- Die Märkte rechnen mit weiteren Zinssenkungen in den USA, im Vereinigten Königreich und in der Eurozone im Laufe des nächsten Jahres. Trotz vieler Gemeinsamkeiten ist die Situation in den drei Volkswirtschaften jedoch recht unterschiedlich. Wann es in den einzelnen Ländern zu Zinssenkungen kommt, ist von den Daten abhängig. Besonders der nächste US-Arbeitsmarktbericht ist von Bedeutung.
- In den USA verlangsamt sich das Wirtschaftswachstum allmählich, die Inflation scheint sich weiter abzuschwächen und nach den zuletzt schwachen Arbeitsmarktdaten stellen sich Anleger auf eine Rezession ein. Die Aussichten für Zinssenkungen sind gut.
- Im Vereinigten Königreich zieht die Wirtschaft an und die Konsenserwartungen für das Wachstum liegen bei zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr zum Jahresende. Kurzfristige Zinssenkungen sind wahrscheinlich, für 2025 ist der Ausblick jedoch unsicher – und wer mehr erwartet, könnte eine Enttäuschung erleben.
- Das Wachstum in der Eurozone ist schleppend und die Gesamtinflation ist schnell gefallen. Die Kerninflation hat sich jedoch in den letzten drei Monaten bei etwa drei Prozent eingependelt. Die Erwartungen für potenzielle Zinssenkungen könnten enttäuscht werden.
Nach den Turbulenzen Anfang des Monats rechnen die Märkte in den USA, im Vereinigten Königreich und in der Eurozone nun mit mehr Zinssenkungen für das Jahr 2025, als es noch im Sommer der Fall war. Trotz der Gemeinsamkeiten entwickeln sich diese drei Volkswirtschaften recht unterschiedlich. Stimmt der Konsens an den Märkten, oder kommt es doch anders?
USA: Rezession unwahrscheinlich
In den USA verlangsamt sich das Wirtschaftswachstum leicht, die Inflation schwächt sich weiter ab und nach dem schwachen Arbeitsmarktbericht Anfang des Monats stellen sich die Anleger auf eine mögliche Rezession ein. Wir glauben, dass eine kurzfristige Rezession unwahrscheinlich ist – trotz der Daten, die die Befürchtung ausgelöst haben. Der Markt ist jetzt auch zu diesem Schluss gekommen, doch die Stimmungslage hat sich dennoch geändert.
Vor der Sitzung des Offenmarktausschusses der Federal Reserve am 18. September ist ein weiterer Arbeitsmarktbericht fällig, und dieser wird darüber entscheiden, ob die Zinsen um 25 oder 50 Basispunkte gesenkt werden. Die Märkte gehen davon aus, dass der Leitzins im nächsten Jahr auf 3,2 Prozent sinken wird – eine vernünftige Annahme, die jedoch erhebliche Risiken mit sich bringt, falls sich die Wirtschaft schneller als angenommen verlangsamen sollte. Die Wahlen im November sind dabei ausschlaggebend, denn man kann davon ausgehen, dass die Zinsen unter Trump höher sein werden als unter Harris.
Vereinigtes Königreich: Gesamtinflation steigt
Die britische Konjunktur hingegen zieht an, und die Konsenserwartungen liegen bei zwei Prozent Wachstum bis zum Jahresende gegenüber dem Vorjahr. Unter den elf Mitgliedern der „G10“ ist das der höchste Wert. Bei zwei Prozent kann man zwar nicht von einem Boom sprechen, aber es verringert den Druck auf die Bank of England (BoE), die Zinssätze zu senken. Die Inflationszahlen der letzten Woche fielen niedriger aus als erwartet, auch bei der von der BoE bevorzugten Messgröße, bei der Dienstleistungen im Fokus stehen. Das ist jedoch darauf zurückzuführen, dass die Preise für Urlaubsreisen direkt vor Beginn der Schulferien gemessen wurden – und die Inflation dürfte im nächsten Monat daher wieder steigen.
Die steigenden Energierechnungen der Haushalte lassen die Gesamtinflation ansteigen. Eine gute Nachricht gibt es dagegen für die Lohninflation: Auf Drei-Monats-Basis dürfte diese deutlich zurückgehen, da die Anhebung des Mindestlohns um zehn Prozent im April jetzt keine Auswirkungen mehr hat. Die Großzügigkeit der Regierung bei den Gehältern im öffentlichen Sektor könnte jedoch dazu führen, dass der gängige Tarif steigt. Bezüglich des Mindestlohns haben wir uns allerdings verschätzt: Viele Minister waren davon ausgegangen, dass er um sechs Prozent oder mehr steigen würde, aber jetzt scheint es auf vier Prozent hinauszulaufen. Das ist erfreulich für die Inflationsentwicklung.
Die Märkte rechnen mit einer Zinssenkung um 50 Basispunkte bis zum Jahresende und weiteren 100 Basispunkten im Jahr 2025. Die 5-Jahres-Swap-Sätze liegen jetzt unter vier Prozent und die Hypothekenzinsen für die besten Kredite haben nachgezogen. 50 Basispunkte bis zum Jahresende sind durchaus machbar, doch für 2025 dürften die Märkte zu optimistisch eingestellt sein.
Eurozone: Lohndaten besorgniserregend
In der Eurozone erwarten die Märkte Zinssenkungen von über 50 Basispunkte bis zum Jahresende und weitere 80 Basispunkte im kommenden Jahr. Das Wachstum in der Eurozone ist schleppend und die Inflation ist schnell gesunken. Die Kerninflation hat sich jedoch in den letzten drei Monaten bei etwa drei Prozent eingependelt, und die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Inflationsprognose angehoben. Vieles wird von den Lohndaten abhängen, die am Donnerstag veröffentlicht werden. Diese Zahlen werden nur einmal im Quartal veröffentlicht, und die letzten waren überraschend hoch – weshalb die Währungshüter ihr Bestes taten, um die Daten herunterzuspielen. Hier braucht es diese Woche eine deutliche Verbesserung. Alles in allem würden wir die Aussichten auf Zinssenkungen für die Eurozone als leicht negativ einschätzen.
Zinssenkungen abhängig vom US-Arbeitsmarktbericht
Die Aussichten für Zinssenkungen in den USA sind also recht gut. Im Vereinigten Königreich sind kurzfristige Zinssenkungen wahrscheinlich, doch es ist unsicher, wie es 2025 weitergeht. In der Eurozone sind die Daten allerdings leicht beunruhigend. Wann es in den einzelnen Ländern letztendlich zu Zinssenkungen kommt und wie hoch diese ausfallen werden, ist von den Daten abhängig, wobei der nächste US-Arbeitsmarktbericht besonders von Gewicht ist. Ein anhaltendes Wirtschaftswachstum mit sinkenden Zinsen scheint gute Voraussetzungen für Risikoanlagen zu bieten.
Von Steven Bell, Chefsvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments
Den original Video-Kommentar von Steven Bell sehen Sie hier.