- US-Aktien haben sich von den zollbedingten Verlusten erholt und der S&P500 ist nur noch drei Prozent von seinem Allzeithoch entfernt. Trotz Erholung ist der US-Dollar schwächer und die Renditen der US-Staatsanleihen sind gestiegen.
- Die Zoll-Vereinbarungen zwischen USA und China beruhigen die globalen Märkte, dennoch bleiben die US-Zölle deutlich höher als im vergangenen Jahr – sektorspezifische Ankündigungen stehen noch aus.
- Die Unsicherheit bleibt groß, trotz der Erholung auf den Märkten. Es wird einige Wochen dauern, bis zuverlässige Wirtschaftsdaten vorliegen. Bei der Vermögensallokation verfolgen wir daher einen vorsichtigen Ansatz mit einer moderaten Aktienquote und einer leichten Übergewichtung der USA und Europas.
Wären Sie seit Anfang März auf einer einsamen Insel gestrandet gewesen, könnten Sie jetzt mit einem Blick auf den S&P 500 Index meinen, Sie hätten nichts verpasst. Die US-Aktien sind nun wieder da, wo sie damals lagen, und alle Verluste des „Liberation Days“ sind aufgeholt. Grund dafür sind die überraschend positiven Gespräche zwischen den USA und China. Zu Beginn der Woche fehlten dem S&P500-Index nur noch etwa drei Prozent zu seinem Allzeithoch. Der Dollar ist dagegen um drei Prozent gefallen, und die Renditen der US-Staatsanleihen sind sprunghaft angestiegen. Und auch die Zinserwartungen haben eine Achterbahnfahrt hinter sich: Nach der Ankündigung der Zölle rechneten die Märkte mit fünf Zinssenkungen für 2025, jetzt sind es nur noch zwei.
Zoll-Gnadenfrist läuft ob
Die Geschichte vom US-Handelskrieg scheint also noch nicht zu Ende erzählt. Die Gnadenfrist von 90 Tagen, bevor die gegenseitigen Zölle theoretisch wieder in Kraft treten, ist in gut sieben Wochen vorbei. Vor Juli dürften es auch Ankündigungen zu sektoralen Zöllen wie für Halbleiter und Pharmazeutika geben – ähnlich wie die, die wir bereits für die Autoindustrie gesehen haben. Die Finanzmärkte sind jedoch positiv gestimmt. Es herrscht die Meinung vor, dass die Zölle weiter sinken. Gleichzeitig lässt die politische Unsicherheit nach. Dies lässt den Konsens zu, dass die Situation allmählich deeskaliert.
Höchste Zinssätze seit den 1930ern – trotz erster Deals
Tatsächlich scheinen die Vereinbarungen zwischen den USA und China sowie dem Vereinigten Königreich auf den ersten Blick ein gutes Ergebnis zu sein. Real betrachtet sieht die Position aktuell jedoch wesentlich schlechter aus als zuvor. Die Ober- und Untergrenzen für die Zölle werden immer deutlicher: Das Beste, was derzeit realistisch erwartet werden kann, ist ein Basiszollsatz von zehn Prozent. Hinzu kommen weitere Zölle, womit die Abgaben insgesamt ein Niveau zwischen 14 und 17 Prozent erreichen – weit mehr als alles, was wir seit den 1930er Jahren erlebt haben und ein gewaltiger Sprung von den 2,5 Prozent des vergangenen Jahres. Auch wenn der Handelskrieg bereits deeskaliert, werden einige Länder und Unternehmen die Auswirkungen spüren. Es wird für die USA unmöglich sein, innerhalb des 90-Tage-Fensters mit allen Handelspartnern zu verhandeln.
Für uns ergibt sich daraus eine gemäßigtere Sicht auf die Vermögensallokation. Jetzt, da sich die Märkte stark erholt haben – trotz der anhaltenden Unsicherheit. Wir sind allerdings nicht bereit, das Risiko bei unserer bereits leicht positiven Einschätzung von Aktien und unserer leichten Tendenz in Richtung USA und Europa zu erhöhen. Zölle und die anhaltende Unsicherheit werden sich nach wie vor negativ auf die Wirtschaftsaussichten auswirken, auch wenn die Situation weniger dramatisch ist, als noch vor einigen Wochen befürchtet.
Langfristige politische und wirtschaftliche Unsicherheit
Die extrem hohen Zölle zwischen China und den USA, sowie die entsprechend einschlägigen Reaktionen des Marktes, sorgen für reichlich Verwirrungen bei den Wirtschaftsdaten. Diese werden, auch aufgrund der undurchsichtigen politischen Situation, in der nächsten Zeit nur wenig aussagekräftig sein. Der Markt muss sich also noch ein wenig gedulden, bis verwertbare Daten vorliegen und eine belastbare Analyse möglich ist. Es gibt noch viel zu tun, wenn wir die wirtschaftlichen Schäden so gut wie möglich begrenzen wollen. Schnelles Handeln ist dabei ausschlaggebend. Das Konsumverhalten von Unternehmen und Verbrauchern ist stark abhängig von deren Vertrauen – um dieses wiederzuerlangen, wird noch einige Zeit vergehen, besonders in den USA.
Von Anthony Willis, Investment Manager bei Columbia Threadneedle Investments
Den englischsprachigen Originalkommentar von Anthony Willis, Senior Economist bei Columbia Threadneedle Investments, finden Sie hier.