Überambitionierte Fed löste 1929er Crash aus: (K)eine Wiederholungsgefahr?

DPAM | 12.06.2021 20:51 Uhr
Peter De Coensel, CIO Fixed Income bei DPAM / © e-fundresearch.com / DPAM
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Schlüsselbotschaften

1. Das vor uns liegende Jahrzehnt sieht vielversprechend aus, da neue Innovationen in der Wirtschaft und der Arbeitswelt einen stetigen und vielversprechenden Wachstumspfad ermöglichen können. Solche Innovationen sollten die Produktivität unterstützen bzw. erhöhen. Das wird eine wesentliche Komponente sein, um eine sich selbst verstärkende Inflation zu verhindern.

2. Die Fed wird der Vermögenspreisinflation, die im letzten Jahr zu beobachten war, nicht entgegenwirken. Sie wird nicht die Rolle des Schiedsrichters bei Spekulationen an den Märkten spielen. Die US-Notenbank wird sowohl in der Geldpolitik als auch in der Aufsicht, als Hüter funktionierender Märkte und als Kreditgeber der letzten Instanz die Führung übernehmen.

3. Die Reaktionsfunktion der Fed ist für Marktteilnehmer klar erkennbar und deutet auf ein Leitzinsniveau zwischen 2,25 und 2,50 % bis 2025 hin. Erwarten Sie keine höheren Niveaus, da eine solche Politik die Märkte so weit verunsichern könnte, dass sie in eine negative Rückkopplungsschleife mündet. Die Fehler, die zum Marktcrash von 1929 führten, werden sich nicht wiederholen.

Die US-Arbeitsmarktstatistik vom vergangenen Freitag ist ein weiterer Beweis für die Wankelmütigkeit aktueller Wirtschaftsdaten. Ein Anstieg von 559.000 bei den „Nonfarm Payrolls“ ist ein Rückschlag und kann von Sell-Side-Strategen nicht als methodischer Rechenfehler abgetan werden. Wir müssen akzeptieren, dass die meisten Wirtschaftsindikatoren eine Phase hoher Volatilität verdauen. Weiche Indikatoren neigen dazu, überoptimistisch zu sein, während harte Indikatoren mit mehr Unsicherheit behaftet sind. Dies wird bis weit ins Jahr 2022 andauern. Im gregorianischen Kalender begann dieses Jahrzehnt Anfang 2021. Steuern wir auf ein Jahrzehnt zu, das den tosenden 20er Jahren des letzten Jahrhunderts ähnelt? Jenes Jahrzehnt war in der Tat ein Blühendes, das von umfangreichen Innovationen in der Technologie und der Einführung neuer Geschäftspraktiken geprägt war. Die Pandemie, die unser privates und berufliches Wohlbefinden beherrscht, trägt Elemente, die ebenfalls technologische Veränderungen und den Beginn einer neuen Arbeitskultur vorantreiben. Der Fortschritt des vergangenen Jahres im medizinischen Bereich ist beeindruckend. Die Erfolge bei der Kontrolle von Virusausbrüchen dürfen nicht unterschätzt werden. Um die Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte zu messen, sind wir noch in einem verfrühten Stadium. Wir spüren jedoch, dass die Auswirkungen in allen Branchen, sei es im verarbeitenden Gewerbe oder im Dienstleistungssektor, tiefgreifend sind. Arbeitsplätze, die einer geringen Qualifizierung bedürfen, gehören zur Hochrisikokategorie. Die Automatisierung beschleunigt sich aufgrund einer geringeren Globalisierung als Folge veränderter geopolitischer Prioritäten. Gleichzeitig steigt der regulatorische Druck zur Einführung kürzerer Lieferketten. Der Regulierungseifer umfasst sowohl die klimabezogene Risikominderung als auch das Bestreben, weniger Ungleichheit zu erreichen. Die Einigung der G7 auf einen Mindeststeuersatz für internationale Großkonzerne, die am vergangenen Wochenende erzielt wurde, ist ein Beweis dafür.  

Wir können festhalten, dass die Kombination der oben genannten Regimewechsel die Produktivität vorantreiben und den Anstieg der Inflationsraten in den Industrieländern tatsächlich abschwächen kann. Zudem sollten wir die Prämisse, dass erneut „blühende 20er“ vor uns liegen, mit Vorsicht genießen. Wenn überhaupt, dann überwiegt das Risiko, dass die Ungleichheit kurzfristig zunimmt, gegenüber dem Potenzial für mehr Gleichheit auf lange Sicht. Es ist diese Erkenntnis, dieser unsichere Zustand, der die Geldpolitik in den nächsten drei bis fünf Jahren beeinflussen wird. Die US-Fed ist sich dessen bewusst und in den schwachen Messwerten der Beschäftigungsrate eingebettet. Hinter den schwachen Zahlen verbirgt sich eine noch schwächere Dynamik, die darin besteht, dass die Menschen in Bezug auf das erforderliche Wissen und die Arbeitsintensität mit den wachsenden Arbeitsanforderungen, die von der Gesellschaft forciert werden, nicht Schritt halten können. Das bringt uns zu den Reaktionskurven der Zentralbanken. Wie sollten sie die Geldpolitik ausrichten, um die schwierigen Veränderungen in den Bereichen Arbeit, Wirtschaft und menschliche Faktoren abzumildern? Die Zeiten, in denen sich die Zentralbanken „nur“ auf die Festsetzung der Tagesgeldsätze konzentrierten und das Kredit- und Wirtschaftswachstum in einem stabilen Inflationsumfeld auf einen nachhaltigen Pfad lenken mussten, liegen nun endgültig hinter uns.

Die Fed wird an der bewährten politischen Strategie des „Gradualismus“ festhalten, ohne ein aggressives Platzen der Blase erzwingen zu wollen. In den letzten 25 Jahren hat sich die US-Notenbank, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf eine höhere Transparenz eingestellt und private (Haushalte & Unternehmen) und öffentliche Akteure (Regierungen & supranationale Finanzierungsorganisationen) weit im Voraus auf die mögliche Richtung und das Tempo der geldpolitischen Lockerung oder Straffung vorbereitet bzw. informiert. Nach der Großen Finanzkrise von 2008/2009 wurde diese Aufgabe schwieriger, da die Anzahl der geldpolitischen Instrumente zunahm. Nichtsdestotrotz hat sich die Erfolgsbilanz als effektiv erwiesen, um das Einsetzen einer Deflation zu verhindern und den US-Wachstumspfad auf einem respektablen Weg zu halten. Es ist zu erwarten, dass die Fed am Mittwoch, den 16. Juni, die breite Öffentlichkeit darüber informieren wird, dass sie unter der Voraussetzung einer erfolgreichen Überwindung der Gesundheitskrise eine Strategie des Ausstiegs aus den quantitativen Maßnahmen ab Anfang 2022 in Betracht ziehen wird. Wir betonen, dass der Markt ein solches Ereignis bereits vollständig eingepreist hat.

Angesichts der Erwartung eines vorübergehenden Anstiegs der Inflation auf mittlere Sicht wäre es unverantwortlich, wenn sich die Fed hierzu nicht äußern würde. Nichts zu tun, könnte die Konsolidierung der US-Langfristrenditen seit Ende März beeinträchtigen und ungewollt in einen ungeordneten Anstieg der Langfristrenditen münden. Die Fed wird ein solches Ereignis verhindern und entsprechende Maßnahmen rechtzeitig ankündigen. Zu rechnen ist auch mit einer schrittweisen Erhöhung der Leitzinsen ab dem zweiten Halbjahr 2023 oder Anfang 2024. Die Diskussion sollte sich auf den Ziel-Leitzins konzentrieren. Aktuell preist der Markt einen finalen Leitzins im Bereich zwischen 2,25 und 2,50 % ein. Die Fed sollte dieses Niveau bis Mitte 2025 oder spätestens 2026 erreichen. Die heimliche Zustimmung des Marktes zu diesem Pfad erklärt die derzeitige Konsolidierungsphase bei den langfristigen US-Treasury-Renditen. Wenn wir die US-Renditekurve auf 5-Jahres-Sicht betrachten, finden wir eine Übereinstimmung mit einem End-Leitzins von 2,25 bis 2,50%. Allerdings gibt es Denkansätze in die Richtung, dass der finale Leitzins in den Bereich zwischen 3,00 und 3,5% angehoben werden könnte/sollte, um die Inflation neben der Bildung von Vermögensblasen nicht zu entfesseln. Dabei steht folgende Frage im Mittelpunkt: Ist Inflation der Auslöser für Blasen an den Vermögensmärkten oder führen Blasen an den Vermögensmärkten zu Inflation?

Tatsache ist, dass wir innehalten und darüber nachdenken müssen, wie wahrscheinlich es ist, dass sich eine solche Fed-Reaktionsfunktion herauskristallisiert. Und hier könnte die Geschichte unser Wegweiser sein. Die Fed hat viele Male erklärt, dass Geldpolitik auf die Wirtschaft und nicht auf die Vermögensmärkte abzielt, und darauf hingewiesen, dass Inflation kein kurzfristiges politisches Anliegen ist, da sie Preissteigerungen als vorübergehend betrachtet. Die US-Notenbank ist besorgt über die Qualität der Arbeitsmarkterholung. Diese Botschaften werden immer und immer wieder wiederholt. Dennoch weisen Sell-Side-Strategen auf die Möglichkeit hin, dass die Fed von ihrem bewährten Gradualismus und ihrer Forward Guidance-Politik abweicht. Ich stimme der Aussage zu, dass es besser ist, es den Marktteilnehmern zu überlassen, mit dem überschäumenden Zustand der Märkte zurechtzukommen. Bereits im Jahr 2002 war Ben Bernanke gegen eine Strategie, mit der sich die Fed-Politik gegen eine Blasenbildung lehnen sollte. Eine solche Politik würde als Versicherung fungieren und Blasen an den Vermögensmärkten präventiv abschwächen. Das Hauptargument, mit dem der damalige Fed-Präsident eine Politik ablehnte, mit der die Wahrscheinlichkeit erhöht werden sollte, dass Marktteilnehmer bei einer Straffung der Geldpolitik z.B. zusätzliche 50 Basispunkte über den aktuellen geschätzten Pfad hinaus erwarten, war, dass der Kollateralschaden für die Wirtschaft hoch sein könnte. Im Wesentlichen erklärte Bernanke, dass eine solche Politik gegen solide Praktiken des Zentralbankwesens mit dem stumpfen Instrument der Geldpolitik verstoßen würde. Er erklärte, dass die Fed Marktblasen nicht zuverlässig besser identifizieren könne als professionelle Marktteilnehmer!

Die Erinnerung an die politischen Fehler der Fed, die ab 1925 ihren Anfang nahmen, ist lohnenswert. Benjamin Strong, damaliger Gouverneur der New Yorker Zentralbank, wehrte sich gegen Versuche, die Geldpolitik auf den Aktienmarkt auszurichten, und verwies auf mögliche negative Folgen. Leider starb er Anfang 1928 und die Fed geriet unter die Kontrolle von „Blasenbekämpfern“. Der glühendste Spekulationsgegner war Board-Gouverneur Adolphe Miller, der mit dem kurz darauf gewählten Präsidenten Herbert Hoover befreundet war. Strongs Nachfolger bei der New Yorker Fed, George Harrison, drängte auf höhere Zinsen, statt auf makro-freundlichere Maßnahmen. Die Fed erhöhte die Zinsen von 3,5 % im Januar 1928 auf 6 % bis August 1929. Was folgt, ist in der Tat Geschichte ... eine schlechte Geschichte, denn der Crash führte zu einer lang anhaltenden Depression. Bernanke stellte fest, dass die richtige Interpretation der 1920er Jahre nicht die populäre ist. Die Erzählungen besagen, dass der Aktienmarkt überbewertete, abstürzte und die Große Depression verursachte. Die Wahrheit liegt jedoch in einer überambitionierten Fed, die den Anstieg der Vermögensmärkte stoppen wollte. Ich gehe davon aus, dass die Fed diesen Fehler nicht wiederholen wird. Das aktuelle Niveau der US-Langfristrenditen hat bereits eine Anhebung der Leitzins-Politik auf 2,50 % eingepreist. Eine Anpassung, die in den 20er Jahren vor etwa einem Jahrhundert stattfand. Ich rechne damit, dass die finanziellen Bedingungen akkommodierend und korrekt sind mit Blick auf die aktuelle wirtschaftliche Unsicherheit. Aktuell haben die langfristigen US-Zinsen eine Reduzierung der quantitativen Maßnahmen über 2022 und einen allmählichen Straffungspfad zwischen Mitte bis Ende 2023 und 2025 eingepreist. Gradualismus wird wieder die bevorzugte Strategie sein. Ob die Fed es jemals schafft, den aktuellen Zielzins zu erreichen, sollte im Mittelpunkt der heutigen Debatte stehen. Wie bereits früher erwähnt, sollten wir uns in einem Szenario, in dem der finale Leitzins bei 1,5 % liegt, auf starke US-Anleihenmärkte in den kommenden Jahren einstellen.

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