Der Marktkonsens fordert keine Änderung der offiziellen Leitzinsen. Und ein Einlagenzinssatz von -50 Basispunkten sollte immer noch fair sein. Aber ist er das auch wirklich? Peter De Coensel, Chef-Anleihenstratege bei DPAM, bestreitet dies. Der Hauptgrund liegt in einer übermäßigen Aufwertung des nominalen effektiven Wechselkurses (Nominal Effective Exchange Rate / NEER).
Am vergangenen Freitag schloss der von der EZB berechnete monatliche NEER-Wert bei 122,92. Dieser Kurs basiert auf gewichteten Mittelwerten der bilateralen Euro-Wechselkurse von 41 wichtigen Handelspartnern des Euroraums. Mit 122,92 sind wir weniger als 1% vom höchsten Stand entfernt, der im Dezember 2008, seit der Einführung des Euro am 1. Januar 1999, erreicht wurde. Die Bloomberg-Daten zu diesem nach Handelsströmen gewichteten Euro-Währungs-Index (TWI) reichen bis ins Jahr 1993 zurück. Auch in diesem Zeitraum nähern wir uns dem höchsten Stand aller Zeiten. Laut EZB-Präsidentin Lagarde wird der Euro-Wechselkurs aktuell analysiert und als einer der Kanäle zur Messung der Wirksamkeit ihrer Politik betrachtet. Nun, vielleicht ist es an der Zeit, zu den primären bzw. standardpolitischen Instrumenten zurückzukehren und weniger Gewicht auf sekundäre oder unkonventionelle Instrumente zu legen.
Zugegeben, beides ist wesentlich, um alle Kanäle, über die die Geldpolitik ihre Ziele erreicht, offen und liquide zu halten. Die Wettbewerbsfähigkeit des EUR-Raums bekommt jedoch Risse. Mit -0,50% hat die Fazilität des Einlagenzinses noch nicht das Niveau erreicht, das die finanziellen Bedingungen verschärfen und das mögliche Wachstum verringern würde. Warum sollte man sich nicht der Herausforderung stellen und, wie andere Zentralbanken es getan haben, den Einlagensatz in Richtung -0,75% senken? Die Signalfunktion wäre laut und deutlich. Der Euro-Währungs-Index TWI würde sich anpassen und gleichzeitig das Gleichgewicht zwischen dem standardmäßigen und dem nicht-standardmäßigen Einsatz der politischen Instrumente der EZB wiederherstellen.
Betrachtet man jedoch den von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich gemessenen realen effektiven Wechselkurs (REER) des Euro-Raums, so ist die Situation weniger dramatisch. Der REER ist der gewichtete Durchschnitt des NEER, bereinigt um das Verhältnis des inländischen zum ausländischen Verbraucherpreisindex. Der EUR REER schwankt um seinen 20-jährigen langfristigen Durchschnitt. Wenn also die Situation unter dem REER-Himmel nicht kritisch ist, verheißt es nichts Gutes, wenn die EZB die europäischen Verbraucherpreise nicht in Richtung ihres 2%-Ziels anzuheben vermag. Wenn es den USA und anderen Ländern gelingt, das Inflationsniveau anzuheben, wird sich dies noch mehr zum Nachteil unserer EUR-Währung auswirken, die weiterhin auf ihrem Aufwertungspfad bleiben wird. Dies ist eine weitere japanisch anmutende Entwicklung, die sich entfaltet! Zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte der Europäischen Währungsunion sollte unsere Währung nicht zu einem Instrument der Flucht in die Sicherheit werden. Das Tandem aus Ursula von der Leyen und Christine Lagarde sollte einen höheren Gang einlegen.
Peter De Coensel, Chef-Anleihenstratege bei DPAM
Den vollständigen Kommentar von Peter De Coensel finden Sie hier.