- Die Lohninflation ist während des größten Teils des letzten Jahres gestiegen, ist nun aber leicht gesunken.
- Im Januar wurden offenbar eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen. Auch die Hintergrunddaten waren gut: Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden stieg sprunghaft an, die Arbeitslosigkeit ging zurück, und die Zahl der Erwerbspersonen stieg.
- Die US-Wirtschaftsdaten der letzten Woche dürften das nicht genau widerspiegeln. Sie boomt zwar nicht, aber sie steht auch nicht am Rande einer Rezession.
- Die Realzinsen, gemessen an der Rendite inflationsgeschützter Staatsanleihen (TIPS), sehen großzügig aus und lassen herkömmliche Anleihen einigermaßen attraktiv erscheinen.
- Der Aktienmarkt braucht einen Margenrückgang, um die Inflation nachhaltig auf 2 Prozent zu senken, und dazu ist wahrscheinlich eine Rezession erforderlich.
Was ist los mit der US-Wirtschaft?
Nach Meinung des Ökonomen gibt es zwei unterschiedliche, jedoch eng miteinander verbundene Bereiche, die für Verwirrung sorgen.
Zum einen war der US-Arbeitsmarkt äußerst angespannt. Doch auch aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, war die Botschaft immer dieselbe: Es gibt eine starke Nachfrage nach Arbeitskräften und nicht genug Angebot. Und wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, dann steigen die Preise – in diesem Fall die Löhne. Während sich die Lohninflation über das letzte Jahr stark beschleunigt hat, haben sich die Zahlen zuletzt verlangsamt. Die Frage bleibt: Warum?
„Das ist das größere Bild. Allerdings lagen letzte Woche auch widersprüchliche Daten vor. Viele Menschen, mich eingeschlossen, dachten, das US-Wirtschaftswachstum würde schrumpfen“, so Bell. „Die US-Notenbank hat die Zinssätze aggressiv erhöht und auch der Immobilienmarkt ist in einer tiefen Rezession. Zudem haben Verbraucher ihre ‚Covid-Sparschweine‘ – also die während der Covid-Pandemie angehäuften Gelder – aufgebraucht und andere Vermögenswerte wurden durch die Inflation aufgezehrt.“
Tatsächlich wurden viele Arbeitsplätze abgebaut. Die Entlassungen gingen sogar weit über die von den Technologieunternehmen angekündigten umfangreichen Entlassungen hinaus. Die Zahl der betriebsbedingten Kündigungen sei die höchste seit der Weltfinanzkrise (mit Ausnahme der COVID-19-Pandemie).
Der Arbeitsmarkt ist immer noch heiß, aber er hat sich abgekühlt
Im Januar wurden offenbar eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen. Zudem seien die Hintergrunddaten allesamt überzeugend: Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden sei sprunghaft angestiegen, die Arbeitslosigkeit weiter gesunken und die Zahl der Erwerbstätigen habe zugenommen. Kurz nachdem diese Zahlen veröffentlicht wurden, stieg eine bekannte Umfrage im US-Dienstleistungssektor sprunghaft an - die Ergebnisse standen allerdings in deutlichem Gegensatz zu anderen Umfragen.
Das habe zum einen an den Löhnen gelegen. Nach Angaben von Bell war die Abschwächung der Lohninflation überraschend. Sie sei zwar mit fünf Prozent im Geldwert immer noch stark, aber sie hat sich seit Anfang 2022 verlangsamt. „Das könnte als anfänglicher Anstieg nach dem Lockdown interpretiert werden, als die Unternehmen die rund 20 Millionen entlassenen Arbeitnehmer wieder zurückholen wollten“, resümiert Bell. So hatten beispielsweise Restaurants und Hotels eine große Nachfrage. Sie haben hart um Personal konkurriert und die Löhne kontinuierlich erhöht. Der Arbeitsmarkt ist also immer noch heiß, aber er hat sich abgekühlt.
Unterdessen ist die Inflation zurückgegangen, da die Rohstoffpreise und die Lieferengpässe abgenommen haben. In diesem Fall muss die US-Notenbank die Zinssätze weiter anheben, bis sich der Arbeitsmarkt vollständig abgekühlt hat.
Was aber ist mit dem sprunghaften Anstieg der Beschäftigtenzahlen in der vergangenen Woche? "Lassen Sie uns das in einen Kontext stellen. Wenn wir die Zahl als einen Anstieg der Beschäftigung um 0,3 Prozent beschreiben, klingt sie nicht so beängstigend", so der Chefökonom. Zudem sei der Januar immer ein schwierig einzuschätzender Monat, da er auf einen Monat folgt, in dem es selbst an wichtigen Standorten wie Florida sehr kalt ist. Nach Angaben Bells seien saisonale Einflüsse immer heikel.
Schwächelnde Industrie, Hochkonjunktur in der Dienstleistungsbranche
Wie kam es nun zu den widersprüchlichen Ergebnissen verschiedener Umfragen? Offenbar bewegen sich die einzelnen Wirtschaftsbereiche in sehr unterschiedlichem Tempo: In der prodizierenden Industrie haben Unternehmen beispielsweise damit zu kämpfen, ihre Lagerbestände abzubauen. Auch der Wohnungsbau schwächelt, obwohl sich die Bauunternehmen beeilt haben, ihre Häuser noch vor einem weiteren Preisrückgang fertig zu stellen. In vielen Dienstleistungsbereichen hingegen herrscht Hochkonjunktur. In Anbetracht des Wetters und der Schwierigkeit, die Wirtschaft zu dieser Jahreszeit einzuschätzen, kommt es zu widersprüchlichen Signalen.
„Ich bin zuversichtlich, dass die Daten der letzten Woche die US-Wirtschaft nicht genau widerspiegeln. Sie befindet sich nicht im Aufschwung. Aber sie befindet sich auch nicht am Rande einer Rezession“, sagt der Chefökonom.
Vielmehr sei die Fed – nachdem sie das Tempo der Zinserhöhungen auf 25 Basispunkte pro Sitzung reduziert hat – nicht mehr in der Lage ihre Zinsstraffung zu unterbrechen, geschweige denn zu niedrigeren Zinsen überzugehen. Ob jetzt mit einer Wiederaufnahme des Bärenmarktes bei Anleihen zu rechnen sei, da ist Bell sich nicht so sicher: „Mit weit über einem Prozent erscheinen mir die realen Zinssätze, gemessen an der Rendite inflationsgeschützter Staatsanleihen, sehr großzügig.“ Zudem habe die Fed ihre Absicht die Inflation zu senken, sehr deutlich gemacht. „Und da der Markt ihr glaubt, erscheinen herkömmliche Anleihen recht attraktiv. Sicherlich kein Schnäppchen, aber immer noch okay“, sagt er ergänzend.
Was Aktien betrifft, so ist Bell nach wie vor der Meinung, dass der Markt einen Margin Squeeze braucht, um die Inflation nachhaltig auf 2 Prozent zu senken. „Dazu ist wahrscheinlich eine Rezession erforderlich. Sie sollte mild und kurz ausfallen, aber das würde den Risikoanlagen immer noch den Wind aus den Segeln nehmen,“ sagt der Chefökonom abschließend.
Von Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments