Wie viel doch in 100 Tagen passieren kann. Als Donald Trump am 20. Januar 2017 als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wurde, überschlugen sich die Medien mit Schlagzeilen zu drohenden Handelskriegen mit den großen Schwellenländern. Doch schon nach Trumps ersten 100 Tagen im Amt, am 29. April 2017, hatte die handelsfeindliche Rhetorik deutlich nachgelassen und ein größerer Pragmatismus Einzug gehalten.
Entsprechend besser war die Stimmung an den Schwellenbörsen. Im Wahlkampf forderte das Trump-Team noch die Aufkündigung der nordamerikanischen Freihandelspartnerschaft NAFTA und bezichtigte China der Währungsmanipulation. Inzwischen ist der Ton deutlich weniger konfrontativ. Jetzt will Trump NAFTA neu verhandeln und thematisiert in Bezug auf das Handelsungleichgewicht mit China auch Ansätze, um die US-amerikanischen Agrarexporte in das wachstumsstarke Land zu steigern.
Der US-Präsident scheint erkannt zu haben, dass ein offener Protektionismus komplexe und unvorhersehbare Folgen haben kann. Dank dieses Sinneswandels konnten sich Investoren zuletzt wieder auf die Stärken der Emerging Markets konzentrieren. Eine davon ist eine vermutlich auf Jahre hinaus höhere Wachstumsdynamik als in den Industrieländern. Länder wie Indonesien profitieren von einer jungen und wachsenden Bevölkerung. In Ländern wie Indien eröffnen Strukturreformen neue Wachstumspotenziale. Insgesamt spricht die Verbesserung der Außenbilanzen für einen nachhaltigeren Wachstumspfad mit einer geringeren Abhängigkeit von den globalen Anlageströmen. Für zusätzliche Unterstützung sorgt vielerorts zudem eine akkommodierende Geldpolitik. In diesem günstigen Umfeld florieren viele Unternehmen. Natürlich gibt es auch Ausnahmen und Risiken – hier die richtige Auswahl zu treffen, ist aber Aufgabe des aktiven Managers.
Was macht das längerfristig überdurchschnittliche Wachstumspotenzial dieser Länder aus? Einfach ausgedrückt ist die Kombination von steigender Produktivität und einer günstigen demografischen Entwicklung ein sicheres Rezept für höheres Wirtschaftswachstum. So wie eine Bäckerei mehr Brot backen kann, wenn sie effizientere Öfen installiert und mehr Leute einstellt. Das Potenzial der Industrieländer ist dagegen deutlich geringer. Ihre Wirtschaft ist bereits sehr produktiv und ihre Bevölkerungen altern. Der Effekt der inkrementellen Verbesserung ist daher zugunsten der Schwellenländer verzerrt.
Das Ergebnis ist ein großer Wachstumsabstand. Das chinesische BIP zum Beispiel ist im letzten Quartal 2016 mit 7% gewachsen und China hat im ersten Quartal 2017 ein auf das Jahr hochgerechnetes Wachstum von 6,9% verzeichnet. Europa und die USA müssen sich derweil mit jährlichen BIP-Wachstumsraten von 1-2% begnügen. Über die Zeit betrachtet sollte sich die Wachstumsprämie der Emerging Markets auch in höheren Erträgen am Aktienmarkt niederschlagen.
Bessere Aussichten
Seit Donald Trumps Sieg in den US-Präsidentschaftswahlen am 8. November 2016 haben die Sorgen nachgelassen. Am gleichen Tag hatte Indiens Regierung mit der Entwertung aller Rs500 und Rs1000 Banknoten einen Großteil des im Barumlauf befindlichen Geldes in Indien aus dem Verkehr gezogen.
Die Auswirkungen dieser beiden Ereignisse waren erheblich. Im vierten Quartal 2016 gab der MSCI Emerging Markets Index um -4,1% nach (in US-Dollar). In den USA scheint das Trump-Team seither erkannt zu haben, dass ein offener Handelsprotektionismus komplexe Konsequenzen und möglicherweise abträgliche Folgen für die US amerikanische Wirtschaft hätte. So hat sich die neue Administration zuletzt pragmatischer gezeigt. Derweil scheint die indische Wirtschaft die Geldentwertung ohne größere negative Folgen weggesteckt zu haben. Dadurch haben sich globale Investoren zuletzt wieder stärker auf die fundamentalen Stärken der Emerging Markets besonnen. Durch die erneuten Zuflüsse in die Aktienmärkte der Schwellenländer ist der MSCI Emerging Markets Index im ersten Quartal um +11,5% gestiegen. Bis zum 8. November hatten sich die Emerging Markets nach drei schwierigen Jahren wieder erholt.
Als die US-Notenbank 2013 kurz vor einer Zinserhöhung zu stehen schien – Stichwort „Taper Tantrum“ –, kehrten die Investoren den höher rentierenden und riskanteren Anlagen der Schwellenländer wieder vermehrt den Rücken und repatriierten einen Großteil ihrer Anlagegelder. Gleichzeitig minderte die hohe und steigende Inflation den inflationsadjustierten Anlageertrag und damit die Attraktivität dieser Länder für ausländische Investoren. Am stärksten traf diese Kapitalflucht die Emerging Markets, die hohe Leistungsbilanzdefizite aufweisen und sehr stark von ausländischem Kapital abhängig sind. Nach dem Taper Tantrum haben viele Schwellenländer Reformen angestoßen, um ihre Ungleichgewichte zu reduzieren. In dieser Zeit erhöhten sich die Devisenreserven, so dass die Länder einen größeren Puffer für eine plötzliche Trendumkehr der Kapitalflüsse hatten.
Tatsächlich sind die Leistungsbilanzen der Emerging Markets zuletzt deutlich ins Positive gedreht. Länder wie Indonesien haben schmerzvolle Neuausrichtungen durchgemacht, um eine nachhaltigere Konsumbasis aufzubauen und ihre Anfälligkeit für externe Schocks zu reduzieren. In den meisten dieser Märkte wächst der Konsum und es laufen zahlreiche Reformprojekte. Indonesien zum Beispiel investiert in großem Stil in die öffentliche Infrastruktur, während die Philippinen ihr Steuersystem reformieren, Brasilien eine Reform des Altersvorsorgesystems in Erwägung zieht und Indien ein ganzes Reformpaket auf den Weg geschickt hat. In vielen dieser Länder sind die Zinsen zudem relativ hoch. Dadurch haben die Notenbanken Spielraum für eine Lockerung der Geldpolitik. Gleichzeitig profitieren die Rohstoffexporteure von der Erholung der Rohstoffpreise. Konkret haben 2016 zwei Ereignisse für kräftigen Rückenwind gesorgt. Als erstes hat die Vorsitzende der Fed die Märkte beruhigt, indem sie erklärt hat, dass die Fed bei ihren Zinsentscheidungen sowohl inländische als auch internationale Faktoren wie das chinesische Wachstum berücksichtigen würde. Zweitens sorgen in China inzwischen zwei Faktoren für positive Wachstumsimpulse: zum einen die angebotsseitigen Reformen in Sektoren mit Überkapazitäten – wie Stahle und Kohl – und zum anderen die 2015 eingeleiteten Maßnahmen zur Förderung der Bautätigkeit im Immobiliensektor.
Nicht alle Emerging Markets sind gleich
Wir halten die Rückbesinnung auf die fundamentalen Stärken der Emerging Markets für gerechtfertigt. Wie das Trump-Team feststellt, sind die Volkwirtschaften dieser Welt inzwischen so stark verflochten, dass eine Rückabwicklung der Globalisierung ein extrem schwieriges Unterfangen wäre. Viele US amerikanische Technologieunternehmen zum Beispiel haben Lieferketten, die bis nach China und Südostasien reichen. In Handelskriegen gäbe es keine Gewinner. Aber nicht alle Emerging Markets sind gleich.
Wir mögen Mexiko, weil das Land von einer Wachstumserholung in den USA profitieren würde und sich der inländische Konsum sehr dynamisch entwickelt. Gleichzeitig haben die USA ihre Haltung zu NAFTA verändert und planen jetzt keine Aufkündigung der Partnerschaft mehr, sondern nur noch eine Neuverhandlung. Verdeutlicht wird der Stimmungswandel durch Peter Navarros Verweise auf die geplante Schaffung eines „Trade Powerhouse“ zwischen den USA, Kanada und Mexiko. Die bessere Stimmung hat den mexikanischen Aktien und dem Peso zu einer kräftigen Rally verholfen. Aktien wie die des Einzelhandelskonzerns Walmex profitieren von den steigenden Konsumausgaben. Das höhere Kreditwachstum wiederum wird Banorte, einer der größten mexikanischen Banken, zugutekommen.
In Indien hat Premierminister Narendra Modi große Zusagen gemacht und löst diese jetzt auch nach und nach ein. Seine ambitionierte Demonetarisierung – ein Schlag gegen die Korruption und die Schattenwirtschaft – ist Teil eines weitreichenderen Reformprogramms. Ein Kernelement dieses Programms ist die für Juli geplante Einführung einer nationalen Güter- und Dienstleistungssteuer, die mindestens 15 verschiedene Steuern auf nationaler und bundesstaatlicher Ebene ersetzen und so die Steuerhinterziehung eindämmen, die Steuerverwaltung schlanker machen und die Logistikkosten senken soll. Darüber hinaus hat Modi die Infrastrukturausgaben erhöht und die Digitalisierung vorangetrieben. Dadurch haben inzwischen 200 Millionen Inder erstmals ein eigenes Bankkonto. Schließlich hat Modi die Beschränkungen ausländischer Investitionen in verschiedenen Sektoren vom Versicherungswesen bis zur Rüstungsindustrie gelockert. Der Erdrutschsieg seiner BJP-Partei mit der höchsten Mehrheit seit 30 Jahren bei der Wahl in Bundesstaat Uttar Pradesh im März war ein klares Vertrauensvotum für seine Reformpolitik.
Weniger klar ist der Ausblick derweil in Brasilien. Die durch die Absetzung von Präsidentin Dilma Rousseff 2016 eingeläutete politische Kurswende hat der brasilianischen Währung genauso wie brasilianischen Aktien und Anleihen kräftigen Auftrieb gegeben. Während der Rückgang der Risikoprämie und der Trend zu einem von niedrigeren Zinsen gekennzeichneten Umfeld von Dauer sein könnte, dürfte die Rückkehr auf den Wachstumspfad schwerer fallen. Brasilien kämpft immer noch mit hohen Haushaltsdefiziten und Staatsschulden. Daher wird die bevorstehende Reform des Altersvorsorgesystems ein wichtiger Indikator des Fortschritts bei der Lösung dieser Probleme sein.
Gleichzeitig hat der jüngste Bestechungsskandal rund um das Bauunternehmen Odebrecht gezeigt, dass die Korruption in Regierungskreisen ein potenzieller Belastungsfaktor für die Märkte bleibt. Im Vergleich zu den Märkten der Industrieländer erscheinen Emerging-Market-Aktien insgesamt attraktiv, notieren aber mit einem Bewertungsabschlag. Sie steigern ihre Gewinne schneller, die Gewinnrevisionen befinden sich im Aufwärtstrend und die Eigenkapitalrenditen sind vergleichbar mit denen der Industrieländerunternehmen.
Treiber dieser positiven Ertragsentwicklung sind vor allem die höheren Rohstoffpreise, der stabile und günstigere US-Dollar und die zuletzt ermutigende Entwicklung des globalen Handels.
Was das Ertragswachstum angeht, wird zum Beispiel erwartet, dass der koreanische Tech-Riese Samsung 2017 alle seine Rivalen aus dem Westen klar hinter sich lässt. Interessanterweise ist nicht China, sondern eben Korea beim Gewinnwachstum in Asien führend (prozentual betrachtet). Ein Emerging- Market-Unternehmen nach dem anderen übertrifft die Konsenserwartungen an das Gewinnwachstum. Das eröffnet Spielraum für höhere Dividendenzahlungen und stützt damit die Aktienkurse.
Globale Perspektive und lokales Know How
Mit der schwindenden Wahrscheinlichkeit von Handelskriegen verziehen sich auch die Wolken, die den Ausblick für diese spannenden jungen Länder zuletzt verdunkelt hatten. Mit dem Rückgang der externen Herausforderungen ist der Ausblick im Vergleich zum Jahreswechsel deutlich optimistischer geworden. Für positive Überraschungen haben der schwächere US-Dollar, die geringere Wahrscheinlichkeit eines steilen Zinspfads in den USA und die zuletzt starke Wachstumsdynamik in China gesorgt.
Wir behalten Risiken wie die jüngste Kreditverknappung in China oder geopolitische Risiken im Zusammenhang mit Nordkorea zwar weiter im Auge, sind aber eindeutig optimistischer als zu Beginn der Amtszeit von Donald Trump. Selbst nach der jüngsten Rally notieren Emerging-Market-Aktien noch immer auf einem Niveau, das gemessen an ihren überdurchschnittlichen langfristigen Wachstumsaussichten attraktiv erscheint. Sie weisen eine ähnliche Eigenkapitalrendite wie Industrieländerunternehmen auf, sind aber günstiger bewertet (siehe Grafik unten).
Abb. 1: EM-Aktien mit Bewertungsabschlag trotz ähnlicher Eigenkapitalrendite wie Industrieländerunternehmen
Es wäre falsch, alle Emerging Markets über einen Kamm zu scheren. Der Trend ist zwar insgesamt positiv, es gibt aber Ausnahmen. Die Auswahl der richtigen Länder und Unternehmen erfordert globale Perspektive und Lokalmarkt-Knowhow. Langfristige Überrenditen lassen sich potenziell nur mit einem aktiven Ansatz erzielen, der Top-down- Research mit Bottom-up-Fundamentalanalysen kombiniert.
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