"Dass die Märkte 2017 so gut gelaufen sind, hat mehrere Gründe. Ein wesentlicher war die deutliche Verbesserung der Wachstums- und Gewinnaussichten. Trotzdem bedeuten die hohen Kursverluste der vergangenen Woche im Umkehrschluss nicht, dass sich dieser Ausblick drastisch verschlechtert hat. Wer verstehen will, was wirklich hinter dieser Marktkorrektur steckt, muss tiefer schürfen und in einige der verborgendsten Ecken der Finanzarchitektur vordringen – zugegebenermaßen kein einfaches Unterfangen für den Laien.
Der VIX Index – auch als ‚Angstindex‘ der Wall Street bekannt – misst die implizite Volatilität börsengehandelter Optionen auf den S&P 500 Index für die kommenden 30 Tage. Werden mehr Optionen gekauft als verkauft, steigt die implizite Volatilität bei ansonsten gleichen Bedingungen.
Bei den Investmentbanken ist die Bereitschaft, Optionen zu verkaufen, gewöhnlich groß. Die Banken haben ganze Teams, die sich nur mit dem Management des mit Short-Positionen in Optionen verbundenen Risikos beschäftigen. Dazu gehört die Steuerung des Risikos durch Preisänderungen an den Märkten (mithilfe einer als ‚Delta Hedging‘ bezeichneten Absicherungsstrategie). Aber auch andere ‚Griechen‘ gilt es zu managen – allen voran Gamma und Vega, zwei weitere für die Bewertung von Optionsscheinen wichtige Kennzahlen.
In den letzten Jahren ist das Kapitalvolumen, das mit den Market-Making-Aktivitäten der Investmentbanken verbunden ist, gesunken. Man könnte annehmen, dass der Preis der impliziten Volatilität (das ‚Vega‘) dadurch gestiegen ist.
Parallel dazu kam es jedoch zu einem starken Wachstum von Exchange-Traded Notes (ETNs), die strukturell short in Vega sind: Sie sind permanente Verkäufer impliziter Volatilität und tragen so dazu bei, diese zu mindern. Der Vormarsch dieser Produkte ist ein wichtiger Aspekt, aber nur eine von mehreren finanztechnischen Entwicklungen, die dazu beigetragen haben, die implizite Volatilität zu dämpfen.
Scheinbar führten mehrere große Optionstransaktionen Anfang dieses Jahres dazu, dass die Hedger weniger Gamma- und Vega-Exposure hatten als ihnen lieb war (weil sie zu wenig Risikokapital hatten). Da sich die implizite Volatilität in der Nähe eines Zehn-Jahres-Tiefs bewegte, gab es wenig Anreiz für die natürlichen Leerverkäufer von Volatilität, ihre Positionen aufzustocken (und somit dieser Hedging-Nachfrage nachzukommen). Das Ergebnis: Ein so starker Anstieg der impliziten Volatilität, dass Short-Vega ETNs spektakuläre Verluste verbuchten. Ein Beispiel ist der XIV Fund, der Anfang letzter Woche liquidiert werden musste. Durch den Marktausstieg dieses natürlichen Verkäufers impliziter Volatilität ist der VIX noch weiter gestiegen.
Wie wirken sich Veränderungen der impliziten Volatilität der Optionsmärkte auf die Assetpreise aus?
Auf unterschiedliche Weise. Vor allem ist die implizite Volatilität stets in die Risikoaufschläge von Aktien eingepreist. Dadurch gibt es tendenziell gute kurzfristige Verbindungen zwischen dem VIX und den Aktienkursen. Aber es gibt auch systematische Verbindungen, und diese haben in den letzten Jahren zugenommen. Das Wachstum des verwalteten Vermögens von Risk-Parity-Strategien und systematischen Vola-Strategien (die die implizite Volatilität als Variable in ihrer Asset Allocation verwenden) kann die direkten Verbindungen zwischen VIX-Schocks und Kursbewegungen verstärken: Wenn der VIX steigt, müssen diese Strategien auf die Ursprungsgewichtung zurückgesetzt werden. Das führt dazu, dass ein Anstieg der impliziten Volatilität zu einem Anstieg der realisierten Volatilität führt: Der Schwanz wedelt mit dem Hund. Mittelfristig ist eine höhere realisierte Volatilität eine Variable in allen finanziellen Risikomanagement-Prozessen. Damit ist anzunehmen, dass ein geringeres Brutto-Exposure in Aktienanlagen einem bestimmten antizipierten Risikoappetit entspricht.
Auf welche Risiken müssen wir uns jetzt einstellen?
Das Wissen, dass die jüngsten Kursentwicklungen an den Märkten durch Zwangsverkäufe verstärkt wurden, sagt uns noch nichts über Ausmaß oder Dauer dieser Marktphase: Assets, die sich verbilligt haben, könnten noch viel billiger werden, bevor sich der Markt wieder beruhigt. Die Assetpreise sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen und langfristig orientierte Investoren sitzen auf hohen Zugewinnen. Außerdem scheinen einige der Faktoren, die die Märkte in den letzten Jahren gestützt haben, jetzt zu drehen: In mehreren Industrieländern zeichnet sich ein schnellerer Anstieg der Zinsen ab, die QE-Politik in den USA läuft langsam aus und fast überall gibt es erste Hinweise auf steigende Löhne und Gehälter. Die Unternehmen sind hoch verschuldet. Dadurch werden unerwartete Rückschläge in der Entwicklung der Unternehmensgewinne gravierendere Folgen für die Finanzmärkte haben. Die Bewertungen sind zwar günstiger als noch vor einer Woche, aber immer noch nicht günstig. All das dämpft unser Interesse an einer deutlichen Anhebung unserer Aktienquoten über das Niveau hinaus, auf dem sie standen, als die Aktienmärkte zuletzt so notierten wie aktuell.
Welche Anpassungen an unseren Portfolios haben wir vorgenommen?
Die jüngsten Aktienmarktentwicklungen geben uns keinen Grund zur Sorge, dass wir mit unserer Prognose eines starken globalen Wachstums und deutlichen Anstiegs der Gewinne je Aktie falsch liegen könnten. Hinter dieser Marktkorrektur stehen unserer Ansicht nach eher bewertungstechnische als fundamentale Faktoren. Vor dem jüngsten Kurssturz waren weder die Aktien- noch die Anleihenmärkte besonders günstig bewertet, aber wir sahen noch viele attraktive Anlagemöglichkeiten. Die Tatsache, dass sich die Kursverluste aus finanztechnischen Gründen noch weiter verstärken könnten, weil weitere große systematische Fonds in die Liquidation gezwungen werden könnten, stimmt uns vorsichtig. Wir nutzen diese Chance jedoch für eine Aufstockung unserer Positionen in den von uns bevorzugten Märkten, um die von den Zwangsverkäufern freigesetzten Wertpotenziale zu vereinnahmen."
Toby Nangle, Global Co-Head of Asset Allocation, Head of Multi-Asset, Columbia Threadneedle
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