Seit Anfang dieser Woche kauft die FED bis Mitte Juni 2022 US-Staatsanleihen im Wert von 280 Mrd. Dollar und hypothekenbesicherte Wertpapiere im Wert von 140 Mrd. Dollar, um damit dem Finanzsystem aktiv Liquidität in Höhe von insgesamt 420 Mrd. Dollar zuführen. Nach März 2022 wird sich die Intensität der EZB-Interventionen ebenfalls verlangsamen, aber erst mit der Sitzung am 16. Dezember können Aussagen über die Wirkung gemacht werden. Die Nervosität an den Finanzmärkten nimmt zu. Dies zeigt sich an der Liquidität und Volatilität auf beiden Seiten des Atlantiks. Die implizite Volatilität von US-Staatsanleihen, gemessen am MOVE-Index (Merrill Lynch Option Volatility Estimate), steht kurz vor dem Ausbruch über 80. Dieser Wert bildete in den letzten fünf Jahren die obere Linie. Bei US-Aktien ist es dem VIX-Index seit Ausbruch der Pandemie nie gelungen, unter die 15er-Marke zu fallen. Zwischen 2016 und Anfang 2020 schwankte der VIX zwischen 10 und 15. Die FED reagierte stets auf einen Aufschrei der Märkte im Zuge sich verschärfender Finanzbedingungen mit einer plötzlichen Umkehr der Taper-Politik mittels der Notenbankbilanz oder einer raschen akkommodierenden Zinsanpassung. Die Zwischenphase der akkommodierenden Geldpolitik ging ab März 2020 in das Krisenmanagement über. Heute ist in den Industrieländern der Risikomanagementansatz der Zentralbanken angesichts nicht verankerter Inflationserwartungen eindeutig. Sie werden in ihrer Entschlossenheit, die akkommodierende Geldpolitik zurückzufahren, nicht nachlassen. Angesichts intensiver Preissteigerungen und der anhaltenden Erholung der Beschäftigung werden weder Fed-Präsident Jerome Powell noch seine potenzielle Nachfolgerin Lael Brainard den Märkten zu Hilfe kommen. In diesem Sinne haben die Finanzmärkte ein eigenartiges Verhalten an den Tag gelegt. Ein Verhalten, das Marktsektoren mit den höchsten Bewertungen begünstigt. Wie lange eine solche gezielte Risikobereitschaft (oder Vernachlässigung der Risikoaversion) anhalten kann, lässt sich nicht abschätzen. Möglich ist jedoch die Vorbereitung der Portfolios auf eine Phase erhöhter Volatilität. Da die Indikatoren für Liquidität und Volatilität derzeit nicht „rot aufleuchten“, ist es sinnvoll, die Qualität der Diversifizierung zu prüfen.
Eine angemessene Portfoliodiversifizierung und eine akzeptable Portfoliovolatilität werden durch die Kombination von Anlageklassen erreicht, die eine geringe Korrelation aufweisen. Anleger streben eine negative Korrelation an, damit bei einer Abwärtskorrektur einer Anlageklasse andere Anlageklassen ansteigen und den „Mark-to-Market“-Schlag abfedern. Die Korrelationen sind jedoch im Laufe der Zeit nicht statisch. Solche zwischen Anleihen und Aktien waren von 1998 bis 2020 stark negativ. Diese 20 Jahre waren durch eine insgesamt akkommodierende Geldpolitik und einen stabilen disinflationären wirtschaftlichen Hintergrund gekennzeichnet. Die Disinflation war eine Folge des unerbittlichen Globalisierungseifers. Ein unberechenbarer US-Präsident und die Tragik der Pandemie haben die Globalisierung in dieser Form gestoppt. Die Unterbrechung der Versorgungskette könnte etwa 75 % des kostengetriebenen Inflationsanstiegs der letzten sechs Monate erklären. 25 % sind auf die aufgestaute Nachfrage zurückzuführen (nachfragebedingte Inflation), mit enormen Steigerungen des verfügbaren Einkommens in den USA. In Kontinentaleuropa ist dies weniger der Fall, was den geringeren Inflationsimpuls erklärt. Die Korrelation zwischen Anleihen und Aktien tendiert gegen Null. Mini-Schocks von oft nur wenigen Stunden oder Tagen konfrontieren uns immer häufiger mit positiver Korrelation. Die Mentalität der Schnäppchenjagd ist bei Privatanlegern und institutionellen Investoren fest verankert. Als ob sich beide gegenseitig verstärken.
Nun wissen wir alle, dass Korrelationen in Stressphasen steigen. Meist wurden die Korrelationen zwischen Anleihen und Aktien weniger negativ, und die Fähigkeit zum Kapitalschutz war noch intakt und akzeptabel. Der Ausgangspunkt ist entscheidend. Aktuell ist dieser weniger beruhigend, da er bei Null bzw. im positiven Bereich liegt. In den USA stellen wir das Entstehen positiver Anleihen-Aktien-Korrelationen fest. Mit Blick auf die Inflation muss die US-Geldpolitik entschieden in den Straffungsmodus übergehen. Das ist eindeutig noch nicht der Fall, die FED ist weniger akkommodierend. In Europa fallen die Inflationsschätzungen für 2023 wieder deutlich unter 2,00 % (Schätzungen der Europäischen Kommission von letzter Woche). Selbst wenn der Inflationsanstieg als vorübergehend angesehen wird, bleibt die Botschaft dieselbe und erfordert eine angemessene Vorbereitung.
Der Rückgriff auf traditionelle Vermögensallokationsmodelle könnte angesichts der bevorstehenden Herausforderungen zu einfach sein. In den letzten zehn Jahren habe ich gelernt, mich auf Risikofaktor-Exposures zu konzentrieren. Risikofaktoren sind das zugrundeliegende Risiko-Exposure, das den Return einer Anlageklasse steuert, von Staatsanleihen über Unternehmensanleihen bis hin zu Aktien. Bei Anleihen können wir Zinsrisikofaktoren (Sensitivität gegenüber Zinsänderungen), Credit-Spread-Risikofaktoren (systematische bzw. marktweite sowie unternehmensspezifische Elemente) und Währungsrisikofaktoren herausarbeiten. Die Berechnung korrekter Gewichtungen für jeden dieser Faktoren in einer diversifizierten Anleihenkomponente vermittelt ein besseres Gefühl für die Robustheit des Portfolios. Die Varianz der Returns, die jedem dieser Faktoren über die Holdings in einem Portfolio zugeschrieben werden, werden überwacht und gespeichert. Die Korrelations- bzw. Kovarianzmatrix zwischen den historischen Returns der einzelnen Risikofaktoren wird erstellt. So kann ein Portfolio konstruiert werden, das ein Maximum an unabhängigen Risikofaktoren aufweist. Ihre Kreativität ist die einzige Grenze für die Anzahl der Risikofaktoren, die Sie anstreben können. Bei Anleihen hat sich die Suche nach Exposure im Faktor Inflation als äußerst profitabel erwiesen. Rein inflationsgebundene globale Rentenfonds beendeten die vergangene Woche bei +7,00 % seit Jahresbeginn. Es war in den letzten Jahren nicht einfach, in einem ausgewogenen Portfolio ein Exposure in den Faktor Schwellenländerrenditen zu halten. Im Zuge der aktuellen Portfoliooptimierung wird dem Schwellenländer-Sektor jedoch eine hohe Allokation zugewiesen, da der Carry-Faktor gegenüber dem Kreditrisikofaktor an Attraktivität gewinnt. Emerging Markets-Risikofaktoren nehmen im Vergleich zu anderen Anleihensektoren zu.
An den Aktienmärkten kommen üblicherweise die Faktoren Growth und Value ins Spiel. Value-Faktor-Exposure war zwischen 2009 und 2019 der am meisten unter Druck geratene Anlagestil. Allerdings erlebt das Exposure in Value-Faktoren in letzter Zeit ein Comeback. Die unsicheren Renditeaussichten haben Anleger zu der Einstellung „Heute mehr in Value-Faktoren diversifizieren, als es morgen sehr zu bedauern“ veranlasst. Momentum – sprich: Investitionen in diejenigen Aktien mit den höchsten Ein-Jahres-Returns, die der Theorie folgen, dass hohe Returns zu einer Outperformance in der folgenden Periode führen – war schon immer ein Faktor, der in den späteren Phasen eines Hausse-Zyklus am besten abschneidet. Der Faktor Größe (Large Caps gegenüber Small Caps) verdient mehr Aufmerksamkeit zugunsten von Small Caps. Niedrige Volatilität, Qualität und Dividende gehören ebenfalls zu den traditionellen Risikofaktoren bei Aktien. Mit der Zunahme thematischer Anlagelösungen steigt auch das Interesse an Faktoren, die im Laufe der Zeit eine Prämie einbringen, wie z.B. die Kohlenstoffintensität, „grüne“ versus „braune“ Anlagen sowie allgemeine Klimarisikofaktoren. In der Vergangenheit war es Teil des aktiven Investment Managements, die richtigen Gewichtungen dieser Faktoren zu finden. Heute sehen wir, dass sich passive Anlagelösungen von dem auf Marktkapitalisierung basierenden Rahmen abwenden und sich mehr an faktorbasierten Konstruktionen orientieren.
Die Verbesserung der Diversifizierungsqualität, die Investoren in Hausse- und Baissephasen begleitet, verdient mehr Aufmerksamkeit. Vor allem dann, wenn Anleger schätzen, dass die Zukunft noch mehr Überraschungen bereithalten könnte, als wir uns heute vorstellen könnten. Der Einsatz von Risikofaktoren in einer Reihe globaler Anleihen- und Aktiensektoren erfordert Mut, da traditionelle Sektor-Exposures Platz machen müssen für andere Wertpapiere, die nicht ausschließlich und hauptsächlich in Euro und Dollar notieren.
Peter De Coensel, CEO von DPAM