Verschärfte Zölle, starker Dollar: Droht mit Trump für Schwellenländer die nächste Trockenphase? Das Umfeld wird schwieriger, aber nicht alle Unternehmen in Schwellenländern werden durch die Agenda des neuen US-Präsidenten gleichermaßen beeinträchtig, meint Sammy Suzuki, Head of Emerging Markets Equities bei AllianceBernstein. Welche Gründe auch in den kommenden Monaten für Schwellenländer sprechen, warum China wichtig aber nicht alles ist – und wie Investoren auf den Emerging Markets trotz einem schwierigeren Umfeld Perlen finden können, erklärt der Finanzmarktexperte in seinem Marktkommentar.
Schwellenländer (EM) scheinen besonders anfällig für die politischen Pläne von Präsident Donald Trump. Diese Unsicherheit könnte jedoch bei Aktien, die resilienter sind als die Marktbewertungen erwarten lassen, Chancen schaffen. Glaubt man den Märkten, sieht es für Schwellenländeraktien nach der Wahl Trumps nicht gut aus. Seit dem Wahltag am 4. November bis zum 21. Januar ist der MSCI Emerging Markets (EM) Index um 4,0 Prozent gefallen, während der S&P 500 Index um 6,2 Prozent gestiegen ist. Das ist eine klaffende Renditelücke von 10,2 Prozentpunkten zwischen US- und Schwellenländeraktien über einen Zeitraum von zweieinhalb Monaten.
Zölle und Währung vermiesen die Stimmung
Diese negative Stimmung ist durchaus nachvollziehbar. Immerhin bekräftigte Trump nach seinem Amtsantritt sein Versprechen, Zölle auf mexikanische und chinesische Waren einzuführen. Die Erwartung eines stärkeren US-Dollars und eine Schwächung der Währungen einiger Schwellenländer könnte eine weitere Hürde für Unternehmen aus Emerging Markets darstellen, die in die USA exportieren. All dies folgt auf ein Jahrzehnt mit schwacher Performance von Schwellenländeraktien.
Tatsächlich haben sich die Aktien der Schwellenländer während der ersten Amtszeit von Trump relativ gut entwickelt. Von Trumps Amtseinführung am 20. Januar 2017 bis zum Januar 2021 erzielte der MSCI EM Index eine jährliche Rendite von 14,1 Prozent in US-Dollar und übertraf damit den MSCI World Index mit 13,3 Prozent. Auch wenn die Wertentwicklung in der Vergangenheit zukünftige Risiken nicht ausgleicht, gibt es Anzeichen dafür, dass es in den kommenden Jahren mehr Hoffnung für Aktien aus Schwellenländern gibt als allgemein angenommen:
1. Trumps Politik ist bereits eingepreist
Als Trump 2016 für seine erste Amtszeit gewählt wurde, wusste niemand, was kommen wird. Diesmal ist die politische Agenda klar kommuniziert. Trotz der Unberechenbarkeit des Präsidenten ist absehbar wie die neue Regierung vorgehen wir. Das bedeutet auch, dass viele potenziell negative Auswirkungen bereits in den Markt eingepreist sind. Die Aktien der Schwellenländer blieben 2024 hinter den Aktien der Industrieländer zurück. Wir glauben, dass die anschließenden niedrigen Bewertungen (siehe Grafik 1) bereits die erwarteten verschlechterten Bedingungen für Unternehmen in den Schwellenländern widerspiegeln.
Abbildung 1:EM-Gewinnprognose und hoher Abschlag deuten auf Erholungspotenzial hin
Quelle: Bloomberg, FactSet, MSCI and AllianceBernstein (AB)
Dennoch sind die Prognosen für das Gewinnwachstum in den Schwellenländern für 2025 tatsächlich höher als die für Unternehmen in den Industrieländern. Gleichzeitig befinden sich die Gewinnrevisionen auf einem Tiefpunkt, was in der Vergangenheit oft starke zukünftige Renditen signalisiert hat. Diese Anzeichen bedeuten nicht, dass die Risiken für Emerging Markets nicht real sind. Sie untermauern jedoch die Annahme, dass es für selektive Investoren durchaus Chancen auftun, um unterbewertete Unternehmen mit attraktivem Renditepotenzial zu finden.
2. Die Resilienz chinesischer Exporte
US-Zölle sind für chinesische Unternehmen zu einer Tatsache geworden, lange bevor Trump für seine zweite Amtszeit gewählt wurde. Seit 2016 – und auch unter der Biden-Regierung – mussten sich chinesische Unternehmen mit strengeren Zollregeln arrangieren. Es liegt der Schluss nahe, dass dies zu einem Rückgang des chinesischen Handels geführt hat. Tatsächlich ist der Anteil Chinas an den weltweiten Exporten in den vergangenen Jahren jedoch gestiegen (siehe Grafik 2). Dieser Trend spiegelt die Anpassungsfähigkeit chinesischer Unternehmen wider, die ihre Lieferketten etwa über Länder wie Mexiko und Vietnam umgeleitet haben. Chinesische Unternehmen, die ihre Lieferketten in den vergangenen Jahren strategisch bereits neu konfiguriert haben, dürften gut positioniert sein, um die Rentabilitätseinbußen aufgrund neuer Zölle zu überwinden.
Abbildung 2: Chinesische Unternehmen haben sich an den Zolldruck angepasst
Quelle: International Monetary Fund and AB
3. Indien, Vietnam und Mexiko als Profiteure
Trumps Politik zielt darauf ab, die Produktion in die USA zurückzubringen. Doch unabhängig davon, welche Anreize für US-Unternehmen geschaffen werden, ist die Annahme unrealistisch, dass sie insbesondere die kostengünstigere Produktionsschritte nach Amerika zurückholen werden. Die Produktion von Kleidung, Spielzeug und sogar vielen elektronischen Komponenten dürfte außerhalb der USA nach wie vor kostengünstiger sein. Höhere Zölle werden an dieser Wettbewerbsgleichung nicht immer etwas ändern. Anleger können nach Unternehmen in Schwellenländern in Branchen Ausschau halten, die derzeit als potenzielle Opfer der neuen US-Politik gelten, aber möglicherweise unbeschadet davonkommen. Insbesondere Länder wie Indien, Vietnam und Mexiko könnten von den Trump-Zöllen sogar profitieren und Anlegern in Schwellenländern neue Möglichkeiten bieten.
4. Chinas Konjunkturpakte schaffen Dynamik
Was unternimmt China? Diese Frage ist immer noch unbeantwortet. Die chinesische Politik ist immer schwer vorherzusagen. Aber Folgendes wissen wir: Erstens kündigte China für 2024 einen enormen fiskalischen und geldpolitischen Anreiz in Höhe von fast 6 Prozent des BIP an. Zweitens haben in der Vergangenheit große chinesische Konjunkturpakete chinesische Börsenrallyes angekurbelt, die auch die Renditen der Schwellenländer im Allgemeinen erhöht haben. Tatsächlich haben die fiskalischen Anreize die chinesischen Aktien im dritten Quartal 2024 beflügelt, als sie weltweit die beste Performance zeigten. Die fiskalischen und geldpolitischen Maßnahmen des letzten Jahres wirken sich immer noch auf die Wirtschaft und die Unternehmen aus. Natürlich ist Chinas Wirtschaft immer noch träge. Aber jedes neue Konjunkturpaket im Jahr 2025 könnte die Dynamik für chinesische Aktien – und für Schwellenländeraktien im Allgemeinen – dramatisch verändern.
5. China ist nicht alles bei Schwellenländern
Angesichts der Dominanz Chinas auf der Weltbühne werden die Geschicke des Landes von Anlegern oft mit denen aller anderen Schwellenländer und -unternehmen gleichgesetzt. Dies ist jedoch ein Fehler. Anleger in Schwellenländern können China nicht ignorieren, da es die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist und Ende 2024 mit 26,2 Prozent im MSCI EM Index gewichtet war. Das Universum der Unternehmen im MSCI EM-Referenzindex ist jedoch vielfältig und reicht von großen Gewichtungen wie Indien und Südkorea bis hin zu aufstrebenden Akteuren wie Saudi-Arabien und kleineren Referenzwert-Mitgliedern wie Brasilien, Griechenland und Polen. Investoren können sogar verborgene Schätze in Ländern außerhalb des Referenzwerts finden – etwa in Kasachstan.
Unternehmen außerhalb Chinas sind möglicherweise weniger von Zollrisiken betroffen, wenn der Handelskrieg zwischen den USA und China eskaliert. Zudem gibt es auch weitere Impulse: von Unternehmen, die Wegbereiter der künstlichen Intelligenz sind bis hin zu Nutznießern der südkoreanischen Reform. Diese Unternehmen werden mit geringerer Wahrscheinlichkeit von Maßnahmen der USA betroffen sein. Findige Investoren können eine diversifizierte Sammlung von Aktien aus Schwellenländern zusammenstellen, die dazu beitragen, regionale Risiken zu reduzieren, insbesondere wenn sich die Auswirkungen der US-Politik bemerkbar machen.
Aktive Anleger profitieren
Insgesamt ist wahrscheinlich, dass die Renditen der EM-Märkte im Jahr 2025 unter Druck geraten. Dennoch waren EM-Aktien in der Vergangenheit für geschickte aktive Anleger eine sehr gute Alpha-Quelle mit über dem Markt liegenden Renditen (siehe Grafik 3). Wie können aktive Anleger in der neuen Trump-Ära in den Schwellenländern erfolgreich sein? Der Schlüssel liegt darin, das politische Risiko zu einem wesentlichen Bestandteil der Fundamentalanalyse zu machen. Anleger sollten nach Unternehmen suchen, die weniger anfällig für die US-Politik sind, wie etwa Firmen, die nicht auf die USA als Hauptexportmarkt angewiesen sind, oder Unternehmen, die wichtige Komponenten herstellen, für die es in den USA keine unmittelbaren Alternativen gibt. Unternehmen, die bereits ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt haben, ihre Lieferketten zu rationalisieren, können bei zunehmenden Handelsspannungen ebenfalls Wettbewerbsvorteile bieten.
Abbildung 3: Schwellenländer bieten fruchtbaren Boden für aktive Aktienmanager
Quelle: eVestment and AB
Vor allem aber sollte die Analyse politischer Risiken in einen kohärenten und disziplinierten Prozess der Aktienauswahl integriert werden, um den allgegenwärtigen Pessimismus zu überwinden, der verborgene Perlen bei Schwellenländeraktien verschleiern. Das bedeutet, dass sich Anleger auf qualitativ hochwertige Unternehmen mit Merkmalen wie Wettbewerbsvorteilen, Preismacht und Managementfähigkeiten konzentrieren sollte. Auf diese Weise können lassen sich Aktienportfolios auf den Emerging Markets so kalibrieren, dass sie in einer sich schnell verändernden Welt eine gute Performance erzielen und langfristig starke Ergebnisse liefern.
Von Sammy Suzuki, Head Emerging Markets Equities bei AllianceBernstein