Chefvolkswirt Steven Bell: US-Wirtschaft trübt sich ein, Großbritanniens Inflation bleibt zäh

Die USA zelebrieren heute ihren Unabhängigkeitstag – doch wirtschaftlich gibt es nicht viel zu feiern. Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments, rechnet für die USA mit einer milden Rezession, für Großbritannien dagegen ist sein Ausblick positiv. Was er für die USA und das Vereinigte Königreich erwartet und was das für Anleger bedeutet, schreibt er in seinem wöchentlichen Ausblick. Columbia Threadneedle Investments | 04.07.2023 09:00 Uhr
Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments / © e-fundresearch.com / Columbia Threadneedle Investments
Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments / © e-fundresearch.com / Columbia Threadneedle Investments
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  • USA: Das US-Wirtschaftswachstum geht zurück, mit sinkender Inflation und nur langsam wachsenden Verbraucherausgaben – und auch die Beschäftigung dürfte zurückgehen. Die Fed dürfte die Leitzinsen stärker senken, als die meisten Marktteilnehmer erwarten und die Fed andeutet. 
  • Vereinigtes Königreich: Die Inflation sinkt nur leicht weniger als erwartet und Bell revidiert seine Prognose von 3% auf 4% zum Jahresende, während das Lohnwachstum die Bank of England weiter zu Zinserhöhungen zwingt. Unterdessen gewinnen die Verbraucher weiter an Vertrauen, jedoch könnten steigende Hypothekenkosten der Entwicklung auf lange Sicht einen Dämpfer versetzen. 
  • Anleihen dürften eine Rally erleben, der Dollar könnte abwerten und ein leichter Ausverkauf bei Aktien bietet Kaufgelegenheiten.

Die USA zelebrieren heute ihren Unabhängigkeitstag – doch wirtschaftlich gibt es nicht viel zu feiern. „In dieser Woche steht in den USA die Veröffentlichung wichtiger Daten an, und alles deutet darauf hin, dass es eine leichte Rezession geben wird“, sagt Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments. In Großbritannien verbessert sich dagegen die Lage. Was genau Bell für die USA und Großbritannien erwartet und was das für die Märkte bedeutet, schreibt er in seinem wöchentlichen Kommentar.

USA: Leichte Rezession 

Das US-Wirtschaftswachstum geht zurück und die Vereinigten Staaten rutschen voraussichtlich in eine leichte Rezession, getrieben von einer Reihe Faktoren. Zum einen bestätigen die der vergangenen Woche Daten, dass die sogenannten Covid-Ersparnisse erschöpft sind: Die Verbraucherausgaben wachsen nur noch langsam, und die Sparquote nimmt zu. Eine zusätzliche Last für die Wirtschaft ist zudem die Wiederaufnahme der Rückzahlung der Studiendarlehen im September – diese beläuft sich auf durchschnittlich 400 Dollar pro Monat und Empfänger. Vorbei sei auch die vorübergehende Belebung des Immobilienmarktes vom Beginn des Frühjahrs durch niedrigere Hypothekenzinsen und den Abbau der Lagerbestände bei den Baufirmen. Die Investitionsausgaben (CAPEX) sind rückläufig. „Am Freitag werden die Beschäftigungszahlen veröffentlicht, und egal, wie hoch sie ausfallen: Das Gesamtbild ist von einem Rückgang geprägt“, so Bell. Gleichzeitig habe sich das Angebot an Arbeitskräften erhöht. „In diesem Umfeld würde selbst ein angemessener Anstieg der Beschäftigung zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen – möglicherweise passiert das im Herbst“, warnt der Chefökonom. 

Die Inflation geht unterdessen zurück: Die Lebensmittel- und Energiepreise sind niedriger, und auch die Kerninflation hat sich deutlich verlangsamt. Beim Treffen des Offenmarktausschusses der US-Notenbank (FOMC) am 26. Juli werden die bis dahin vorliegenden Daten, insbesondere zum Verbraucherpreisindex und zur Beschäftigung, würden maßgeblich dafür sein, ob es zu einer weiteren Zinserhöhung kommt. „In jedem Fall sind wir der Meinung, dass wir uns dem Höhepunkt nähern“, betont Bell. Die große Frage sei, ob die Federal Reserve (Fed) im Jahr 2024 aggressive Zinssenkungen vornimmt. „Vor dem Zusammenbruch der Silicon Valle Bank im März ging der Markt für Ende 2024 von einem Leitzins von 4,25% aus“, analysiert Bell. Dieser Wert fiel rapide auf 2,8%, ist seitdem aber wieder auf über 4% geklettert. „Ich denke, dass die US-Zinsen im nächsten Jahr niedriger sein werden, als der Markt erwartet – und sicherlich niedriger, als die Fed uns glauben machen will“, so der Chefvolkswirt von Columbia Threadneedle Investments. 

Vereinigtes Königreich: weitere Zinsschritte 

IM Gegensatz dazu bleibt die Inflation im Vereinigten Königreich hartnäckig und übertrifft weiterhin die Erwartungen der Ökonomen, auch Bells: „Ich musste meine eigene Prognose für das Jahresende anheben und rechne mit 4% statt 3%“, betont Bell. Dies sei immer noch ein deutlicher Rückgang, und der Premierminister dürfte auch damit sein Ziel erreichen, die Inflation zu halbieren (als er das Ziel festlegte, lag die Teuerungsrate bei 10%). Die Energiepreise sind bereits gesunken, und bis Oktober gehen die Beträge auf den Energierechnungen der Haushalte im Jahresvergleich voraussichtlich um etwa 20% zurück – ein ziemlicher Kontrast zu den Steigerungen von über 200% zu Beginn dieses Jahres. Auch die Inflation bei den Lebensmittelpreisen dürfte nach dem Höchststand von fast 20% im März deutlich auf einen einstelligen Wert zurückgehen. Die Warenpreisinflation ist ebenfalls rückläufig, bedingt zu einem großen Teil durch die Entwicklung der internationalen Preise, aber auch die Stärke des Pfund Sterling. „Ich schätze, dass die Schwäche des Pfund Sterling die aktuelle Inflation um fast zwei Prozentpunkte erhöht“, analysiert Bell. „Bis Weihnachten dürfte dieser Effekt allerdings verpuffen.“

Laut Bell bedeutet jedoch nichts davon einen nachhaltigen Inflationsrückgang, und das starke Lohnwachstum im Vereinigten Königreich wird die Bank of England weiterhin unter Druck setzen, die Zinsen weiter anzuheben. Das wachsende Vertrauen ermutigt die britischen Verbraucher, ihr Angespartes auszugeben – im Gegensatz zu ihren Vettern aus Übersee hatte die Furcht vor horrenden Energierechnungen im Winter die Briten zuvor zur Sparsamkeit bewogen. Diese Furcht löst sich jetzt auf. „Mit der Zeit wird der Anstieg der Hypothekenzinsen die Verbraucherausgaben jedoch dämpfen, den Arbeitsmarkt schwächen und die Lohninflation bremsen – aber das erwarten wir erst für 2024“, beruhigt Bell. Bis dahin werde die Verbrauchernachfrage die britische Wirtschaft am Laufen halten. 

Fallender Dollar, Einstiegschancen bei Aktien

Was bedeutet dies alles für die Märkte? „Sollten wir mit der unserer Erwartung einer Rezession in den USA recht behalten, würden Risikoanlagen unter Druck geraten“, warnt Bell. Der Dollar steigt in einem solchen Umfeld häufig an. „Wenn sich jedoch die Zinsdifferenzen zuungunsten der Vereinigten Staaten entwickeln – und damit rechnen wir – könnte der US-Doller einen entgegengesetzten Pfad einschlagen“, so der Chefvolkswirt. In jedem Fall geht er davon aus, dass Anleihen steigen. Die Rezession in den USA dürfte mild ausfallen, und Bell geht davon aus, dass der Ausverkauf bei Aktien begrenzt sein dürfte und eine Kaufgelegenheit bietet, die durch die Aussicht auf niedrigere Zinsen unterstützt wird. „Zunächst könnte die Anlageklasse jedoch schwächeln“, lautet Bells Fazit.

Von Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments

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