„Analysten sprechen gerne von einer Weihnachts-Rallye, bei der Aktien in der Vorweihnachtszeit gut abschneiden. Ich denke, dass uns um Weihnachten und Neujahr herum etwas anderes bevorstehen könnte: ein Anstieg der Konsumausgaben.
Die Verbraucherausgaben können Ökonomen in der Regel sehr gut prognostizieren. Das liegt vor allem an zuverlässigen Faktoren wie Einkommen und Vermögen. Doch aufgrund von Corona war es zuletzt deutlich schwieriger, sie vorherzusagen. Trotz Unterstützung vonseiten der Regierungen in den Industrieländern hielten sich die Verbraucher mit ihren Ausgaben zurück. Dies führte zu erhöhten Ersparnissen und einer geringeren Verschuldung. Und die Zahlen sind immens. In den USA haben die Verbraucher das ganze Jahr über ihr Erspartes genutzt und ihre Ausgaben trotz geringerer Realeinkommen erhöht. Hätten sie ihren Konsum entsprechend der rückläufigen Einkommen reduziert, wären die Verbraucherausgaben um mehr als 6% gesunken und wir hätten eine schwere Rezession erlebt.
In Europa ergibt sich ein anderes Bild. Dort hat der Ukraine-Krieg das Vertrauen sowohl durch die steigenden Gaspreise als auch durch allgemeine Ängste aufgrund wirtschaftlicher und militärischer Unsicherheit stark beeinträchtigt. Die Verbraucher in Europa haben zwar aufgehört zu sparen, aber haben ihr Erspartes im Gegensatz zu den US-Verbrauchern noch nicht ausgegeben.
Da Corona die Feierlichkeiten zum Jahresende in den letzten beiden Jahren stark beeinträchtigt hat, rechne ich mit gestiegenen Ausgaben in den letzten drei Monaten des Jahres sowohl in Europa und Großbritannien als auch in den USA. Und das trotz der niedrigeren Temperaturen in Europa, die sich in höheren Energiekosten niederschlagen werden. Für einige Menschen, vor allem für diejenigen mit geringem Einkommen und verbrauchsabhängigen Strom- und Gastarifen, wird es anders aussehen, aber insgesamt rechne ich mit höheren Ausgaben.
Stärkerer Konsum bedeutet, dass der Arbeitsmarkt angespannt bleibt und die Gewinnmargen hoch bleiben. Das alles wird aber nichts an den längerfristigen Aussichten ändern, sobald die Rechnungen fällig werden. Die Inflation zehrt auch die vorhandenen Barguthaben auf, sodass der „Ausgabenkater“ im Januar schlimmer sein könnte als sonst.“
Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region
Den vollständigen Videokommentar von Steven Bell finden Sie hier.