Künstliche Intelligenz (KI) ist heutzutage allgegenwärtig. Es überrascht nicht, dass Unternehmen mit allen Mitteln versucht haben, auf diesen Zug aufzuspringen. Allerdings deutet sich eine Rotation weg von KI-Aktien an, die die Spreu vom Weizen trennen könnte.
Die Anleger müssen nun entscheiden, ob es sich dabei um ein vorübergehendes Phänomen handelt oder um eine langfristige Rotation hin zum breiteren Markt. Wir glauben, dass viele hochwertige Unternehmen, die während des zweijährigen Technologiebooms auf der Strecke geblieben sind, zugute kommen könnten, wenn sich eine nüchterne Betrachtung von KI-bezogenen Aktien durchsetzt.
Trendwende
Die Vorteile der Künstlichen Intelligenz sind unbestreitbar. Sie verspricht, die Geschäftsabläufe von Unternehmen zu revolutionieren, indem sie Routineaufgaben automatisiert, für die sonst wertvolle menschliche Ressourcen benötigt würden. In der ersten Jahreshälfte schien es, als würden Unternehmen mit anhaltenden Kurssteigerungen belohnt, wenn sie KI in Gewinnmitteilungen oder bei Konferenzen auch nur erwähnen. Das Ergebnis waren hohe Bewertungen für alles, was mit künstlicher Intelligenz zu tun hatte, während der Rest des Marktes Einbußen hinnehmen musste.
Im Juli setzte jedoch eine Trendwende ein. Sie begann am 11. Juli, als Small-Cap-Aktien eine beachtliche Rally verzeichneten, während die Bewertungen der Mega-Cap-Technologieunternehmen ins Wanken gerieten. Darauf folgte Ende Juli und Anfang August eine weitere Rotation, als viele Technologieunternehmen ihre Gewinne bekannt gaben. Im Zuge dieser Trendwende wurden manchmal auch wahllos Aktien von Unternehmen verkauft, die eigentlich kaum Bezug zur KI haben und über gut diversifizierte Geschäftsmodelle verfügen. Dadurch ergaben sich attraktive Kaufgelegenheiten.
Die Gewinne von heute oder das Versprechen für morgen?
Unserer Meinung nach besteht ein deutlicher Unterschied zwischen Unternehmen, die bereits von der KI profitieren, und solchen, die diese zu einem wichtigen Bestandteil ihrer zukünftigen Geschäftsstrategie machen möchten. Chipunternehmen wie NVIDIA, die die für das maschinelle Lernen erforderlichen Grafikprozessoren herstellen, fallen eindeutig in die erste Kategorie. Auch Technologieunternehmen wie Microsoft, die – teils aufgrund von KI-Investitionen – eine steigende Nachfrage nach ihren Cloud-Diensten verzeichnen, könnten in naher Zukunft Nutznießer sein. Viele andere Unternehmen fallen jedoch in die zweite Kategorie – insbesondere jene, die die Integration von KI zwar planen, aber noch nicht umgesetzt haben. Genau diesen Unternehmen steht der Markt zunehmend misstrauisch gegenüber.
Investoren achten besonders auf die Profitabilität von KI-Investitionen (Return on AI Investment, ROAI), die durch die massiven Investitionsausgaben der Tech-Giganten noch wichtiger geworden ist. Microsoft wird im Kalenderjahr 2024 voraussichtlich rund 73 Milliarden USD ausgeben, gefolgt von Amazon (fast 70 Milliarden USD), Alphabet Inc. (50 Milliarden USD) und Meta Platforms (knapp 40 Milliarden USD). Auch wenn nicht alle Ausgaben auf KI entfallen, ist die Gesamtsumme von etwa 230 Milliarden USD in einem Jahr doch atemberaubend und eine gewaltige Veränderung im Vergleich zu den rund 100 Milliarden USD im Jahr 2020.
Die Investitionsausgaben der Mega-Caps im Technologiesektor explodieren
Historische Analysen sind keine Garantie für zukünftige Ergebnisse.
Die Prognosen für 2024 basieren auf Konsensschätzungen von Bloomberg. Kann je nach Rechnungslegungsverfahren des Unternehmens aktivierte Leasinggegenstände enthalten.
Stand: 14. August 2024
Quelle: Bloomberg, Unternehmensberichte und AllianceBernstein (AB)
In ihren jüngsten Äußerungen vertraten sämtliche Geschäftsleitungen von Technologieunternehmen die Ansicht, dass eine Unterinvestition in KI ein größeres Risiko darstellt als eine Überinvestition. Das Ergebnis ist ein Wettrüsten, da jedes Unternehmen glaubt, es sich nicht leisten zu können, bei einer neuen Technologie von der Konkurrenz überholt zu werden.
Das beantwortet jedoch keineswegs die Frage, wie diese Unternehmen es bewerkstelligen wollen, dass sich die Investitionen in Höhe von 230 Milliarden USD im Jahr 2024 und die wahrscheinlich noch höheren Ausgaben im Jahr 2025 und darüber hinaus rentieren. Investitionen in KI können das bestehende Geschäft eines jeden Unternehmens auf unterschiedliche Weise unterstützen. Unserer Ansicht nach müssen diese Unternehmen jedoch höhere zusätzliche Einnahmen erzielen, um die ganzen Ausgaben zu rechtfertigen. Ob dies der Fall sein wird, bleibt abzuwarten.
Potenzielle Steigerung des ROAI durch Sprachmodelle
Zusätzliche Einnahmen können möglicherweise mithilfe neuartiger Sprachmodelle erzielt werden. Hier zählen derzeit OpenAI, Anthropic, Llama, Gemini und Mistral AI zu den Marktführern. OpenAI scheint zwar einen knappen Vorsprung zu haben, aber die Modelle aller großen Anbieter werden immer besser. Wie genau damit Gewinne erzielt werden können, ist noch unklar. Auch wissen wir noch nicht, wie marktgängig Sprachmodelle letztendlich sein werden, was sich ebenfalls auf die Profitabilität auswirken wird.
Ein Blick in die Vergangenheit gibt hier Anhaltspunkte. Bei neuen Technologien war es häufig so, dass ein Anbieter letztendlich den Großteil des Marktes beherrschte. Dies war der Fall bei Suchmaschinen, bei den sozialen Medien, beim Online-Handel und – zumindest zu Anfang – bei der Cloud. Die Annahme, dass all diese unterschiedlichen Sprachmodelle die Gewinne steigern können, erscheint recht optimistisch. Außerdem dürfte das „R“ in ROAI für viele Unternehmen im Bereich der KI nur schwer zu erreichen sein, wenn der Besitz eines Sprachmodells zur Grundvoraussetzung dafür wird, dass man seine Marktanteile nicht verliert.
Nicht alle KI-Investitionen sind gleich
Trotz aller Vorbehalte hinsichtlich des Profitabilitätspotenzials erkennen wir an, dass es in den letzten 20 Jahren selten eine gute Idee war, gegen große Technologieunternehmen zu wetten. Gleichzeitig sind wir jedoch der Meinung, dass die Anleger angesichts der astronomischen Investitionsbeträge der Mega-Caps realistische Renditeerwartungen haben müssen.
Im Zuge der weiteren Entwicklung der KI ist es wichtig, selektiv zu sein. Das gilt insbesondere, da es unserer Ansicht nach zunehmend riskant ist, Aktien des gesamten KI-Segments zu halten, wie dies bei zahlreichen passiven Anlegern der Fall ist. Auch wenn die Mega-Caps derzeit die Überflieger sind, könnten es letztendlich kleinere Unternehmen sein, die die größten langfristigen Chancen bieten, da sie tragfähige Erträge erzielen, anstatt Luftschlösser zu bauen.
Von James T. Tierney, Jr., Chief Investment Officer und Michael Walker, Portfoliomanager/Senior Research Analyst bei AllianceBernstein