- Im Winter schien eine Rezession in den USA und in Europa zunächst wahrscheinlich, doch nun sieht es so aus, als könnten wir einen Abschwung vermeiden.
- In Europa sind die Erdgaspreise gesunken, und die Verbraucherausgaben könnten sich erholen, wenn die Verbraucher wieder mehr Vertrauen fassen. Das Jahr 2023 könnte ein Jahr mit schleppendem Wachstum, aber ohne eine Rezession werden.
- Die Energiepreise könnten sich auch im Vereinigten Königreich bald entspannen, aber die höheren Zinssätze haben die Verbraucherausgaben durch steigende Hypothekenzahlungen belastet. Die britische Wirtschaft erscheint insgesamt anfällig.
- Die nachlassende Inflation hat die Chancen für ein "Soft Landing" in den USA erhöht. Der in Kürze erscheinende Arbeitskostenindex wird uns einen Hinweis darauf geben, wie weit die US-Zinsen noch steigen müssen.
Steven Bell hat schon seit einiger Zeit angedeutet, die Industrieländer steuerten auf eine Rezession zu. In Europa sind die himmelhohen Energiepreise die Ursache, in den USA war sein Argument ein anderes: Dort war eine Rezession nötig, um die Inflation in den Griff zu bekommen.
Nun korrigiert er seine Einschätzung: „Jetzt sieht es so aus, als ob die Rezession nicht eintreten würde. In den USA haben die Verbraucher ihre ``Covid-Sparschweine´´ („Covid piggy banks“, also die während der Covid-Pandemie angehäuften Gelder) geleert, um ihre Ausgaben zu stützen. Europa hat erfolgreich die Gasnachfrage eingedämmt und gleichzeitig alternative Lieferungen gesichert, das hat zusammen mit dem günstigen Wetter zu einem starken Rückgang der Erdgaspreise geführt.“ Die Preise für die Gaslieferungen im nächsten Monat liegen jetzt wieder auf dem Niveau, das sie vor dem Einmarsch Russlands in der Ukraine hatten. Sie sind zwar immer noch doppelt so hoch wie die Preise für die Lieferungen im kommenden Winter, aber das ist viel weniger als noch vor einigen Monaten.
In den USA hat sich derweil der Trend der Inflationsmeldungen entscheidend gedreht. Nachdem in den ersten acht Monaten des Jahres 2022 die Inflationszahlen über den Erwartungen lagen, sind sie in den letzten Monaten tendenziell gesunken.
Ist die Rezession also aufgehoben oder nur aufgeschoben?
Der Chefvolkswirt erwartet für Kontinentaleuropa, dass das Jahr 2023 zwar ein Jahr mit schleppendem Wachstum, aber ohne eine Rezession sein wird. Im Gegensatz zu ihren US-amerikanischen Nachbarn haben die Verbraucher in Europa ihre ‚Covid-Sparschweine‘ nicht geleert, da sie durch die Aussicht auf hohe Energierechnungen zu sehr verängstigt waren, um auszugehen und Geld auszugeben. Die Realeinkommen sind in Europa gesunken, aber die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor niedrig, und mit dem nahenden Frühling werden die Verbraucher vermutlich wieder zuversichtlicher. Das dürfte auch die Verbraucherausgaben ankurbeln.
Laut Steven Bell können auch die britischen Verbraucher ein wenig aufatmen: Obwohl die Obergrenze für die Energiepreise im April um 3.000 Pfund steigt, besteht die Chance, dass die Kosten für den Rest des Jahres wieder zurückgehen. Das Problem ist allerdings, dass die stark gestiegenen Hypothekenzinsen den Immobilienmarkt in Mitleidenschaft gezogen haben. Das wird die Verbraucher schrittweise unter Druck setzen, wenn ihre Hypothekenzinsen neu festgesetzt werden. Das Vereinigte Königreich scheint im Jahr 2023 und darüber hinaus anfälliger zu sein als Europa. Die Lohninflation hat sich im Vereinigten Königreich beschleunigt, und die Bank of England wird die Zinsen weiter anheben müssen.
Aber was ist mit den USA? Es besteht kein Zweifel, dass die verbesserte Inflation die Chancen für eine weiche Landung erhöht. Nach Steven Bells Auffassung ist eine Rezession aber immer noch wahrscheinlich. Die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt bedeutet, dass die Lohninflation zu hoch ist, und die US-Notenbank kann ihren Griff nicht lockern. Bell hat bereits früher darauf hingewiesen, dass die Löhne von US-Arbeitnehmern, die den Arbeitsplatz wechseln, schneller gestiegen sind als die Löhne solcher Kollegen, die auf demselben Arbeitsplatz bleiben. Dies deutet darauf hin, dass sich die Lohninflation wahrscheinlich noch beschleunigen wird. Im Laufe dieses Monats werden wir die von der Fed bevorzugte Kennzahl für die Lohninflation erhalten - den Beschäftigungskostenindex. Wenn dieser hoch bleibt, wird die Fed unter Druck geraten, die Zinsen weiter anzuheben und länger hoch zu halten, als der Markt erwartet.
„Ich glaube, dass die USA kurz vor einem deutlichen Abschwung auf dem Arbeitsmarkt stehen und dass in den nächsten drei bis sechs Monaten ein negativer Beschäftigungsbericht zu erwarten ist“, sagt Bell. „Die Unternehmen sehen ihre Gewinnspannen unter Druck geraten und werden auf einen Stellenabbau setzen.“ In der Tat nehmen die Entlassungen in großen Unternehmen bereits zu. Auch kleinere Firmen geraten zunehmend unter Druck. Die Verbrauchernachfrage könnte diesen Monat durch eine kräftige Erhöhung der Sozialversicherungszahlungen vorübergehend angekurbelt werden, aber der Trend geht in Richtung geringerer Ausgaben und einer schwächeren US-Wirtschaft.
Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region