- Der wirtschaftliche Konsens sieht ein steigendes Rezessionsrisiko in den USA und ein sinkendes Risiko im Vereinigten Königreich und der Eurozone. Dies ist eine große Veränderung gegenüber dem Jahresbeginn.
- Die Probleme regionaler US-Banken scheinen nicht zu einer Kreditklemme zu führen – aber eine Verknappung scheint im Gange zu sein.
- Die Wirtschaftsdaten in Europa und im Vereinigten Königreich verbessern sich. Dieser Trend könnte sich für den Rest des Jahres fortsetzen.
- Eine Rezession in den USA wäre eine schlechte Nachricht für US-Aktien, aber wir gehen davon aus, dass ein etwaiger Rückgang moderat ausfallen wird.
- Europäische und britische Aktien könnten relativ gesehen überdurchschnittlich abschneiden.
So übel scheint die Lage nicht zu sein – zumindest auf den ersten Blick. In der vergangenen Woche stiegen die Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung in den USA drastisch an. Darauf folgte in der Vergangenheit meist eine Rezession. Jedoch sei dieser Anstieg offenbar auf einen Betrug in Massachusetts zurückzuführen. Und wenn man die Berechnungen um die manipulierten Anträge bereinigt, dürfte der sich dieser Aufwärtstrend laut Untersuchungen der Deutschen Bank wieder umkehren.
Darüber hinaus wurden die Befürchtungen, die Probleme der US-Regionalbanken würden zu einer Kreditklemme führen, in der vergangenen Woche durch neue Daten widerlegt. Weder die von der Fed durchgeführte Umfrage unter leitenden Kreditsachbearbeitern noch die Umfrage unter Kleinunternehmen zeigten einen Rückgang der Verfügbarkeit von Krediten. Im Gegenteil: Sie verzeichneten sogar einen Anstieg.
US-Rezessionsrisiko trotz positiver Daten
Täuschen sich die Ökonomen also über das Risiko einer Rezession in den USA? Nicht nach Ansicht von Bell: „Ich bleibe bei der Prognose einer Rezession in den USA bis zum Jahresende. Eine Kreditklemme mag abgewendet worden sein, aber eine Verknappung ist immer noch im Gange.“ Kredite sind zwar immer noch verfügbar, aber die Bedingungen seien viel schwieriger geworden – und auch die Zinserhöhungen hätten Auswirkungen. „Die Kreditnehmer schränken ihre Nachfrage nach Krediten ein, und den Verbrauchern geht die Luft aus“, fasst Bell die Situation zusammen. Letztere hätten ihre sogenannten Covid-Sparschweine im vergangenen Jahr stark in Anspruch genommen. Doch nun gebe es Anzeichen dafür, dass diese Unterstützung nicht mehr gegeben ist. Mehr Klarheit über die Aussichten für die Verbraucherausgaben in den USA erwartet der Chefvolkswirt von den Zahlen zu den Einzelhandelsumsätzen und den Gewinnberichten von Unternehmen wie Walmart und Home Depot, die diese Woche veröffentlicht werden.
Europa und Großbritannien auf dem Aufwärtspfad
Wenn die USA bis zum Jahresende in eine Rezession abrutschen, werden das Vereinigte Königreich und Europa dann nachziehen? Davon geht Bell nicht aus: „Die Wirtschaftsdaten in Europa und im Vereinigten Königreich dürften sich im weiteren Verlauf dieses Jahres weiter verbessern“, sagt der Chefökonom. Da die Energiepreise sinken, nimmt das Verbrauchervertrauen in beiden Ländern zu. Das könnte wiederum zu höheren Ausgaben führen. Zusätzlich würden sich diese Trends laut Bell wahrscheinlich auch in den Unternehmen fortsetzen.
Doch was bedeutet das nun für die Finanzmärkte? Eine Rezession in den USA bedeutet wahrscheinlich fallende US-Aktien. „Angesichts der vorherrschenden pessimistischen Stimmung bei Analysten und Anlegern dürfte ein etwaiger Rückgang bescheiden ausfallen“, so Bell. „Allerdings werden sich Aktien in den USA im Vergleich zu Europa und dem Vereinigten Königreich wahrscheinlich schlechter entwickeln. Zudem dürften auch die US-Zinsen bis zum Jahresende sinken – selbst wenn sie vorher weiter steigen.“ Das würde bedeuten, dass sich der Anstieg des Dollars in der vergangenen Woche als vorübergehend erweisen dürfte. Und schließlich dürften sich auch US-Anleihen nach einigen Schwankungen erholen.
Von Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region
Sehen Sie hier den Originalkommentar mit Video von Steven Bell.