- USA: Die Inflation lag im Juni bei nur noch 3 Prozent, die Lohninflation hat sich verlangsamt, während die Arbeitslosigkeit trotzdem niedrig blieb – eine sanfte Landung der Wirtschaft erscheint wahrscheinlich.
- In der Eurozone sind die Wirtschaftsdaten schwach und die Nachfrage nach Krediten ist eingebrochen. Jedoch zeigt ein differenzierter Blick, dass es auch positive Entwicklungen gibt, darunter einen Konsumboom in Spanien und einen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Bis die Lohn-Preis-Spirale sich umkehrt, dürfte es aber noch einige Monate dauern.
- In Großbritannien haben eine einmalige Erhöhung des Mindestlohns, hohe Energiepreise und ein schwacher Pfund Sterling die Inflation weiter angeheizt. Die jüngsten Inflationsdaten zeigen aber eine deutliche Entspannung, und die Lage dürfte sich mit sinkenden Energiekosten und einem erstarkenden Pfund weiter verbessern.
- Zwar ist eine sanfte Landung in der Eurozone und im Vereinigten Königreich sehr unsicher, aber die Finanzmärkte haben mit Blick auf die Entwicklung in den USA Zuversicht geschöpft.
Die USA könnten sanft landen: Laut Wirtschaftsdaten scheint das zwei-Prozent Ziel der Federal Reserve näher zu rücken, und das ohne Rezession. Der Rückgang der Verbraucherpreisinflation war bislang deutlich und stärker als erwartet, und die jüngsten Zahlen zeigen, dass die Inflation im Juni bei nur noch 3 Prozent lag. Daten der vergangenen Woche zufolge hat sich auch die Lohninflation verlangsamt, und es besteht die reale Möglichkeit, dass sich die Lohnpreisspirale umkehrt. All dies geschah vor dem Hintergrund einer weiterhin sehr niedrigen Arbeitslosenrate. Eine sanfte Landung der US-Wirtschaft ist zwar keineswegs sicher, dennoch sind immer mehr Experten bei ihren Erwartungen optimistisch. Dies ist eine große Veränderung und eine gute Nachricht für Risikoanlagen in den USA und darüber hinaus. „Jetzt stellt sich die Frage, ob das Vereinigte Königreich und die Eurozone dem amerikanischen Vorbild folgen können“, sagt Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments. Das sei zwar durchaus möglich, werde jedoch Zeit brauchen. Und: „Schwierige Zeiten liegen trotzdem noch vor uns“, warnt der Chefökonom.
Eurozone: Wirtschaftsdaten erschreckend – doch nur auf den ersten Blick
In der Eurozone waren die jüngsten Wirtschaftsdaten erschreckend, und die Zahlen sind noch schwächer ausgefallen als erwartet: Die Einkaufsmanagerindizes – ein wichtiger Indikator – sind ins Negative gerutscht, während Erhebungen bei den Banken zeigen, dass sich die Kreditbedingungen verschärft haben und die Nachfrage nach Krediten eingebrochen ist. Laut Bell ist die Lage allerdings möglicherweise nicht ganz so schlimm, wie die Schlagzeilen vermuten lassen. „Alle schauen auf Deutschland, wo die Einzelhandelsumsätze schwach sind und das jährliche Wachstum sich gerade erst ins Positive gedreht hat – und übersehen, dass Spanien gerade einen Konsumboom erlebt“, gibt der Chefvolkswirt zu bedenken.
Auch je nach Sektor gebe es erhebliche Unterschiede. So sei zwar das verarbeitende Gewerbe schwach, während sich der Dienstleistungssektor stark zeigt – ein Phänomen, das fast überall zu beobachten ist. „Allerdings erhalten wir viel mehr Daten über Deutschland und aus dem verarbeitenden Gewerbe, sodass sich das mediale Bild verzerrt“, so Steven Bell. Für ihn steht fest: Die Dinge sind nicht so schlecht, wie die Schlagzeilen vermuten lassen.
Hinzu kommt: Auch die Arbeitslosigkeit geht weiter zurück und befindet sich in der Eurozone aktuell auf einem Rekordtief. Des Weiteren habe sich das Verbrauchervertrauen deutlich verbessert, und nicht ausgegebene Ersparnisse könnten sich in mehr Ausgaben niederschlagen. Andererseits sei aber die Inflation immer noch hoch – doppelt so hoch wie in den USA. „Das bedeutet Aufwärtsdruck auf die Löhne“, erläutert Bell. In Europa gebe es bei den Löhnen zwar weniger Inflationsindexierung als in der Vergangenheit, aber immer noch viel mehr als in den USA. Die Folge: Die Lohn-Preis-Spirale läuft immer noch in die falsche Richtung. „Mit einem Rückgang der Gesamtinflation wird sich die Lage bessern. Aber es wird noch einige Monate dauern, bis es soweit ist“, lautet das Fazit des Chefökonoms.
Großbritannien: Starkes Pfund stützt Inflationsrückgang
Das Vereinigte Königreich hat ebenfalls seine Eigenheiten. Zum einen ist die britische Wirtschaft im Vergleich zur Eurozone oder den USA sehr anfällig gegenüber einem Anstieg der Leitzinsen, bedingt durch die Struktur des britischen Immobilienmarktes. Hinzu kommt, dass die britische Regierung den Mindestlohns um 10 Prozent erhöht hat. „Aus sozialer Sicht ist dies zu begrüßen, hat jedoch die Lohninflation zusätzlich angeheizt“, kommentiert der Chefökonom von Columbia Threadneedle. Dies sei jedoch eine einmalige Maßnahme, die sich im nächsten Jahr nicht wiederholen werde. Ein bedeutender Faktor war außerdem die Schwäche des Pfund Sterling im letzten Jahr: Diese habe sich mit bis zu zwei Prozentpunkten auf die aktuelle Inflation niedergeschlagen.
Nun stehe aber eine Trendwende bevor: „Die jüngsten Inflationsdaten zeigten eine deutliche Entspannung und werden sich weiter verbessern, sobald die Energiekosten der Haushalte weiter sinken“, so Bell. Zuvor waren die Energiekosten um 200 Prozent gestiegen, dürften im kommenden Monat jedoch um 17 Prozent sinken und im Oktober weiter abnehmen. Auch sollte das jüngst wieder erstarkte britische Pfund dazu beitragen, die Inflation zu senken.
Vertrauensvorschuss auf den Finanzmärkten
In Europa ist die Inflation höher und eine weiche Landung ist hier bei weitem nicht so sicher wie in den USA. Es gibt aber auch gute Neuigkeiten: Nachdem sich die Situation in den USA entschärft hat, scheinen die Finanzmärkte nun auch für das Vereinigte Königreich und die Eurozone zuversichtlicher zu sein. „Diese Ansicht teile ich auch“, erklärt Steven Bell.
Sehen Sie hier den Originalkommentar mit Video von Steven Bell.