Gewinne und Cashflow-Wachstum sind die grundlegenden Quellen für langfristige Erträge bei Aktienanlagen. Es mag wie eine Binsenweisheit klingen, aber dieses einfache Prinzip wird in volatilen Märkten oft vergessen. Im Laufe der Zeit hat sich die Wertentwicklung des MSCI Europe eng an das Gewinnwachstum der Unternehmen angelehnt, die in dem Index vertreten sind (Abbildung 1). Der MSCI Europe Growth Index, dessen Komponenten ein höheres Wachstum aufweisen als der breite Markt, konnte sogar noch bessere Erträge erzielen. Anleger, die es verstehen, Unternehmen zu identifizieren, die beim Gewinnwachstum den Markt übertreffen, werden tendenziell mit einer Outperformance belohnt.
Bei der Fundamentalanalyse den Cashflow als wichtige Kennzahl in den Vordergrund zu stellen, macht daher durchaus Sinn. Immerhin könnten Cashflows durchaus als das Lebenselixier gesunder Unternehmen bezeichnet werden. Sie untermauern deren Fähigkeit, das Gewinnwachstum im Laufe der Zeit aufrechtzuerhalten – und zwar auch dann, wenn konjunkturelle Herausforderungen und geopolitische Gefahren die Märkte erschüttern. Letztendlich werden die Aktienerträge im Laufe der Zeit von der Gewinnentwicklung eines Unternehmens bestimmt.
Mit langem Anlagehorizont von der Zeitarbitrage profitieren
Die Erfahrung zeigt, dass für solche Unternehmen ein Anlagehorizont von mindestens fünf bis zehn Jahren optimal ist. Das mag zunächst nach einer recht langen Zeitspanne klingen, um die Zukunft einer Investition zu prognostizieren. Dennoch ergeben sich daraus erhebliche Vorteile: Denn um die Gewinnentwicklung eines Unternehmens besser einschätzen zu können, müssen sich Anleger so auf die Geschäftsdynamik konzentrieren – unabhängig davon, wie volatil das Umfeld ist. In einer Welt, in der die Aufmerksamkeits-spanne immer kürzer wird, können diejenigen, die eine sehr lange Sicht haben, von dem profitieren, was sich als „Zeitarbitrage“ bezeichnen lässt. Ein Beispiel: Wenn die Aktien eines Unternehmens vom Markt aufgrund kurzfristiger Unsicherheiten zu Unrecht abgestraft werden, können Anleger, die von langfristigen Gewinnaussichten überzeugt sind, ihre Positionen stärken und Bestände anpassen.
Entrepreneur-Spirit öffnet neue Perspektiven für Anleger
Anleger kaufen Aktien oft mit dem Gedanken an einen zukünftigen Verkaufstermin. Unternehmerisch denkende Akteure gehen anders vor: Sie kaufen ein Unternehmen, um es weiterzuentwickeln, ohne ein bestimmtes Enddatum für ihr Engagement zu haben. Mit der Denkweise eines Unternehmers konzentrieren sich Anleger auf betriebliche Merkmale, wie den „Wettbewerbsburggraben“ um die Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens oder die Unternehmenskultur, und darauf, wie sie die Beständigkeit der Gewinne unterstützen.
Dadurch ergibt sich eine ganz andere Perspektive, bei der die grundlegende Gesundheit des Unternehmens oberste Priorität hat. Sie kann Anlegern helfen, Marktgetöse herauszufiltern, die vom Kern des Gewinns ablenken könnte. Und er kann Anleger zu Unternehmen in Sektoren und Branchen führen, die nicht immer mit Wachstumspotenzial assoziiert werden – ein gutes Beispiel sind etwa europäische Industrieaktien. Ein unternehmerischer Ansatz kann sogar zu einer noch längeren Haltedauer als den zuvor genannten fünf bis zehn Jahren führen. Ausgewählte erfolgreiche Unternehmen können es sogar verdienen, 15 oder 20 Jahre lang in einem Aktienportfolio gehalten zu werden. Der Aufzinsungseffekt für die Erträge bietet in diesem Fall einen zusätzlichen potenziellen Bonus für Anleger.
Kurzfristige Volatilität vs. langfristige Chancen
In volatilen Phasen bietet der Ansatz einen weiteren Vorteil: Langfristig orientierte Aktienanleger können die kurzfristigen Schwankungen nutzen, um ihre Positionen in Aktien zu stärken, die sich im Laufe der Zeit wahrscheinlich erholen werden. Die Volatilität der Märkte ist eine bekannte Tatsache, und selbst die besten Manager werden irgendwann einmal ein sehr schlechtes Quartal oder sogar Jahr erleben. Natürlich können Abschwünge und Perioden mit schlechter Performance beunruhigend sein. Bevor Investoren jedoch voreilige Schlüsse ziehen, sollten sie sich fragen, warum das Portfolio eine schlechte Performance erzielt hat. Wenn die Anlagestrategie und Philosophie diszipliniert umgesetzt wird, sollten Anleger es nicht abschreiben. Viel besorgniserregender ist es, wenn Portfoliomanager ohne strategische Überlegungen den aktuellen Trends hinterherlaufen.
Gute aktive Manager bleiben auch in volatilen Phasen bei der Stange und zeigen über einen mehrjährigen Horizont eine noch bessere Wertentwicklung. Wenn Investoren die Triebkräfte langfristiger Erträge verstehen, ist es sinnvoll, einen Fünf- bis Zehnjahresausblick zu entwickeln. Um bei einem so langen Blick in die Zukunft Selbstvertrauen zu entwickeln, brauchen Anleger die Mentalität eines Geschäftsinhabers – das hilft dabei, turbulente Zeiten zu überstehen.
Von Thorsten Winkelmann, Chief Investment Officer—Europe and Global Growth bei AllianceBernstein