Der MSCI ACWI legte im ersten Halbjahr auf US-Dollarbasis um 11,3% zu, wobei der größte Anstieg im ersten Quartal erzielt wurde (Abbildung). Japanische Aktien verzeichneten zwar weiterhin eine starke Wertentwicklung in lokaler Währung, fielen aber im zweiten Quartal in US-Dollar auf den Boden der Tatsachen zurück, da der Yen weiter schwächelte. Schwellenländeraktien stiegen in der ersten Jahreshälfte um 7,5%, blieben aber weiterhin hinter den Industrieländern zurück. US-Standardwerte führten in der ersten Jahreshälfte die weltweiten Gewinne an, auch wenn sie im zweiten Quartal an Schwung verloren.
Für die Anleger könnte es an der Zeit sein, ihren Horizont zu erweitern.
Die Marktbreite bei den Standardwerten war erneut stark konzentriert, weil ein großer Teil der Gewinne des S&P 500 auf eine unverhältnismäßig kleine Zahl großer Technologieunternehmen entfiel. Technologie- und Kommunikationsdienstleistungen gaben das Tempo vor, während Aktien aus dem Gesundheitssektor durch die Zunahme von GLP-1-Medikamenten zur Gewichtsreduktion unterstützt wurden. Die schwächste Wertentwicklung wiesen der Immobilien- und der Rohstoffsektor auf (Abbildung). Weltweit übertrafen die Wachstumswerte die Value-Titel, die im zweiten Quartal stotterten.
Inflation bleibt hartnäckig
Zu Beginn des dritten Quartals steht die Inflation weiterhin im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Anleger weltweit. In Europa hat sich der Preisanstieg so weit abgeschwächt, dass die Europäische Zentralbank Anfang Juni ihren Leitzins von 4% auf 3,75% gesenkt hat, doch die Inflation liegt immer noch über dem langfristigen Ziel der EZB von 2%. Wie Kanada und die Schweizerische Nationalbank hat auch die EZB ihre Geldpolitik gelockert. Natürlich gibt es immer noch einige bemerkenswerte Ausreißer im Kampf gegen die Inflation, wie zum Beispiel China, wo sich die politischen Entscheidungsträger mehr auf die Ankurbelung der stotternden Konjunktur konzentrieren.
In den USA hat sich die Federal Reserve weitgehend zurückgehalten, vor allem weil die Inflation regelmäßig nach oben überrascht hat. Die Volkswirte von AllianceBernstein gehen davon aus, dass die Weltwirtschaft in diesem Jahr eine weiche Landung hinlegen wird, wobei die US-Notenbank mit einer geldpolitischen Lockerung wahrscheinlich bis zum vierten Quartal warten wird, sofern es nicht zu einer deutlichen Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt kommt.
Angesichts der hohen Inflation in den USA und in Europa sind wir der Meinung, dass Aktien in den Portfolios der Anleger einen wichtigen Platz einnehmen sollten – vor allem, da die Inflationsraten aus der Zeit vor der Pandemie der Vergangenheit angehören könnten. Historisch gesehen haben sich Aktien als wirksame Absicherung gegen Preissteigerungen erwiesen, und sie haben die Inflation in den letzten 100 Jahren stets übertroffen (Abbildung).
Geopolitische Spannungen und Angebotsschocks könnten die Inflationsaussichten trüben. Dennoch sind wir der Meinung, dass Aktien in einem Umfeld, in dem die Zentralbanken der Welt vor einer zu schnellen Lockerung der Geldpolitik zurückschrecken, ein wesentlicher Bestandteil einer langfristigen Anlageallokation sein sollten.
Anzeichen eines breiter werdenden Marktes?
Aktien mögen zwar gut positioniert sein, aber die Gewinne waren bisher ungleich verteilt. Die zehn wichtigsten Aktien im S&P 500 machen inzwischen mehr als 35% des Indexes nach Marktkapitalisierung aus. Das bedeutet, dass nur 2% der Unternehmen im S&P 500 die Wertentwicklung des Gesamtmarktes bestimmen.
Einige der weltgrößten Technologieunternehmen waren die Hauptnutznießer der steigenden Marktkapitalisierung. Die umgangssprachlich als „Glorreiche Sieben“ bezeichneten Unternehmen – Alphabet (Google), Amazon.com, Apple, Meta Platforms, Microsoft, NVIDIA und Tesla – reiten zumeist auf der Welle einer Revolution der Generativen Künstlichen Intelligenz (GKI).
Doch es könnte sich etwas ändern. Einige der „Glorreichen Sieben“ sind in letzter Zeit ins Wanken geraten, nachdem die Gewinne die Erwartungen nicht erfüllen konnten. Und innerhalb der Gruppe hat sich die Streuung der Erträge zwischen den besten Performern wie NVIDIA und Meta Platforms und den schwächeren Namen wie Tesla weiter vergrößert. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass sich die Marktbreite ausweiten wird. Das zeigt sich in einer sehr niedrigen paarweisen Korrelation der Aktien, was darauf hindeutet, dass einzelne Namen unabhängiger gehandelt werden; unsere Untersuchungen legen nahe, dass dies ein starker Indikator für Chancen für aktive Manager ist. Darüber hinaus wird erwartet, dass sich die Gewinnerwartungen für den breiteren globalen Markt in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 und Anfang 2025 den „Glorreichen Sieben“ annähern werden (Abbildung).
Was ist mit den „Glorreichen Anderen“?
Angesichts der zunehmenden Marktbreite sehen wir Chancen bei den sogenannten „Glorreichen Anderen“. Dabei handelt es sich um Unternehmen mit soliden Bilanzen, beständigen Gewinnen und erheblichem Wachstumspotenzial, die von den Anlegern noch nicht honoriert wurden. Solche Unternehmen finden sich in allen Sektoren und Branchen, einschließlich Value-Segmenten und Schwellenländern, wo viele Unternehmen nicht an lokale Konjunkturtrends gebunden sind.
In Europa beispielsweise machen Industrieunternehmen fast ein Viertel des MSCI Europe Growth Index aus – viermal so viel wie im vergleichbaren Russell 1000 Growth Index. Es wird erwartet, dass die Gewinnschätzungen für Industrieunternehmen im MSCI Europe Growth Index bis 2025 auf 15,9% ansteigen werden – im Einklang mit den Schätzungen für den US-amerikanischen Technologiesektor. Viele Geschäftsmodelle im europäischen Industriesektor bieten überraschende Quellen für beständiges Wachstum, darunter Unternehmen, die Künstliche Intelligenz (KI) ermöglichen.
Auch der Gesundheitssektor entdeckt, wie man Künstliche Intelligenz zur Erschließung von Effizienzpotenzialen und zur Nutzung von KI-Algorithmen zur Entwicklung wirksamerer Arzneimittelkandidaten einsetzen kann. Das Gesundheitswesen macht 10% des globalen Bruttoinlandsprodukts aus – ein struktureller Rückenwind, der mit der Alterung der Bevölkerung in den Industrieländern an Dynamik gewinnen dürfte.
Misserfolge bestrafen, bei positiven Überraschungen gähnen
Es ist jedoch klar, dass einige hochwertige Unternehmen nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen. In den letzten zehn Jahren neigten die Anleger dazu, entgangene Gewinne abzustrafen, während sie Unternehmen, die ihre Gewinnprognosen übertrafen, ignorierten (Abbildung).
Diese asymmetrischen Reaktionen könnten ein Zeichen für einen teuren Markt mit wenig Spielraum für Fehler sein. Unserer Meinung nach unterstreichen sie aber auch die Notwendigkeit eines aktiven Managements. Angesichts der hohen Risiken, die mit einem enttäuschenden Gewinnwachstum – oder in einigen Fällen mit einer Korrektur der Gewinnprognosen nach unten – verbunden sind, kann die Fundamentalanalyse dazu beitragen, erfolgreiche Unternehmen von solchen zu unterscheiden, bei denen ein höheres Risiko besteht, dass die Gewinnziele verfehlt werden. Gleichzeitig glauben wir, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Unternehmen mit robusten Geschäftsmodellen und beständigem Gewinnwachstum belohnt werden.
Investieren in einer Zeit erhöhter politischer Risiken
Im dritten Quartal sind die Bedingungen für Aktien unserer Meinung nach günstig, aber die Anleger sehen sich mit Unsicherheiten konfrontiert, die über die Inflation und die enge Marktkonzentration hinausgehen – einschließlich der sich verändernden politischen Landschaft.
Die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine werfen weiterhin einen Schatten auf die Welt, während die Handelsspannungen zwischen den USA und China schwelen. Nach dem starken Rechtsruck bei den europäischen Parlamentswahlen im Juni brachte das Ergebnis der Parlamentswahl in Frankreich eine gewisse Erleichterung, aber auch bleibende Unsicherheit. In den Schwellenländern könnten die jüngsten Wahlen in Indien, Südafrika, Mexiko und Argentinien zu politischen Veränderungen führen. Und natürlich wartet die Welt mit Spannung auf die US-Wahlen im November.
Doch binäre Anlageentscheidungen auf der Grundlage politischer Ergebnisse zu treffen, halten wir für Aktienanleger nicht für eine kluge Strategie. Die Geschichte hat gezeigt, dass es notorisch schwierig ist, politische Ergebnisse vorherzusagen – oft sind die endgültigen Auswirkungen auf Volkswirtschaften, Märkte und Unternehmen ganz anders als erwartet.
Wir sind der Meinung, dass das erhöhte politische und geldpolitische Risiko die Bedeutung aktiver Aktien noch verstärkt. Anleger sollten versuchen, ausgewählte Unternehmen zu identifizieren, die beständig Gewinne über ihren Kapitalkosten erwirtschaften, was wir als ein starkes fundamentales Rezept zur Erzielung langfristiger Erträge ansehen. Wenn den Anlegern das gelingt, sind sie besser in der Lage, überzeugende Portfolios zusammenzustellen, die einer Reihe von exogenen Herausforderungen standhalten können.
Von Nelson Yu, Head—Equities bei AllianceBernstein