GAM-Schwellenländer-Fondsmanager: "Vorsicht bleibt das Gebot der Stunde"

Der aktuelle Ausverkauf bietet in einigen Bereichen der Schwellenländer interessante Chancen. Dennoch ist Vorsicht geboten: Denn vieles könnte von der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus abhängen. GAM | 03.04.2020 10:11 Uhr
Tim Love, Investment Director bei GAM Investments / © GAM Investments
Tim Love, Investment Director bei GAM Investments / © GAM Investments
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

"Wir glauben, dass die wilden Kursausschläge schon bald einem rationalen Denken weichen dürften, nachdem die Zahl der Virusinfektionen, die Quarantänemaßnahmen und die Krisenerklärungen in den USA und in der EU ihren Zenit überschritten haben. Unserer Ansicht nach werden die fallenden Märkte bald nach der Gleichung verpasste Chancen versus akzeptables kurzfristiges „Risk-off“ betrachtet werden.

Kurz gesagt könnte die Verkaufswelle genutzt werden, um weiterhin auf günstigere Qualitätswerte zu setzen, und zwar sowohl im Einklang mit einer Top-down-Strategie (Währung, implizite Volatilität und Kreditaspekte) als auch mit attraktiven Aktienbewertungen auf Grundlage der Bottom-up-Fundamentaldaten. Wir glauben, dass diese Kombination das Fehlerrisiko reduziert, sollten Makrofaktoren die Bottom-up-Alphafaktoren kurzfristig überlagern. Kurzfristig favorisieren wir daher zum Beispiel Qualitätswerte in den Bereichen Online-Bildung und Cybersicherheit. Langfristige Wachstumschancen, die unserer Meinung nach hervorragende Einstiegspunkte bieten, sehen wir bei brasilianischen Banken und russischen Stahlunternehmen.

Bodenbildung erreicht?

Die wichtigsten Treiber für einen ersten nachhaltigen Zwischenschritt sind allmählich vorhanden. Aufgrund der steigenden Infektionszahlen in den USA könnte sich dies jedoch noch etwas verzögern. Konsolidierungen in der Zyklusmitte treten normalerweise nach zwölf bis 18 Monaten auf – angesichts der Dynamik des Virus könnte dies jedoch auch schon früher stattfinden. Die Infektionsrate könnte nämlich innerhalb von 30 bis 60 Tagen stark zurückgehen.

1) Virus: hohe Alarmbereitschaft in den wichtigsten Industrieländermärkten

Es besteht die Gefahr, dass die Infektionszahlen in den USA kurzfristig weiter stark ansteigen, was zu kurzfristiger Volatilität führen wird.

2) Geldpolitische Unterstützung: Ankündigung von bedeutenden Maßnahmen für kurzfristige Liquidität (nicht nur Zinssätze) durch alle wichtigen Zentralbanken

Das Hauptrisiko, das es zu vermeiden gilt, besteht in kurzfristigen Liquiditätsengpässen. Es wird jedoch zu Ausfällen kommen, die eine kurzfristige Volatilität zur Folge haben.

3) Bewertungen: volle Diskontierung der Wachstumsblase

Gewinnblasen werden wahrscheinlich zu Volatilität führen. Bei einer Normalisierung rechnen wir jedoch damit, dass das Jahr 2021 positiv ausfällt. Dabei gehen wir von einer Wachstumsrate von 16% aus – das mag hoch klingen, entspricht aber der durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (CAGR) der nächsten zwei Jahre. Dieser „Blick über das Tal“-Ansatz neutralisiert zwar tatsächlich das Wachstum für 2020, aber diskontiert eine Normalisierung im Jahr 2021. Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass Schwellenländeraktien eine der attraktivsten relativen Anlageklassen mit Rückstand sind, da sie ihre Höchststände von 2007 noch nicht überschritten haben. Zudem sind sie nicht überkauft, überbeliebt oder überbewertet. Unserer Ansicht nach bilden sie für Value-Strategien und für Investoren auf der Suche nach Rendite die attraktivste relative Aktienanlageklasse im Investment-Grade-Bereich.

4) Positionierung: vollständige Marktbereinigung

Die Kapitulation an den Märkten schreitet voran, denn die doppelte Volatilitätsunterbrechung deutet auf Panikverkäufe sowie Abflüsse von High-Yield-Volumen hin. Selbst der jüngste Rückgang von Gold ist auf Liquiditätsängste und Verkaufsgewinne zurückzuführen. Zu beachten ist, dass Schwellenländeraktien einen raschen Einstieg in die New Economy bieten, da die Kommandowirtschaften bzw. die oligopolistische Ausrichtung dieser Länder im Vergleich zu den Industrieländern eine unkomplizierte und frühzeitige Übernahme neuer Technologien ermöglicht haben. Dies trifft insbesondere auf China zu. Die Zusammensetzung des Schwellenländerindex hat sich wesentlich zugunsten von Aktienpositionen der neuen Weltwirtschaft verändert. Dies geht mit einem doppelten Vorteil einher, da die Dollarstärke (ein Nebeneffekt der Risikovermeidung) weniger negative Auswirkungen auf die Aktienindizes der Schwellenländer hat. Heute machen Grundstoffe und Öl in den Schwellenländerindizes weniger als 9% aus – gegenüber 48% vor fünf Jahren.

5) Risikobedingte Kursverluste: im gesamten Schwellenländeraktienmarkt seit Jahresbeginn weniger oder gleich stark im Vergleich zu den Indizes der Industrieländer

Dies stellt eine völlig neue Situation dar. Da Schwellenländeraktien davon profitieren, Investment-Grade-Nachzügler zu sein und im Vergleich zu Industrieländern einen wesentlich niedrigeren Verschuldungsgrad im Verhältnis zum BIP aufzuweisen, war der daraus folgende Kursverlust nicht etwa ein Vielfaches des Industrieländer-Betas. Ebenso interessant ist jedoch, dass das Aufwärtspotenzial bei einer Erholung wesentlich größer als bei den Industrieländern ist – dies wurde insbesondere im Jahr 2017 deutlich. Aus diesem Grund entwickelt sich bei den Schwellenländeraktien in den kommenden 12 Monaten ein attraktives Rendite-Risiko-Profil.

Kurzfristig bleibt Vorsicht das Gebot der Stunde

Bevor es zu einer Erholung der Fundamentaldaten kommt, ist kurzfristig jedoch ein höheres Maß an Vorsicht geboten. Die Wahrscheinlichkeit einer sich selbst verstärkenden negativen Rückkopplung nimmt kurzfristig zu. Dies könnte nicht nur zu einer Rezession führen, die vollständig im S&P 500 (SPX)  diskontiert wird, sondern möglicherweise noch weitere Folgen haben.

Eine Rezession würde einer normalen zyklischen Baisse von circa 25 bis 30% entsprechen. Ein langfristiger oder struktureller Bärenmarkt könnte jedoch ein weiterer Schritt in Richtung eines vielleicht 45%igen Überverkaufs sein, was einem SPX von 2150 entsprechen würde. Ein solcher Auslöser für einen Wechsel von einem Extrem ins andere würde mit einem strategischen Ungleichgewicht – etwa einem Schwarzen Schwan – einhergehen. Dazu zählen etwa übertriebene Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, ein Liquiditätsereignis mit anschließender Insolvenz und einer Verschärfung der Verkaufswelle oder ein durch Deleveraging bedingtes Kreditereignis (verschärft durch hohe ETF-Bestände und die höhere Gewichtung von Ölunternehmen in BBB-Kredituniversen).

Das wahrscheinlich schwächste Glied jeder Risk-off-Kette wäre eine Liquiditätsumkehr. Die erstaunlich geringe Marktkapitalisierung einiger EU-Finanzinstitute rückt dabei immer weiter in den Fokus. Weitere Risiken liegen in dem Umfang der Umschuldungen und Refinanzierungen auf mehreren Ebenen der globalen Schuldenmärkte (nicht zuletzt bei hypothekarisch gesicherten Wertpapieren) in Verbindung mit den Belastungen durch Staatsanleihen, wo sich die Renditeaufschläge italienischer Anleihen gegenüber Bundesanleihen erheblich ausweiten.

Eine weiterer Aspekt besteht darin, dass der KI- und algorithmische Handel heute den Markt dominiert und ETF-Fonds gegenüber aktiv verwalteten Fonds eine bedeutende Rolle spielen, was ein mögliches Liquiditätsereignis dieses Mal noch unberechenbarer macht. Dabei geht es um Ereignisse, die unbeabsichtigte Folgen nach sich ziehen könnten, die potenzielle – und später tatsächliche – Negativfaktoren darstellen.

Angesichts der ununterbrochenen Berichterstattung in den Medien, die Politiker zu den scheinbar gleichen Entscheidungen drängt, werden die wirtschaftlichen Auswirkungen wohl gravierender ausfallen – zumindest kurzfristig. Sofern die gemeinsamen globalen fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen nicht entsprechend umfangreich ausfallen, wird der Fokus auf den kurzfristigen Sterblichkeitsraten in den USA und der EU die Schlagzeilen dominieren und die Risikoaversion weiter verstärken. Daher könnte kurzfristige „Angst“ aufgrund der Reaktion einer „Shock-and-Awe“-Politik durchaus zu einer Überlagerung des Faktors „Gier“ führen.

Aufgrund des Risikos eines kurzfristigen Wirtschaftseinbruchs sollte deshalb eine moderatere Vorgehensweise – bei grundsätzlicher Beibehaltung des Kurses – in Betracht gezogen werden. Innerhalb des kommenden Monats sollte sich ein besseres Rendite-Risiko-Verhältnis entwicklen, bei dem Liquidität, Kreditausfallrisiko und Ölpreisabstürze stärker in den Fundamentaldaten und Bewertungen abgebildet sind. Doch diesen Grad der Transparenz haben wir noch nicht erreicht. Vor der Nutzung dieses Einstiegspunkts in hochwertige langfristige Anlagen sollten Investoren daher etwas Vorsicht walten lassen. Dennoch rechnen wir damit, dass wir in einem Jahr deutlich weiter sein werden. Die Fragen, die wir uns derzeit stellen, betreffen das Risikobudget und den Einstiegspunkt. Da aber ein Impfstoff wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen wird, glauben wir, dass es in den nächsten Monaten an der Zeit sein könnte, wieder allmählich in Schwellenländeraktien zu investieren."

Tim Love ist Investment Director bei GAM Investments und Lead-Fondsmanager der GAM Emerging Markets Equity Strategie

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