Die USA weisen ein erhebliches Nettohandelsdefizit gegenüber der Europäischen Union (EU) auf. Europa hat einen Überschuss – da aber mehr Exporte gefährdet sind, ist es in einem möglichen Handelskonflikt auch in der schwächeren Position.
Trotz früherer (inzwischen ausgesetzter) Zollgegenmaßnahmen und jüngster Gerüchte über mögliche Handelsbeschränkungen halten wir Verhandlungen für das beste Instrument der EU. Während der 90-tägigen Zollpause wird die EU diplomatische Mittel einsetzen, um die neuen US-Zölle vollständig abzuschaffen und sich gleichzeitig gegen neue Zölle, wie etwa mögliche Abgaben auf Arzneimittel und Halbleiter, zu wehren.
Sollten die US-Zölle bestehen bleiben oder erhöht werden, hat die EU eine weitere Option: Sie kann Zölle auf US-Dienstleistungsexporte in die Eurozone erheben. Während die US-Regierung das Güterhandelsdefizit des Landes mit der Eurozone hervorhebt, haben die USA bei Dienstleistungen einen Überschuss.
Die EU könnte sogar so weit gehen, das weitreichende Instrument gegen Zwangsmaßnahmen anzuwenden , doch dieser mutige Schritt wäre unwahrscheinlich, insbesondere gegenüber einem so mächtigen Handelspartner und Verbündeten wie den USA.
Die EU-Staats- und Regierungschefs haben ein weiteres Problem: die hohen US-Handelszölle auf chinesische Produkte. Diese werden wahrscheinlich dazu führen, dass chinesische Waren zu niedrigen Preisen in Drittländer – insbesondere in die Eurozone – umgeleitet werden . Eine starke Umleitung der Handelsströme in die Eurozone würde sowohl die aktuelle Handelsbilanz mit China als auch die europäische Industrie gefährden. Die EU diskutiert die Situation bereits mit China und steht kurz vor der Einrichtung einer speziellen Task Force zur Überwachung chinesischer Importe. Ein spezifisches Abkommen mit China könnte jedoch für die USA inakzeptabel sein und die Zollkonflikte neu entfachen, was wiederum zu höheren US-Zöllen für die Eurozone führen könnte.
Alternativ könnte die EU Zölle erheben und/oder spezifische Antidumpingmaßnahmen ergreifen, um die Flut chinesischer Importe einzudämmen und deren Preise zu kontrollieren. Die Kalibrierung dieser Maßnahmen wäre ein äußerst schwieriger Balanceakt: Sie müssten streng genug sein, um Preisrückgänge in der Eurozone zu verhindern, ohne den Handel mit China gänzlich zu behindern.
Die EU befindet sich in einer äußerst schwierigen Lage – nicht nur einer, sondern gleich zwei ihrer größten Handelspartner haben starke Trümpfe in der Hand.
Von Sandra Rhouma, European Economist – Fixed Income bei AllianceBernstein