Columbia Threadneedle Chefvolkswirt: Ausblick für die US-Inflation und die bevorstehenden Zentralbanksitzungen

Jede Woche kommentiert Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region, das makroökonomische Umfeld und die Nachrichten, die die Märkte beherrschen. Diese Woche beschäftigt er sich mit dem langfristigen Ausblick für die US-Inflation und geht kurz auf die bevorstehenden Zentralbanksitzungen ein. Columbia Threadneedle Investments | 13.12.2022 07:00 Uhr
Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region / © e-fundresearch / Columbia Threadneedle Investments
Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region / © e-fundresearch / Columbia Threadneedle Investments
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

„Die EZB, die Fed und die Bank of England (BoE) werden ihre Zinssätze voraussichtlich um 50 Basispunkte erhöhen. Dabei sind die Statements nach den Sitzungen am interessantesten. Bei der Fed gehe ich von einer aggressiven Haltung aus, bei der EZB und der BoE von einer neutralen Haltung, während sich an der Forward Guidance nichts ändern sollte. Besonders bemerkenswert könnte sein, dass die Zentralbanken ihre Programme zur quantitativen Lockerung rückgängig machen.

Die Inflation ist in diesem Jahr in den USA und in Europa so stark gestiegen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Aber das liegt nun hinter uns, und es gibt keinen Grund voreingenommen zu sein – weder hawkish noch bullish.

Was die längerfristigen Aussichten für die US-Inflation angeht, bleibe ich bei meinem hawkishen Standpunkt. Ich muss zugeben, dass es schwierig zu verargumentieren ist, da die Zahlen sowohl für die Gesamt- als auch für die Kerninflation besser ausfallen dürften. Die Gesamtinflation erreichte im Juni mit 9,1 Prozent ihren Höhepunkt. Dieser Wert ist bereits auf 7,7 Prozent gesunken, und die Zahlen dieser Woche lassen einen weiteren Rückgang erwarten. Der Kern-Verbraucherpreisindex weist ein flacheres Profil auf, aber auch hier ist ein Rückgang zu erwarten, da die Preise für Waren, insbesondere für Kraftfahrzeuge, sinken und die niedrigeren Ölpreise in Bereichen wie den Flugtarifen ihre Zweitrundeneffekte entfalten. Auch Basiseffekte werden sich positiv auswirken, da die starken monatlichen Anstiege der letzten zwölf Monate im Jahresvergleich wegfallen.

Warum bin ich also besorgt? Es geht um die Lohninflation. Der Lohnanstieg ist für Jobwechsler im Vergleich zu denen, die ihren Job behalten, so groß wie nie zuvor. Diejenigen, die den Arbeitsplatz wechseln, erhalten fast 8 Prozent mehr Lohn. Das ist mehr als die Inflation, zwar nur ein bisschen, aber Reallohnsteigerungen sind in den Industrieländern selten. Außerdem ist der Abstand prozyklisch, d. h. er verringert sich in der Rezession – nach der Weltwirtschaftskrise war er sogar negativ, und die jüngsten Daten zeigen deutlich, dass der Arbeitnehmermarkt die Löhne in die Höhe treibt. Die Unternehmen verlieren Arbeitskräfte an ihre Konkurrenten und sind gezwungen, die Löhne zu erhöhen, um ihr bestehendes Personal zu halten.

 Man könnte entgegenhalten, dass der durchschnittliche Stundenlohn mehr oder weniger gleichgeblieben ist. Im März erreichte er mit einer Erhöhung um 5,6 Prozent seinen Höchststand und ist seitdem leicht rückläufig. Allerdings wird dies durch Effekte in der Berechnung verzerrt. In den USA gab es keine Kurzarbeit, sodass während der Corona-Sperre 20 Millionen Arbeitnehmer entlassen wurden. Da es sich dabei größtenteils um Niedriglohnempfänger handelte, sind die Durchschnittslöhne gestiegen, obwohl niemand eine Lohnerhöhung erhielt. Da diese Menschen nun wieder eingestellt werden, wirkt sich das wieder negativ auf die Durchschnittslöhne in diesem Jahr aus.

 Die Lohnveränderungen werden von Forschern der Federal Reserve in Atlanta untersucht, indem sie die Lohnveränderungen derselben Gruppe von Arbeitnehmern in den letzten zwölf Monaten miteinander vergleichen. Die Zahlen stiegen 2022 deutlich an. Allerdings ist die Stichprobe etwas klein und es gibt eine gewisse Verzerrung nach oben. Aber es ist immer noch das beste Maß für die monatlich verfügbaren US-Löhne. 

 Die Fed hingegen bevorzugt den um einige Effekte bereinigten Beschäftigungskostenindex (Employment Cost Index, ECI), der mehr Stichproben umfasst. Dieser ist jedoch nur vierteljährlich verfügbar, weshalb die monatlichen Zahlen der Atlanta Fed ein guter Indikator für den ECI sind. Der nächste ECI erscheint Ende Januar. Ich vermute, dass es schlechte Nachrichten für die Inflationsoptimisten sein werden, da sich die US-Inflation als hartnäckig erweisen könnte.

Das ist eine schlechte Nachricht für die kurzfristigen US-Zinsen und eine schlechte Nachricht für Risikoanlagen. Damit die Lohninflation auf ein Niveau sinkt, das nötig ist, um das Ziel der Fed zu erreichen, brauchen wir einen Anstieg der Arbeitslosigkeit und eine Rezession. Auch das ist keine gute Nachricht für Risikoanlagen.

 Trotz der bevorstehenden Feiertage bleibe ich pessimistisch. Ich trage meinen Winterpulli, weil es draußen friert, aber ich rechne mit wärmerem Wetter und einer weiteren Aktienrallye, auch wenn es bei beiden zunächst nicht danach aussieht.“

Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region

Den vollständigen Videokommentar von Steven Bell finden Sie hier.

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