In den vergangenen Monaten haben sowohl EZB als auch Fed den Lockerungszyklus ihrer Geldpolitik begonnen. Auch die Bank of China hat die Zinsen gesenkt, um das Wachstum anzukurbeln, das hinter dem Jahresziel von 5 Prozent zurückbleibt. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass Zinssenkungen dem angeschlagenen Immobiliensektor des Landes helfen, doch besteht durchaus die Möglichkeit, dass sie die Wachstumsaussichten in anderen Sektoren, die bereits eine gute Wertentwicklung aufweisen, ankurbeln könnten.
Volatilität bleibt Faktor
Die Bemühungen der Marktteilnehmer, den Zeitpunkt und das Ausmaß der Zinssenkungen der Zentralbanken zu erraten, haben die Volatilität auf den Märkten wieder erhöht, ebenso wie die geopolitische Unsicherheit, die sich aus regionalen Konflikten und Wahlen ergibt. Tatsächlich ist etwa die Hälfte der Weltbevölkerung im „Jahr der Wahlen“ 2024 zum Urnengang aufgerufen. Und obwohl die Präsidentschaftswahlen in den USA selten bleibende Auswirkungen auf den Markt haben, könnte die bevorstehende US-Wahl in den nächsten Monaten zumindest die Volatilität mit anheizen.
Anleger sollten sich darauf einstellen, dass sie aufgrund von sich verändernden politischen Erwartungen und überraschenden Daten in kurzfristige Turbulenzen hineingezogen werden können. Breitere Trends wie ein moderates globales Wirtschaftswachstum und hohe Renditen bleiben jedoch wichtiger. Das sind günstige Bedingungen für Anleiheanleger – insbesondere für diejenigen, die den Ansturm auf Anleihen überstehen.
Reinvestitionen führen zu Auftrieb
Experten gehen davon aus, dass Anleihen einen Kursanstieg verzeichnen, da die Renditen in den meisten Industrieländern in den kommenden Monaten sinken werden. Dieser Anstieg könnte besonders hoch ausfallen – insbesondere vor dem Hintergrund, dass aktuell noch viel Geld auf der Suche nach einem Einstiegspunkt on Hold steht. Am 31. August befand sich eine Rekordsumme von 6,6 Billionen US-Dollar in US-Geldmarktfonds, ein Relikt der „T-Bill and Chill“-Strategie, die sich großer Beliebtheit erfreute, als die Zentralbanken ihre Zinsen aggressiv anhoben.
Erfahrungsgemäß fließt bei einer Lockerung der Geldpolitik durch die Zentralbanken Bargeld aus den Geldmärkten ab und zurück in längerfristige Schuldtitel. Der daraus resultierende Anstieg der Nachfrage nach Anleihen trägt dazu bei, den mit Zinssenkungen der Zentralbanken einhergehenden Rückgang der Renditen zu verstärken. Da die Menge an Bargeld, die heute an der Seitenlinie steht, beispiellos ist, ist der potenzielle Anstieg der Nachfrage nach Anleihen außergewöhnlich hoch. Aktuell Schätzungen gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren etwa 2,5 bis 3 Billionen US-Dollar an die Anleihenmärkte zurückkehren werden.
Sieben Taktiken für das aktuelle Umfeld
Für Anleiheanleger könnten sich insbesondere folgende Ratschläge im aktuellen günstigen Umfeld auszahlen:
1. Jetzt investieren: Wenn Ihr Vermögen immer noch in Tagesgeld geparkt ist, entgehen Ihnen die täglichen Einnahmen aus Hochzinsanleihen sowie potenzielle Kursgewinne bei sinkenden Renditen. Der Schluss liegt nahe, dass Anleger im heutigen Umfeld wahrscheinlich mehr in Anleihen investieren sollten als in der Vergangenheit.
2. Duration verlängern: Wenn die Duration Ihres Portfolios, das heißt seine Zinsempfindlichkeit, kürzer geworden ist, sollten Sie eine Verlängerung in Betracht ziehen. Bei sinkenden Zinsen kommt die Duration dem Portfolio zugute. Staatsanleihen, die reinste Quelle für Duration, bieten zudem reichlich Liquidität und helfen, die Volatilität der Aktienmärkte auszugleichen.
3. Global denken: Die idiosynkratischen Chancen nehmen nicht nur weltweit zu, da das Timing (und die Richtung) der Zentralbanken voneinander abweichen, sondern der Vorteil der Diversifikation über verschiedene Zins- und Geschäftszyklen hinweg auch stärker ist.
4. In höher verzinste Anleihen investieren: Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um höher verzinste Papiere zu meiden oder unterzugewichten. Obwohl die Spreads eher eng sind, bleiben die Renditen bei bonitätsempfindlichen Vermögenswerten in der Nähe historischer Höchststände. Die Fundamentaldaten der Unternehmen sind nach wie vor relativ gut. Sinkende Zinsen dürften dazu beitragen, den Refinanzierungsdruck auf die Emittenten zu verringern. Dennoch sollten Anleger selektiv vorgehen und auf die Liquidität achten. Zyklische Branchen, Unternehmen mit CCC-Rating und verbriefte Schuldtitel mit niedrigerem Rating sind bei einer Konjunkturabschwächung am anfälligsten.
5. Auf ausgewogenes Portfolio achten: Sowohl Staats- als auch Unternehmensanleihen sollen in Portfolios eine Rolle spielen. Zu den effektivsten Strategien gehören solche, bei denen Staatsanleihen und andere zinsempfindliche Vermögenswerte mit wachstumsorientierten Anleihen in einem einzigen, dynamisch verwalteten Portfolio kombiniert werden. Dies trägt dazu bei, Risiken zu mindern – wie zum Beispiel die Rückkehr extremer Inflation oder einer globalen Rezession.
6. Vor Inflation schützen: Anleger sollten angesichts des erhöhten Risikos künftiger Inflationsschübe und der Bezahlbarkeit eines expliziten Inflationsschutzes eine Erhöhung ihrer Allokationen in Inflationsstrategien in Betracht ziehen. In einer Analyse von AllianceBernstein ist der Inflationsschutz – der aktuell auf dem Markt für inflationsgeschützte US-Treasuries (TIPS) bei etwa 2,1 Prozent liegt – günstig.
7. Systematischen Ansatz erwägen. Das heutige Umfeld erhöht auch das potenzielle Alpha aus der Wertpapierauswahl. Aktive, systematische Anleiheansätze können Anlegern dabei helfen, diese Chancen zu nutzen. Systematische Strategien stützen sich auf eine Reihe von Prognosefaktoren, wie zum Beispiel die Dynamik, die durch traditionelle Investitionen nicht effizient erfasst werden. Da systematische Ansätze von unterschiedlichen Faktoren der Wertentwicklung abhängen, können ihre Erträge traditionelle aktive Strategien ergänzen.
Unabhängig davon, welche Strategien Sie nutzen: Aktive Anleger sollten die Chancen nutzen, die sich in den kommenden Monaten aus der erhöhten Volatilität und dem Rückenwind des Marktes ergeben. Vor allem ist es wichtig, jetzt wieder in die Anleihenmärkte einzusteigen, um die heutigen hohen Renditen und das hohe Ertragspotenzial nicht zu verpassen.
Von Scott DiMaggio, CFA, Head—Fixed Income bei AllianceBernstein