Aktive Anleger müssen sich in einem Strom von Nachrichten zurechtfinden, der ihre Wahrnehmung der Unternehmen, in die sie investieren, beeinflussen und sie von den ursprünglichen Gründen für ihre Investitionsentscheidungen ablenken kann. Angesichts dieser Informationsflut ist ein hoch fokussierter Ansatz erforderlich, um das Rauschen herauszufiltern und sich auf das wesentliche Anlageargument jedes einzelnen Investments zu konzentrieren.
Das erste Halbjahr 2025 war ein Paradebeispiel dafür: Zölle beherrschten die Schlagzeilen, und viele veröffentlichte Analysen konzentrierten sich stark auf die Zollrisiken von Unternehmen – oft auf Kosten anderer wichtiger Faktoren. Laut Bloomberg-Daten stieg die Häufigkeit von Begriffen wie „Zölle“ und „Handelskriege“ in Unternehmensgesprächen zu Quartalsergebnissen im ersten Halbjahr 2025 im Vergleich zu anderen gängigen wirtschaftlichen und geschäftlichen Themen sprunghaft an (siehe Grafik).
Abbildung 1: Handelskrieg und Zölle verdrängten andere Themen
Häufigkeit ausgewählter Begriffe in Gewinntranskripten des 2.Quartals 2025 (prozentuale Veränderung gegenüber dem 4. Quartal 2024)
Quellen: Bloomberg und AllianceBernstein (AB)
Wichtige Anker für Wachstumsinvestoren
Wie können Aktienanleger verhindern, vom Kurs abzukommen? Unserer Ansicht nach besteht das beste Gegenmittel gegen Nachrichtenüberflutung darin, sich an zentrale Grundsätze zu halten, die die fundamentalen Treiber des Gewinnwachstums definieren. Der besondere Reiz von Wachstumsaktien liegt in ihrem Potenzial für ein beschleunigtes Gewinn- und Cashflow-Wachstum über einen langen Zeitraum hinweg. Daher ist es aus unserer Sicht nur logisch, dass Anleger ihren Fokus auf die langfristige Entwicklung richten sollten – und nicht auf das tägliche Auf und Ab der Nachrichtenlage.
Dieser langfristige Ansatz erfordert ein anderes Denken: Wer wie ein Unternehmer denkt, erkennt leichter die Eigenschaften von Unternehmen und Managementteams, die langfristigen Erfolg ermöglichen. Mit dieser Perspektive können beunruhigende Schlagzeilen und Marktturbulenzen zu Chancen werden – nämlich, hochwertige Wachstumsunternehmen zu attraktiven Preisen zu erwerben – statt als Bedrohung zu wirken, die Investoren aus soliden Anlagen vertreibt.
Welche Eigenschaften schätzt ein erfolgreicher Unternehmer?
- Wettbewerbsvorteile stehen an erster Stelle. Großartige Unternehmen zeichnen sich durch starke – oft unterschätzte – langfristige Wachstumspotenziale aus. Ihre Vorteile beruhen häufig auf strukturellen Wachstumstreibern, die nicht direkt von der allgemeinen Wirtschaftslage abhängen, etwa technologischen Entwicklungen, Innovationen im Gesundheitswesen, industrieller Automatisierung oder dem Übergang zu nachhaltiger Energie. Zusätzlich werden diese Vorteile durch hohe Markteintrittsbarrieren verstärkt – sei es durch hohen Investitionsbedarf, technologische Führerschaft oder überlegene Qualität.
- Ein globales Mindset eröffnet mehr Chancen. Auch wenn viele führende Wachstumsunternehmen in den USA ansässig sind, finden sich attraktive Unternehmen weltweit – oft zu günstigeren Bewertungen.
- Eine robuste Unternehmenskultur ist unerlässlich. Starke Führungskräfte übernehmen Verantwortung – und erwarten, für ihre Entscheidungen zur Rechenschaft gezogen zu werden, unabhängig vom Ergebnis. Dezentralisierte Unternehmensführung, bei der Entscheidungsbefugnisse und Verantwortung auf Geschäftseinheiten verteilt sind, ist ein gutes Zeichen für ein gut geführtes Unternehmen.
- Hervorragende Führung baut resiliente Unternehmen auf. Unternehmerisch denkende Manager mit langfristigem Fokus bauen gezielt Widerstandsfähigkeit in ihre Unternehmen ein. In Europa etwa haben viele Unternehmen durch gezielte Diversifikation Maßnahmen ergriffen, um sich gegen globale Schocks – wie Zölle – abzusichern. Beispiele sind: weltweite Präsenz, dezentrale Entscheidungsstrukturen, diversifizierte Lieferketten über verschiedene Länder und Lieferanten sowie lokale Produktionsstätten, die innerhalb von Zollgrenzen operieren können.
- Übernahmen müssen den Aktionären, nicht dem Management dienen. Wachstumsunternehmen mit Übernahmestrategien müssen im M&A-Bereich (Mergers & Acquisitions) durch ein umsichtiges Vorgehen überzeugen, da schlecht ausgeführte Übernahmen oft Aktionärswerte vernichten. Erfolgreiche Unternehmen lassen sich Zeit bei der Zielauswahl und vermeiden spektakuläre Deals, die nur kurzfristige Gewinne liefern sollen. Besonders in fragmentierten Märkten bauen sie ihre Wettbewerbsposition durch eine Serie strategischer Zukäufe aus – beginnend mit kleineren lokalen Anbietern bis hin zu regionalen und globalen Akquisitionen. Insbesondere ein Blick auf „Serien-Aufkäufer“ könnte sich lohnen, da diese Strategie zur Skalierung, Verbesserung der Einkaufsmacht, Förderung organischen Wachstums und Vertiefung des Wettbewerbsvorsprungs beiträgt.
- Langweilig kann vorteilhaft sein. Erfolgreiche Unternehmer streben nachhaltige Ergebnisse an – nicht kurzfristige Aufregung. Viele Unternehmen mit konstanten Erträgen wirken von außen betrachtet unspektakulär. In Europa bieten ausgewählte Industrieunternehmen in eher unbekannten Nischenmärkten erstaunlich stabiles, langfristiges Wachstum. Insgesamt bilden organisches Wachstum, eine kluge Übernahmestrategie mit disziplinierter Kapitalallokation und gesunde Kapitalrenditen ein solides Fundament für nachhaltigen Erfolg – auch wenn das selten für Schlagzeilen sorgt.
Das Rauschen in einer dynamischen Welt herausfiltern
Hochwertige, konsistente Unternehmen können gutes Wachstum liefern – sind aber nicht immer medienwirksam. Allzu oft verbreiten Finanzmedien Schlagzeilen über angeblich schwächelnde Fundamentaldaten, um Dramatik zu erzeugen und Klicks zu generieren – zusätzlich zur ohnehin bestehenden Unsicherheit durch Handelskonflikte, makroökonomische Herausforderungen und geopolitische Spannungen. Anleger, die ein Unternehmen wirklich verstehen, durchschauen diesen Informationsnebel und können mit Überzeugung eine Perspektive von fünf bis zehn Jahren einnehmen.
In einer Welt, in der Nachrichtenströme schädliche Narrative erzeugen und negative Schlagzeilen die Kursentwicklung beeinflussen können, verlieren Anleger mitunter das Vertrauen – selbst in resiliente Unternehmen. Wer sich jedoch an zentrale Grundsätze hält, kann das wahre Potenzial eines Unternehmens besser erkennen und Marktverwerfungen als strategische Chancen für nachhaltiges Aktienwachstum nutzen.
Von Thorsten Winkelmann, Chief Investment Officer – European and Global Growth Equities bei AllianceBernstein