- In der Eurozone sind die Wirtschaftsdaten schwach, trotz sinkender Inflation und niedriger Arbeitslosenzahlen. Die Energiepreise sind weiterhin über dem Niveau von vor dem Ukrainekrieg, während Unternehmenspleiten und steigende Zinsen für Pessimismus sorgen und Verbraucher zur Sparsamkeit animieren. Die Zinsen dürften weiter steigen – und eine schrumpfende Wirtschaft wird für den Winter immer wahrscheinlicher.
- Großbritanniens Wirtschaft bleibt trotz einiger Schwächen im Allgemeinen widerstandsfähig, mit einem wachsenden Verbrauchervertrauen und steigenden Einzelhandelsumsätzen. Zwar dürfte die Bank of England die Zinsen noch einmal anheben – aber der Höhepunkt wäre damit erreicht.
- In der Eurozone ist das Bild besorgniserregend: Wirtschaftsdaten bestätigen den schwachen Einkaufsmanagerindex, besonders in Deutschland, den Niederlanden und Italien. Großbritanniens Wirtschaftswachstum hingegen dürfte trotz einiger Risiken im positiven Bereich bleiben. Noch weniger wahrscheinlich ist eine Rezession in den USA, wo die Wirtschaftsdaten stark erscheinen.
In der vergangenen Woche stürzten die Einkaufsmanagerindizes (Purchasing Managers‘ Indices, PMI) in der Eurozone, den USA und Großbritannien ab. Vor allem in Europa und im Vereinigten Königreich fiel der Index unter 50 – ein deutliches Signal für eine Kontraktion der Wirtschaft. „Die Einkaufsmanagerindizes werden genau beobachtet, denn für die meisten Experten sind sie ein präziser und zeitnaher Indikator für die allgemeine Wirtschaftsaktivität“, sagt Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments. Doch was sagen andere Daten und ist das Rezessionsrisiko tatsächlich so groß, wie manche erwarten? „Besonders in der Eurozone ist das Wirtschaftswachstum in großer Gefahr“, warnt der Chefökonom.
Eurozone: Grund zur Sorge
In der Eurozone fielen eine Reihe von Wirtschaftsindikatoren erschreckend schwach aus. Das Vertrauen schwindet sowohl bei Verbrauchern als auch bei Unternehmen – und das trotz einer sinkenden Inflation und rekordhohen Beschäftigungsraten. Dafür sieht Bell mehrere Gründe: „Ungeachtet des Abwärtstrends befinden sich die Energiepreise immer noch weit über den Niveaus, die vorherrschten, bevor Russland den Gashahn zudrehte. Deutsche Unternehmen, die auf billiges russisches Gas angewiesen sind, haben ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren“, so der Chefökonom. Und obwohl die Arbeitslosenrate niedrig und in Deutschland sogar weiterhin rückläufig sei, verängstigen Schlagzeilen über eine Welle von Unternehmenspleiten sowohl Verbraucher als auch Unternehmer. „Kommen jetzt noch steigende Zinsen hinzu, ist Untergangsstimmung vorprogrammiert“, resümiert Bell.
Das fehlende Vertrauen führt dem Chefvolkswirt zufolge dazu, dass Verbraucher weniger geneigt sind, ihr während der Covid-Krise angespartes Kapital anzufassen. Zwar gibt es Ausnahmen: In Spanien beispielsweise boomt der Einzelhandel. „Doch das bestätigt eher die Regel“, so Bell. Angesichts einer Inflation, die das Zwei-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) weit überschreitet, ist Bell überzeugt: „Die Leitzinsen dürften weiter steigen – und die Aussicht auf eine schrumpfende Wirtschaft im Winter wird zu einem immer realistischeren Szenario, auch wenn die Arbeitslosenrate auch dann nur marginal steigen dürfte.“
Großbritannien: Verbrauchervertrauen nimmt zu
Die Einkaufsmanagerumfragen deuten zwar auch im Vereinigten Königreich auf eine Schwäche hin, besonders im zuvor widerstandsfähigen Dienstleistungssektor. „Dennoch haben sich die Daten insgesamt als robust erwiesen“, beobachtet Bell. Im Gegensatz zur Eurozone scheint sich das Konsumentenvertrauen im Vereinigten Königreich zu erholen, und es gibt Anzeichen, dass im Herbst die Verkaufszahlen im Einzelhandel zunehmen könnten. Trotzdem gebe es weiterhin Herausforderungen: „Mit jeder neuen Woche werden mehr Hypotheken zu höheren Zinssätzen erneuert, die Hauspreise dürften weiter fallen und wir rechnen damit, dass auch die Arbeitslosigkeit zunimmt“, räumt der Chefökonom ein. Doch wir dürften nicht vergessen, dass die Hypothekenzinsen seit den Höchstständen Anfang Juli signifikant gefallen seien. Eine sinkende Inflation bedeute zudem, dass reale Einkommen allmählich steigen. „Die Bank of England könnte die Leitzinsen noch einmal anheben – doch danach dürfte Schluss sein mit der geldpolitischen Straffung“, ist Bell überzeugt.
Die Einkaufsmanagerindizes sind Kennzahlen für Erwartungen. Sie werden genau beobachtet, stellten sich in Bezug auf das Wirtschaftswachstum eine Zeitlang jedoch als übertrieben pessimistisch heraus. „Anders als im Vereinigten Königreich werden die schwachen PMIs in Europa allerdings durch die Wirtschaftsdaten bestätigt. Das gilt insbesondere für Deutschland, die Niederlande und Italien“, betont Bell – für den Chefvolkswirt von Columbia Threadneedle Investments ein besorgniserregendes Bild. Doch auch Großbritanniens Wirtschaft sei noch nicht über den Berg und es gebe durchaus Risiken. „Wenn ich jedoch richtig liege und die Inflation weiter sinkt, wird auch das Verbrauchervertrauen zunehmen – damit bleibt das Wirtschaftswachstum zwar schwach, aber trotzdem im positiven Bereich“, zeigt sich Bell zuversichtlich. Für noch weniger wahrscheinlich hält der Chefökonom eine Rezession in den USA: „Zwar könnte eine Wiederaufnahme der Rückzahlung von Studienkrediten einen kurzen Schluckauf verursachen, aber die allgemeinen wirtschaftlichen Fundamentaldaten sehen überzeugend aus“, schließt Bell.
Sehen Sie hier den Originalkommentar mit Video von Steven Bell.