Von allen Zentralbanken, die in diesem Monat zusammentreten, hatte die EZB die am wenigsten beneidenswerte Aufgabe. Sollte sie an ihrer bereits eingegangenen Verpflichtung zu einer Anhebung der Leitzinsen um 50 Basispunkte festhalten – und so ihren verspäteten Kampf gegen die Kerninflation und das Risiko steigender Preise fortsetzen? Oder sollte sie lediglich eine Anpassung um 25 Basispunkte vornehmen beziehungsweise die Zinsen sogar auf dem aktuellen Niveau halten? Immerhin ist die Unsicherheit an den Finanzmärkten gestiegen, ausgelöst durch den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank Ende letzter Woche und noch verstärkt durch den gestrigen Einbruch des Aktienkurses der Credit Suisse. Während die Fed und die Bank of England den „Luxus“ einer zusätzlichen Woche haben, um die potenziellen negativen Auswirkungen der aktuellen Spannungen zu bewerten, setzten sich Lagarde und der Ausschuss bereits gestern zusammen – während die Risikomärkte ächzten und die Geldmärkte den künftigen Pfad der europäischen Leitzinsen beschnitten.
Die Entscheidung lautete, die 50 Basispunkte beizubehalten. Jedoch wurde die bisherige verlängerte Forward Guidance gestrichen. In Zukunft würden die anstehenden Wirtschaftsdaten die Politik bestimmen. Die gestiegene Unsicherheit und Volatilität an den Märkten wurde eingeräumt, und die neuen Prognosen für die Gesamtinflation wurden aufgrund der niedrigeren Energiepreise deutlich gesenkt. Die Kerninflation ist jedoch nach wie vor das Hauptproblem, und die revidierten Prognosen dafür waren weniger optimistisch, selbst wenn man von weiteren Zinserhöhungen ausgeht. Das ist ein Grund dafür, das beschleunigte Tempo zumindest vorerst beizubehalten. Die Entscheidung wurde von einer großen Mehrheit befürwortet. Allerdings plädierten einige wenige auch für ein vorsichtigeres Vorgehen in dieser Phase, bis mehr Klarheit über die aktuellen Fragen der Finanzstabilität besteht. In den kommenden Wochen könnte sich herausstellen, dass die wenigen Vorsichtigen ihre Meinung stärker hätten durchsetzen müssen.
Von Dave Chappell, Senior Fixed Income Portfolio Manager bei Columbia Threadneedle Investments