Die US-Geldpolitik ist ein wichtiger Bestimmungsfaktor für die Finanzbedingungen, nicht nur in den USA, sondern weltweit. Die Märkte sind der Meinung, dass die US-Notenbank ihren Straffungszyklus auf dem aktuellen Zinsniveau oder in der Nähe davon beenden wird: Sie schätzen den Höchststand des Leitzinses auf 4,84 %, nur eine Nuance oberhalb der derzeitigen Zinszielgrenze von 4,5 %. Dieser erwartete Höchststand ist in der letzten Woche um 15 Basispunkte gesunken, und die Märkte erwarten, dass die Zinsen bis Anfang 2024 in Richtung 4 % fallen werden. Allerdings hat die Fed in der vergangenen Woche die Zinsen angehoben und, was noch wichtiger ist, ihre Zinsprognose für Ende 2023 auf 5 % geändert.
Die Märkte sind bezüglich der Zinssätze optimistisch, weil der in der letzten Woche veröffentlichte Verbraucherpreisindex den zweiten Monat in Folge niedriger war. Die Fed erkennt die guten Nachrichten in Form von niedrigeren Preisen für Energie, Waren im Allgemeinen und Gesundheitsversorgung an. Ihr Pessimismus bezieht sich auf den Arbeitsmarkt, der nach wie vor bemerkenswert angespannt ist sowie dem Rekordabstand zwischen den Löhnen für diejenigen, die ihren Arbeitsplatz wechseln und diejenigen, die nicht wechseln. Dieser enorme Abstand zwingt die Unternehmen dazu, die Löhne ihrer Mitarbeiter zu erhöhen, um sie nicht an Konkurrenten zu verlieren.
Dieses Dilemma löst sich auf zwei Arten: Entweder wird der Arbeitsmarkt nachgeben, was die Märkte in ihren Optimismus bestärkt, oder die Inflation erweist sich als hartnäckig, was höhere Zinssätze seitens der Fed rechtfertigt.
Was bedeutet dies alles für die Märkte? In beiden Szenarien nichts Gutes. Wenn sich der US-Arbeitsmarkt Anfang nächsten Jahres abschwächt und wir in eine Rezession geraten, werden die Verbraucher weniger ausgeben und die Gewinnspannen werden sinken. Ein Rückgang der Gewinnspannen um 1 % entspricht einem Rückgang der Unternehmensgewinne im S&P 500 um 11 %. Wenn sich der Arbeitsmarkt nicht abschwächt, wird die Fed die Geldpolitik weiter straffen, und auch das ist schlecht für die Märkte.
Wir halten an unserer Einschätzung fest, dass der Ausverkauf von Risikoanlagen weitergehen wird. Das Ende des Bärenmarktes ist zwar nicht mehr weit, aber ein Rückgang um 10 % ist realistisch. Dies könnte eine Kaufgelegenheit darstellen, da wir davon ausgehen, dass die Rezession nur von kurzer Dauer und mild sein wird. Wir werden sehen.
Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region
Den vollständigen Videokommentar von Steven Bell finden Sie hier.