger als erfolgreich erwiesen haben. Während der Markt weiterhin über die endgültige Höhe der Zinsen und ihre Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft diskutieren wird, bleiben wir bei unserer Überzeugung, dass ein Großteil der Normalisierung der Zinsen bereits stattgefunden hat. In Anbetracht der anhaltenden Innovation in diesem Sektor, kombiniert mit einer hohen Profitabilität und einer geringeren Abhängigkeit von der Konjunktur, sind wir weiterhin der Meinung, dass der Gesundheitssektor langfristig überzeugende Chancen für Aktienanleger bietet.