- Die Märkte haben eine Zinssenkung der Bank of England im August mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent eingepreist. Wir teilen diesen Optimismus jedoch nicht und raten zur Vorsicht, da sich keine wirtschaftliche Verlangsamung zeigt – weder beim Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP), noch beim Verbrauchervertrauen oder den Unternehmensinvestitionen.
- Auch die Inflation bereitet Sorgen: Nach der Erhöhung des Mindestlohns um zehn Prozent im April sind die Löhne im Allgemeinen gestiegen, und die neue Regierung plant zudem, den Mindestlohn auf junge Erwachsene auszudehnen. Außerdem soll die Ofgem-Preisobergrenze für Energierechnungen im Oktober um zwölf Prozent steigen, was höhere Kosten für Haushalte bedeutet und den Inflationsdruck weiter erhöhen könnte.
- Eine schwächere Wirtschaft und niedrigere Zinsen in Übersee könnten das Pfund Sterling gegenüber anderen Währungen stärken.
Zuletzt gab es viele wichtige Nachrichten, die den Zinsausblick im Vereinigten Königreich beeinflussen: die neue Regierung mit einer radikalen Agenda, wichtige Wirtschaftsdaten im In- und Ausland – und sogar das versuchte Attentat auf Donald Trump spielt eine Rolle.
Die Märkte schätzen die Chancen, dass die Bank of England (BoE) bei ihrer Sitzung Anfang nächsten Monats die Zinsen senken wird, auf mehr als 50:50 ein. Bis zum Jahresende werden mindestens zwei Zinssenkungen erwartet. Ich bin – zumindest auf kurze Sicht – dagegen weniger optimistisch, auch wenn das internationale Umfeld für Zinssenkungen günstiger geworden ist. Dies deutet darauf hin, dass das Pfund Sterling weiterhin stark bleiben wird.
US-Zinssätze beeinflussen andere Länder, und auch EZB dürfte Zinsen senken
Denn: In den USA hat der Anschlag auf Donald Trump seine Chancen auf einen Wahlsieg weiter erhöht, selbst wenn die Demokraten Biden zum Rücktritt überreden. Zwar wird befürchtet, dass eine Trump-Präsidentschaft die Anleiherenditen in die Höhe treiben könnte, weil er die Steuern senkt. Doch er würde auch die Zolleinnahmen erhöhen. Der größere Effekt könnte darin bestehen, dass US-Aktien Auftrieb erhalten. Kurzfristig wird sich die US-Notenbank Federal Reserve jedoch eher auf die jüngsten Daten konzentrieren, die eine niedrigere Inflation und ein langsameres Wachstum zeigen. Die US-Zinssätze haben einen unverhältnismäßig großen Einfluss darauf, wie die Märkte die Zinssätze in anderen Ländern einpreisen, einschließlich des Vereinigten Königreichs.
In Europa herrscht weiterhin Konjunkturflaute. Und da die Inflation auch dort sinkt, sind weitere Zinssenkungen der EZB wahrscheinlich.
Großbritannien: Inländische Wirtschaftsdaten im Fokus
Die Bank of England (BoE) wird sich jedoch mehr auf inländische Faktoren konzentrieren – und diese mahnen zur Vorsicht. An erster Stelle steht die deutliche Verbesserung des britischen BIP-Wachstums. Das überrascht kaum: Die Inflation ist gesunken, die Realeinkommen steigen und das Verbrauchervertrauen verbessert sich, und trotz aller Unkenrufe über die scheidende Regierung waren die Unternehmensinvestitionen stark. Das verringert den Druck, die Zinsen zu senken. Und obwohl die Inflation die Zielmarke von zwei Prozent erreicht hat und in den nächsten Monaten auf diesem Niveau verharren wird, spiegeln sich darin größtenteils Basiseffekte wider, die nicht zuletzt auf die sinkenden Energierechnungen der Haushalte zurückzuführen sind.
Die Lohninflation gibt Anlass zu großer Sorge. Diese wurde durch die Anhebung des Mindestlohns um zehn Prozent im April angeheizt und hat sich eindeutig auf die Löhne im Allgemeinen und die Preise in arbeitsintensiven Sektoren wie dem Dienstleistungssektor ausgewirkt. Ich glaube zwar, dass die Lohninflation zurückgehen wird, aber sie geht von einem sehr hohen Niveau aus, und die neue Labour-Regierung hat bereits angekündigt, den Mindestlohn auf junge Erwachsene auszudehnen – das dürfte das allgemeine Niveau weiter anheben. Schlechte Nachrichten gibt es auch bei den Energierechnungen, denn die Ofgem-Preisobergrenze wird im Oktober um zwölf Prozent steigen. Der Haushalt, der voraussichtlich im November verabschiedet wird, folgt den bestehenden Haushaltsregeln. Da jedoch die zusätzlichen Ausgaben durch höhere Kapitalsteuern finanziert werden, dürfte der Nettoeffekt die Nachfrage ankurbeln. Bei den letzten beiden Sitzungen des BoE-Zinsausschusses haben zwei der neun Mitglieder für Zinssenkungen gestimmt. Ich gehe davon aus, dass sie auch bei der nächsten Sitzung am 1. August in der Minderheit sein werden.
Pfund Sterling dürfte weiter an Wert gewinnen
Während im Vereinigten Königreich die Zinssätze stabil sind und sich die Wirtschaft verbessert, sind in Übersee die Zinssätze niedriger und das Wachstum langsamer. Das bedeutet, dass das Pfund Sterling wahrscheinlich weiter an Wert gewinnen wird.
Von Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments
Den original Video-Kommentar von Steven Bell sehen Sie hier.