Zum ersten Mal in der Geschichte leben auf der Erde mehr Menschen im Alter von über 60 als unter fünf Jahren. In vielen Ländern können die Menschen heutzutage davon ausgehen, dass sie 60 Jahre oder älter werden. 2018 lebten weltweit 125 Millionen Menschen, die 80 Jahre oder älter waren. Im Jahr 2050 wird es laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) allein in China fast so viele über 80-Jährige geben, nämlich 120 Millionen. Die überwältigende Mehrheit (80 Prozent) der älteren Menschen wird 2050 in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommensniveau leben.
Wissenschaftler warnen vor Stagnation
Angesichts solcher Zahlen zur alternden Gesellschaft machen Wirtschaftswissenschaftler sich im Allgemeinen Sorgen über eine wirtschaftliche Stagnation. Denn es gibt immer weniger neue Arbeitskräfte, um die Produktion zu steigern. Doch einige Sektoren der Wirtschaft könnten von dieser Alterung der Menschen profitieren. Welche? Nun, die Freiheit im Alter hängt ganz wesentlich von zwei Faktoren ab: der Gesundheit und der finanziellen Situation.
So dürften die Gesundheitsausgaben in den zehn Jahren bis 2030 laut Prognosen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) das BIP-Wachstum übersteigen, hauptsächlich aufgrund der zunehmenden Lebenserwartung in den Entwicklungsländern. Mit Blick auf Finanzprodukte für die Altersvorsorge geht man davon aus, dass die Pensionskassenbestände bis 2025 ein Niveau von 61,1 Billionen USD erreichen werden, während sie sich 2018 noch auf 42,2 Billionen USD beliefen, so die Association of the Luxembourg Fund Industry. Daher dürften das Gesundheits- und das Finanzwesen in einer „silbernen“ Wirtschaft sogar bessere Anlagemöglichkeiten bieten.
Goldenes Zeitalter für Pharmafirmen bricht an
Wie genau können Anleger von einer „silbernen“ Wirtschaft profitieren? Im Gesundheitswesen könnten die Aussichten für Pharmafirmen kaum besser sein. Die Alterung der Bevölkerung facht die Nachfrage nach Medikamenten an. Gleichzeitig treiben neue Technologien wie die Genomik Innovationen voran. Damit hat ein goldenes Zeitalter für die Medikamentenentdeckung begonnen. So gibt es inzwischen viele neue bahnbrechende Medikamente für Krankheiten, unter denen vermehrt ältere Menschen leiden, beispielsweise Lungen- und Blutkrebs, Diabetes und Multiple Sklerose. Auch für seltene Krankheiten wie Fettleibigkeit gibt es heutzutage vielversprechende Medikamentenkandidaten in der Entwicklungspipeline. Diese Dynamik gewinnt weiter an Fahrt.
Gesundheitstechnologie ist ein weiterer Bereich, den die Alterung der Bevölkerung begünstigt. Überall auf der Welt suchen überlastete Krankenhäuser nach Möglichkeiten, wie sie effizienter werden können. Technologie kann ihnen helfen, den Druck zu verringern. Beispielsweise dürften Stationsvisiten, wie sie früher gemacht wurden, bald der Vergangenheit angehören. Denn ein Unternehmen hat zentrale Monitore entwickelt, über die Patienten auf der Intensivstation überwacht werden können. So kann eine einzige medizinische Fachkraft alle Monitore gleichzeitig beobachten und sofort eingreifen, falls Patienten Hilfe benötigen.
Bedarf an finanzieller Altersvorsorge wächst
Dass die Menschen für einen längeren Ruhestand mehr sparen müssen, ist allgemein anerkannt. So hat zum Beispiel in China die rasante Alterung der Bevölkerung dazu geführt, dass die Gesellschaft sich Gedanken über die Betreuung älterer Menschen macht. Das Ergebnis: Der Markt für die finanzielle Altersvorsorge soll kommerzialisiert werden. Daraus werden sich gemäß einem aktuellen Bericht von McKinsey & Company Wachstumsmöglichkeiten für Finanzdienstleister ergeben. Auch wenn China aufgrund seiner Größe und seiner demografischen Gegebenheiten ein Sonderfall ist, sehen andere Industrie- und Entwicklungsländer sich mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert.
Das Versicherungswesen ist ein weiterer Nutznießer dieser Entwicklung. Denn ältere Menschen schließen verschiedene Versicherungen ab, von Reise- bis hin zu Lebenspolicen. Dazu zwei Beispiele aus Asien: Thailand verzeichnet einen rapiden Anstieg der Anzahl älterer Menschen. Laut Thailands Office of Insurance Commission war man davon ausgegangen, dass die thailändische Lebensversicherungsbranche zwischen 2018 und 2019 um fünf bis sechs Prozent wachsen würde. Chinas Lebensversicherungsmarkt wuchs 2019 noch rascher, er legte nach Angaben von Swiss Re Sigma um beeindruckende 15,9 Prozent zu.
Es besteht kein Zweifel daran, dass mit der weltweiten Alterung der Bevölkerung auch die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Stagnation zunimmt. Gleichzeitig dürfte es auch in einer „silbernen“ Wirtschaft“ weiterhin Wachstumsbereiche geben. In einer Zeit, in der sich die Weltwirtschaft mit extremen Herausforderungen aufgrund der Folgen der Corona-Pandemie konfrontiert sieht, dürften speziell auch ausgewählte Unternehmen im Gesundheits- und Finanzwesen von einer viel stärkeren langfristigen Schubkraft profitieren.
Herbert Kronaus, Country Head Österreich bei Columbia Threadneedle Investments