Für Steven Bell, Chefvolkswirt von Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region, gibt es keinen Zweifel: Die Fed erhöht die Zinssätze, um eine Rezession in den USA herbeizuführen. „Eine Rezession für die Weltwirtschaft bleibt unser Basisszenario. Diese Rezession wird die direkte und beabsichtigte Folge der US-Zinserhöhungen sein“, schreibt Bell in einem aktuellen Marktkommentar. Abgesehen von den Energiekosten wirkten die Treiber der Inflation in den USA weiter, sodass die US-Notenbank die Zinsen so lange anheben müsse, bis sie eine Rezession in den USA herbeiführt. „Dies wird zu dem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen, der erforderlich ist, um die Nachfrage zu dämpfen und die Inflation auf das Zielniveau zurückgehen zu lassen.“ Da die Arbeitsmärkte jedoch flexibel seien und es kaum Anzeichen für die Art von Ungleichgewichten gebe, die seinerzeit die globale Finanzkrise ausgelöst haben, dürfte diese Rezession im Jahr 2023 weder tief noch langanhaltend sein. „Wenn alles gut geht, können wir sogar eine wirtschaftliche Erholung deutlich vor Ende des Jahres erwarten.“
Die Gaspreiskrise sorgte für eine europäische Rezession
Auch Europa steuert auf eine Rezession zu. Dies ist eine direkte Folge der Energiekrise, die durch die russische Invasion in der Ukraine ausgelöst wurde. Der Druck, den die Energiekrise auf die Wirtschaft ausübt, wird andere Quellen der Inflation abwürgen so der Ökonom. Daher sei zu erwarten, dass die europäischen Volkswirtschaften nach Überwindung des schlimmsten Winters mit dem Erholungsprozess beginnen können. Die Unwägbarkeiten sollten nicht unterschätzt werden, mahnt Bell. Die Koalitionsregierungen werden harte Entscheidungen über Energiesubventionen treffen müssen. „Ein warmer und windiger Winter würde einen erheblichen Unterschied machen, im Gegensatz zu einem, in dem sich die Windturbinen nicht drehen und die Temperaturen sinken.“
Die britische Regierung hat die Rezessionsrisiken verändert, nicht beseitigt
Das mangelnde Urteilsvermögen der britischen Regierung hat eine Marktkrise verursacht. Das sei angesichts der Stärke der britischen Finanzmärkte nicht irreparabel. Die bisherigen Aussichten für Großbritannien waren ähnlich wie im übrigen Europa: eine energiepreisbedingte Krise, bei der die Inflation durch die damit einhergehende Rezession verdrängt werden würde. Die Ankündigung der Regierung, die Kraftstoffpreise zu subventionieren und die Steuern zu senken, dürfte das Schlimmste für die Verbraucher und die drohende Rezession abwenden. Damit bleibt die Bank of England in der Rolle der US-Notenbank, die die Zinssätze anhebt, um die Inflation zu bekämpfen. Die importierte Inflation aufgrund des schwachen Pfund Sterling verschärft das Problem Bell zufolge. „Das Rezessionsrisiko wurde also eher aufgeschoben und umgewandelt als aufgehoben.“ Höhere Hypothekenzinsen dürften sich schnell auf dem Wohnungsmarkt bemerkbar machen, auch wenn sich die Auswirkungen für viele Haushalte bei Festzinskrediten verzögern.
Für Marktoptimismus ist es zu früh - die Rezession hat noch nicht einmal begonnen
Die Aussichten für Aktien bleiben Bell zufolge negativ: „Für Anleger ist es zu früh, sich auf einen Aufschwung im Jahr 2023 zu freuen. Auch wenn die Märkte die Inflations- und Rezessionsprognosen eindeutig einkalkulieren, sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass die Realität immer anders aussieht als die erwartete Erfahrung. Eine kurze Rezession ist nur im Nachhinein erkennbar.“
Den vollständigen Kommentar in englischer Sprache nebst Grafiken finden Sie hier.