„2022 erleben wir den aggressivsten koordinierten Straffungsschritt der Zentralbanken seit Jahrzehnten. Es stellt sich die Frage: Wann wird das alles enden? Die Antwort lautet: Wenn sie das Gefühl haben, die Inflation im Griff zu haben, was wiederum von den jeweiligen Volkswirtschaften abhängt.
Der US-Arbeitsmarkt bleibt angespannt
In den USA gibt es eine merkwürdige Kombination von Wirtschaftskräften. Wenn man nach Schwachstellen sucht, findet man sie im BIP – dem umfassendsten Maß für die Wirtschaftstätigkeit. Zwar wuchs das BIP im dritten Quartal 2022, aber in den beiden vorherigen Quartalen schrumpfte die Wirtschaftskraft. Es gibt eine echte Rezession auf dem Immobilienmarkt, wo sowohl die Aktivität als auch die Preise einbrechen. Die Konjunkturdaten sind rückläufig, was jedoch durch die Stärke des Arbeitsmarktes ausgeglichen wird. Dort weisen alle Indikatoren auf eine angespannte Lage hin. Niedrige Arbeitslosigkeit bedeutet steigende Löhne und steigende Mieten – die beiden stärksten und hartnäckigsten Inflationsquellen in den USA. Am Freitag wird der Arbeitsmarktbericht für Oktober veröffentlicht. Solange dieser nicht negativ ausfällt, wird die US-Notenbank unter Druck stehen, die Zinsen weiter anzuheben.
Wir denken seit langem, dass eine Rezession erforderlich ist, um die Inflation in den USA zu senken. Das würde eine Verringerung der Gewinnspannen und einen Rückgang der Erträge mit sich bringen. Wir befinden uns in der Berichtssaison für das 3. Quartal, und das Gesamtbild zeigt, dass die Unternehmen bereits damit zu kämpfen haben, die Erwartungen der Analysten zu erfüllen. Die Gewinnaussichten sind nicht gut. Investoren rechnen mit enttäuschenden Updates.
Europäische Inflationsängste
Die deutsche Inflationsrate stieg im Oktober auf 11,6 % und lag damit weit über den Erwartungen. Die Europäische Zentralbank sieht sich mit einer schwächelnden Wirtschaft und einer hohen Inflation konfrontiert – ein explosives Gemisch für eine Zentralbank.
Fiskalische Unsicherheit in Großbritannien
In Großbritannien muss die Bank of England (BoE) vor dem Hintergrund einer unsicheren Haushaltslage handeln. Wir gehen davon aus, dass sie es sich leicht machen und die Zinsen im Einklang mit dem Marktkonsens um 75 Basispunkte anheben wird. Die britische Wirtschaft hat bereits zu kämpfen, und der plötzliche Anstieg der Hypothekenzinsen wird die Kosten weiter anheizen. Die Zinsen bleiben niedrig, selbst wenn die BoE sie wie erwartet auf 3 % anhebt, aber die Ära der ultraniedrigen Zinssätze ist vorbei. Und das verheißt nichts Gutes für den Wohnungsmarkt.
Optimismus für 2023
Die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und für Risikoanlagen sind schwierig. Die Aktienkurse sind bereits stark gefallen und die Investoren rechnen mit einer wirtschaftlichen Schwäche. Es könnte durchaus zu einem weiteren Ausverkauf von Risikoanlagen kommen, der sich bis ins Jahr 2023 fortsetzt, aber das könnte eine Kaufgelegenheit sein.“
Den vollständigen Videokommentar von Steven Bell finden Sie hier.
Von Steven Bell, Chefvolkswirt von Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region