Closing Bell: Columbia Threadneedle Chefvolkswirt blickt zurück auf 2022

Columbia Threadneedle Investments | 23.12.2022 07:26 Uhr
Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region / © e-fundresearch.com / Columbia Threadneedle Investments
Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region / © e-fundresearch.com / Columbia Threadneedle Investments
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Jede Woche kommentiert Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region, das makroökonomische Umfeld und die Nachrichten, die die Märkte beherrschen. Diese Woche beschäftigt er sich mit der Analyse der Prognose des Jahres 2023 und die globalen Implikationen, welche diese mit sich bringt.

„Bevor wir der Rezession und dem Aufschwung im Jahr 2023 entgegenblicken, sollten wir dieses Jahr Revue passieren lassen. Ohne zu wissen, wo die Märkte und Volkswirtschaften momentan stehen, ist es schwierig, die nächste Entwicklung vorherzusagen. Das ist besonders wichtig, nachdem in diesem Jahr kaum Prognosen zutreffend waren.

Inflation ist das Hauptproblem – aber die Lösungen sind auf beiden Seiten des Atlantiks unterschiedlich

Die Inflation war schon vor der Energiekrise ein Problem. Die Zentralbanken zögerten, nach den Corona-Lockerungen auf die geldpolitischen Bremsen zu treten, falls sich die Lockerungen als Fehler erweisen sollten. Am deutlichsten zeigt sich dies in der energieautarken US-Wirtschaft, wo der Großteil der derzeitigen Inflation nichts mit den Energiepreisen zu tun hat. Aber es steckt mehr dahinter als ein Fehler der Zentralbank. Um die Jahresmitte herum verlangsamte sich die US-Wirtschaft deutlich und steuerte auf eine weiche Landung zu, während die Zinssätze stiegen. An diesem Punkt griff der immer noch zuversichtliche US-Verbraucher zum „Sparschwein“ und gab ein letztes Mal so richtig Gas, sodass die Fed und die Märkte Mühe hatten, hinterherzukommen.

Deshalb sind wir angesichts der nach wie vor extrem niedrigen Arbeitslosigkeit und des hohen Lohnwachstums vorsichtig mit Prognosen über das Ende des US-Wirtschafts- und Zinszyklus, solange es keine klaren Anzeichen für eine Rezession gibt. Abgesehen von der Inflation sehen wir jedoch kaum Anzeichen für weitere anhaltende Verwerfungen, sodass eine Rezession in den USA weder tief noch langanhaltend sein muss.

Die Energiekrise in Europa sollte sich selbst korrigieren

Die bevorstehende Rezession in Europa dürfte den Energieverbrauch senken und andere Inflationsquellen zurückdrängen. Daher kann der Wirtschaftsaufschwung wieder einsetzen, sobald die Energiepreise im Jahr 2023 fallen. Die Regierungen handeln, um die Verbraucher und die Wirtschaft vor dem Schlimmsten zu bewahren. Gleichzeitig fördern sie im Idealfall auch einen geringeren Verbrauch und den Umstieg auf alternative Energiequellen, sodass die Energiepreise sinken und sich die Wirtschaft früher erholen kann. Wir sollten weiterhin auf einen warmen, nassen und windigen Winter hoffen, der die Nachfrage senkt und das Angebot aus Wasser- und Windkraftanlagen erhöht.

In Großbritannien sind die Auswirkungen bereits zu spüren, die dort sehr wichtigen Hauspreise fallen. Zwar liegen sie im Jahresvergleich immer noch vorn, aber sie sind bereits unter der Inflationsrate, und wir erwarten einen weiteren Rückgang. Dadurch verringert sich der Druck auf die die Bank of England, die Inflation durch eine aggressive Anhebung der Zinssätze zu bekämpfen.

Der Markt will sich weiter erholen, aber die Fed wartet auf Daten

Die Märkte erholen sich seit November, wobei das Ausmaß des jüngsten Rückgangs der US-Realrenditen nur durch die im Jahr 2022 bereits getroffenen Maßnahmen verdeckt wird. Die Marktprognosen scheinen wesentlich realistischer zu sein als während der Rallye zur Jahresmitte, zumindest was die Zinssätze angeht. Die Bewertungen sowohl für Aktien als auch für Anleihen sind nach den diesjährigen Kursverlusten attraktiver geworden. Analysten gehen jedoch immer noch von einem Gewinnwachstum bei Aktien im Jahr 2023 aus, während wir in einer leichten Rezession einen Rückgang um 15 % erwarten.

Es gibt viel Spielraum für kurzfristige Faktoren, die von einer anhaltenden Erholung ablenken können. Ein weihnachtsbedingter Anstieg der Verbraucherausgaben könnte den Beginn der Rezession um ein weiteres Quartal hinauszögern. Wie die Fed ziehen wir es vor, auf die Daten zu warten. Es deutet darauf hin, dass die derzeitige Erholung eher Teil eines anhaltenden Bärenmarktes ist, als dass sie einen Wendepunkt markiert. Wir wären vorsichtig, eine Erholung vorwegzunehmen, bevor wir eine Rezession erlebt haben. Dies legt nahe, dass das Ende des nächsten Quartals, nachdem wir den Winter und hoffentlich die Rezession hinter uns gelassen haben, ein geeigneterer Zeitpunkt wäre, um nach dauerhaften Wendepunkten Ausschau zu halten.“

 

Den vollständigen Videokommentar von Steven Bell finden Sie hier.

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