- Die Wachstums- und Inflationsaussichten haben sich im Vereinigten Königreich und in Europa deutlich verbessert, was vor allem auf die fallenden Erdgaspreise zurückzuführen ist.
- Die Inflation dürfte im Vereinigten Königreich und in Europa bis zum Jahresende in den Bereich von 3 % fallen.
- Die stärkere Lohninflation bedeutet, dass die Bank of England und die Europäische Zentralbank die Geldpolitik dennoch straff halten werden.
- Die verbesserten Aussichten für das weltweite Wirtschaftswachstum kommen auch Europa zugute; die Daten zu den Verbraucherausgaben und der Beschäftigung in den USA waren bemerkenswert gut, und China profitiert von der Lockerung seiner Anti-Covid-Maßnahmen.
Die Inflation wird sinken – doch die Zinsen bleiben hoch
Nachdem sie Ende 2022 noch verhalten war, wird die Wirtschaftsprognose von Steven Bell immer optimistischer: „Angesichts der fallenden Erdgaspreise haben sich die Aussichten für das Wirtschaftswachstum im Vereinigten Königreich und in Europa deutlich verbessert“, so der Ökonom. Gleichzeitig dürfte die niedrigere Inflation das Vertrauen der europäischen Verbraucher stärken und sie dazu bewegen, ihr während der Covid-Krise angespartes Kapital endlich auszugeben. „Denn die Aussicht auf explodierende Energiepreise hat den europäischen Verbrauchern dermaßen Angst eingejagt, dass sie ihr Sparverhalten noch steigerten – im Gegensatz zu den zuversichtlicheren US-Konsumenten, die ihre ‚Covid-Sparschweine‘ viel eher geleert haben“, betont Bell.
Inflation fällt auf 3 Prozent
Laut dem Volkswirt von Columbia Threadneedle Investments wird die Inflation im Vereinigten Königreich und in Europa bis Jahresende auf ungefähr 3 % fallen. Besonders für das Vereinigte Königreich dürften die Auswirkungen dieser Entwicklung erheblich sein: „Wir erwarten, dass Finanzminister Jeremy Hunt die für April angesetzte Erhöhung der Energiepreisobergrenze auf 3.000 Pfund zurücknimmt, und selbst die derzeitige Preisobergrenze von 2.500 Pfund dürfte ab Juli ihre Verbindlichkeit verlieren“, so Bell. Denn die tatsächlichen Preise könnten sich auf 2.000 Pfund einpendeln – ein Betrag, der zwar viel höher ist als vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, jedoch viel niedriger ausfällt, als ursprünglich befürchtet. Grund ist neben dem mildem Wetter auch die günstige Dynamik von Angebot und Nachfrage. Diese hat dazu geführt, dass sich auch die Gaspreise für den nächsten Winter sowohl in Europa als auch im Vereinigten Königreich seit Anfang Dezember halbiert haben.
Dies komme auch den Haushaltsdefiziten zugute. „Deutschland hat für sein Energiepreissystem sagenhafte 200 Milliarden Euro – 5 % seines Bruttoinlandsprodukts – bereitgestellt, dürfte aber nur einen Bruchteil davon ausgeben“, so Bell. Dank der sehr erfolgreichen nationalen Kampagne zur Senkung des Strom- und Gasverbrauchs um 20 % habe die Nachfrage in Deutschland stark nachgelassen. Als größter europäischer Markt habe das Land so die Preise für alle gedrückt.
Zinsen bleiben hoch
Bedeutet eine niedrigere Inflation auch niedrigere Zinsen? „Leider nein“, sagt der Ökonom Bell. „Da die Auswirkungen der steigenden Energiepreise nachlassen, wird im Umkehrschluss die Lohninflation stärker – und die Bank of England und die Europäische Zentralbank müssen die Geldpolitik straff halten.“ Es sei zwar möglich, dass die Rezession auf dem britischen Immobilienmarkt zu höherer Arbeitslosigkeit führt und der britischen Notenbank die Arbeit abnimmt. „Aber ich denke, dass die Abschwächung der Krise bei den Lebenshaltungskosten dies ausgleichen wird“, so Bell. Die Lohninflation, die in Europa relativ niedrig war, hat sich in letzter Zeit deutlich beschleunigt. Zwar seien auch die Hypothekenzinsen im Euroraum gestiegen, jedoch wirken sie sich hier bei weitem nicht so dramatisch aus wie im Vereinigten Königreich.
Auch die verbesserten Aussichten für das globale Wachstum kommen Europa zugute – und diese sind besser als erwartet. „Ich dachte, die USA wären inzwischen in der Rezession, aber die jüngsten Daten zu Verbraucherausgaben und Beschäftigung waren bemerkenswert gut“, räumt Bell ein. Auch China genieße die Auswirkungen der Lockerungen seiner Covid-Lockdowns. „Erwarten Sie Schlangen chinesischer Touristen vor den Luxusgeschäften wie Louis Vuitton in Paris und mehr amerikanische Akzente auf den Golfplätzen in Schottland“, witzelt der Volkswirt.
Von Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments