Britische Aktien hätten sich seit Jahrzehnten deutlich schlechter entwickelt als andere Marktsegmente. Colwell: „Wir sind sehr günstig, auch wenn man Energieunternehmen und Banken ausklammert. Dies spiegelt eine 20-jährige Phase wider, in der sich Investoren aus dem britischen Markt zurückgezogen haben, allen voran Pensionsfonds.“ Dementsprechend lägen das Kurs-Gewinn- und Kurs-Buchwert-Verhältnis sowie die relative Wertentwicklung im Vergleich zum globalen Aktienindex MSCI World so niedrig wie nie seit den 1970er Jahren.
Auch nach den Verlusten im Frühjahr angesichts der Corona-Pandemie hätten sich britische Aktien längst nicht so gut erholt wie Werte aus den USA, Schwellenländern oder Europa insgesamt. „Dies ist zum Teil Hedgefonds geschuldet, die ein Gegengewicht zu ihren umfangreichen Wetten auf US-Technologiewerte brauchen, indem sie irgendwo Short-Positionen eingehen – und das sind zufälligerweise britische Aktien“, schreibt Colwell. „Wir befinden uns in einer verhängnisvollen Schleife.“
Der Experte erwartet jedoch eine Trendwende. „Wahrscheinlich wird diese vom Private-Equity-Sektor ausgehen, der in Großbritannien über genug Feuerkraft verfügt und diese Value-Arbitrage nutzen kann.“ Dass der Brexit dies verzögere, sei nicht zu erwarten. Denn der Markt habe bereits einen harten Brexit ohne Abkommen mit der Europäischen Union eingepreist. „Mein Gefühl ist, dass die ersten Gebote bei Aufschlägen von rund 50 Prozent statt der üblichen 30 Prozent kommen dürften“, schreibt Colwell.
Bei den Branchen setzt der Experte auf einen breiten Mix. Zwar hätten sowohl der Brexit als auch die Corona-Pandemie Druck auf einige Branchen ausgeübt, unter anderem Freizeit, Reisen und Einzelhandel. „Wir wollen diese in Mitleidenschaft gezogenen Sektoren künftig aber nicht außen vor lassen. Wir wollen sie weiterhin als Option in unseren Portfolios – in Ergänzung zu der Widerstandskraft, die uns während der Pandemie gute Dienste geleistet und uns vor Schlamassel bewahrt hat. Gemeint sind Branchen wie Pharma und Nahrungsmittel-Einzelhandel.” Dass die Dividenden britischer Aktien Schätzungen zufolge um 40 bis 50 Prozent sinken könnten, ficht Columbia Threadneedle nicht an. Colwell: „Es zahlt sich aus, dass wir nicht zu obsessiv auf Dividenden schauen, was zulasten der Gesamtrendite gehen könnte.“
Zudem seien kleinere und mittelgroße Unternehmen einen Blick wert. Nach einer Rezession würden sich diese typischerweise vier bis fünf Quartale lang schlechter entwickeln als der Gesamtmarkt, wobei aktuell das dritte Quartal laufe. „Aber dann performen sie üblicherweise auch zwei oder drei Jahre lang besser. Insofern nähern wir uns einem sehr interessanten Punkt im Zyklus dieses spezifischen Marktsegments“, schreibt Colwell und zieht folgendes Fazit: „Der britische Markt mag wie das vergessene Land anmuten. Aber die beste Zeit zum Investieren kann dann sein, wenn es sich am unbequemsten anfühlt.“