Die hartnäckige Inflation, die drastische Anhebung der Leitzinsen und die Sorge um mögliche negative Folgen für die Konjunktur prägten das erste Halbjahr. Heute fragen sich Anleger, wann sie in den USA mit ersten Zinssenkungen rechnen können und wie stark die konjunkturelle Abschwächung ausfallen könnte. Aber auch geopolitische Entwicklungen und Wahlen dürften Investoren in Atem halten.
Entkoppelung der Geldpolitik könnte Volatilität erzeugen: Hohe Inflation stellt großes Risiko dar
Während noch unklar ist, ob sich die US-Notenbank Federal Reserve zu einer ersten Zinssenkung durchringen kann, herrscht in der Eurozone mehr Transparenz. Nach der ersten Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) im Juni ist mit weiteren Lockerungen zu rechnen – auch wenn die Datenlage nicht eindeutig ist. Wenn wir sehen, dass die Notenbanken im Einklang agieren, stützt das die Märkte und senkt möglicherweise die Volatilität. Sollten sich die Geldpolitiken der großen Zentralbanken jedoch entkoppeln und ihre jeweiligen Zinssenkungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder in unterschiedlichem Ausmaß vornehmen, kann das die Volatilität steigern.
Auch wenn die Inflation allmählich zurückgeht – vom hohen einstelligen Bereich auf etwa zwei, drei oder vier Prozent –, bleibt sie ein großes Risiko. Meiner Ansicht nach wird die Inflation in den kommenden Jahren höher bleiben als in den 2000er und 2010er Jahren, als Inflationsraten unter zwei Prozent die Norm waren. Sie wird zwar nicht wieder auf die Höchststände von Ende 20221 steigen, aber in den USA dürfte es beispielsweise schwierig werden, den Zielwert von zwei Prozent zu erreichen. Aktuell liegt die Inflation zwischen drei und vier Prozent und wir gehen davon aus, dass sie sich vorerst auch hier halten wird. Und sollte die Inflation wieder steigen – sei es aus geopolitischen oder anderweitigen Gründen –, werden höhere Zinsen wieder wahrscheinlicher. Für die Märkte wäre dies ein Schock, den sie wahrscheinlich nicht besonders gut verkraften würden.
Positiver Ausblick für Hochzinsanleihen und Schwellenländeraktien
Zinssenkungen sind grundsätzlich positiv für kleinere Unternehmen. Betrachtet man die Markttreiber der vergangenen 18 Monate, so haben sich einige der größeren Unternehmen, die Mega Caps, sicherlich überdurchschnittlich entwickelt. Mit Blick auf die Jahre 2024 bis Anfang 2025 halte ich es für möglich und sogar wahrscheinlich, dass auch andere Marktsegmente und Sektoren besser abschneiden werden. Langfristig sinkende Zinsen und eine robuste Weltwirtschaft unterstützen die Aktienperformance und wir rechnen daher in diesem Jahr mit weiteren Kursgewinnen. Besonders hohe Erwartungen haben wir an US-Aktien: Hier rechnen wir mit einem jährlichen Plus von 6,3 Prozent bei Large Caps und 9,6 Prozent bei Small Caps für die jeweils nächsten fünf Jahre. Auch bei Unternehmen aus Schwellenländern besteht weiterhin Wachstumspotenzial. Das gilt insbesondere dann, wenn aktive Investoren Marktineffizienzen finden und ausnutzen können – jährliche Renditen von bis zu 8,4 Prozent sind so möglich.
Da die Inflation jedoch auf einem relativ hohen Niveau verharren dürfte, gehen wir auch davon aus, dass die Zinsen für längere Zeit hoch bleiben. Das kommt den Fixed-Income-Märkten zugute. Für Hochzinsanleihen erwarten wir in den kommenden fünf Jahren eine Rendite von 7,5 Prozent. Bei Unternehmensanleihen aus den Schwellenländern gehen wir von einer Rendite von 6,3 Prozent aus.
Geopolitische Risiken und Staatsverschuldung geben Anlass zur Sorge
Das geopolitische Umfeld gibt weiterhin Anlass zur Sorge: Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten könnten destabilisierend wirken und die Volatilität erhöhen. Dieses Risiko bleibt zweifelsohne bestehen. Besorgniserregend sind auch die weltweiten Haushaltsdefizite. In Europa liegen sie bei rund vier Prozent, in den USA bei etwa fünf bis sechs Prozent. In Zeiten von Niedrig- und Nullzinsen konnten Regierungen diese Schulden ohne höhere Kosten bedienen. Doch nun, bei einem Zinssatz von rund fünf Prozent, sind die Kosten für den Schuldendienst deutlich höher. Die Haushaltsdefizite müssen deshalb über einen längeren Zeitraum hinweg schrittweise abgebaut werden. Aus politischer Sicht ist es jedoch viel einfacher, die Ausgaben zu erhöhen, die Steuern zu senken und die Defizite steigen zu lassen, als eine Kehrtwende zu vollziehen. Das Gesamtdefizit im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) in vielen europäischen Ländern, einschließlich den USA, liegt bei etwa 100 Prozent – die Kosten für den Schuldendienst sind deshalb relativ hoch, was mit Risiken einhergeht. Die einzige Ausnahme ist Deutschland, wo diese Quote niedriger ist.
Für das kommende Halbjahr steht fest: Zinssenkungen werden noch etwas auf sich warten lassen und auch geringer ausfallen als von den Marktteilnehmern erwartet, da die Wirtschaftsleistung robust ist und die Inflation hartnäckig bleibt. Davon profitieren insbesondere Anleihen. Die US-Wahlen halten die Welt mit ihren dramatischen Ereignissen zwar in Atem, geben uns aber keinen Anlass, die Gewichtung von US-Aktien in unseren Portfolios zu verändern. Die drei Hauptrisiken für die kommenden Monate sind die Geopolitik, die Haushaltsdefizite und ein mögliches Wiederaufflammen der Inflation.
Von William Davies, Global Chief Investment Officer bei Columbia Threadneedle Investments