Anfänglich spielten die Zentralbanken den Inflationsdruck als vorübergehendes Problem herunter. Darin waren sich alle einig. In der Tat glauben wir immer noch, dass die Inflation von ihrem derzeitigen Höchststand aus zurückgehen wird. Das Problem ist, dass die Inflationsdynamik in der Aufschwung Phase nach der Corona-Pandemie sehr komplex geworden ist. Die große wirtschaftliche Volatilität in Verbindung mit noch nie dagewesenen geld- und fiskalpolitischen Impulsen erschwerte eine genaue kurzfristige Vorhersage. Der ursprüngliche Plan der Zentralbanken bestand darin, die Inflation durch die allmähliche Beseitigung von Ungleichgewichten zwischen Angebot und Nachfrage zu normalisieren, anstatt eine aggressive Straffung vorzunehmen und die wirtschaftliche Erholung und den Arbeitsmarkt zu gefährden. Die Folgen des Ukraine-Krieges erschweren die Situation zusätzlich. Der Inflationsdruck ist gestiegen. Das Risiko größerer Zweitrundeneffekte und höherer Inflationserwartungen ist real geworden.
In den USA hat Jerome Powell nach seiner Wiederernennung zum Fed-Vorsitzenden am 22. November 2021 einen Kurswechsel eingeleitet. Angesichts des angespannten Arbeitsmarktes machte die Fed die Steuerung der Inflation zur einzigen wichtigen Priorität. Die EZB und andere Zentralbanken verfolgten eine ähnliche Haltung.
In der Vergangenheit haben die Märkte schnell auf Zinserhöhungen der Fed gesetzt. Doch jedes Mal wurden sie von einer Fed überrascht, die sich letztlich eher zurückhaltend zeigte. Dies war mit Sicherheit in der Amtszeit von Janet Yellen der Fall. Der Markt hat sich darauf eingestellt, dass sich die Fed zurückhaltender verhalten wird als erwartet.
Diesmal ist Powell vor dem Hintergrund der höheren Inflation fast noch aggressiver als der Markt. Der Markt holt auf. Wir befinden uns in einem Umfeld hoher Inflation, in dem die Zentralbanken darum kämpfen, die Inflation unter Kontrolle zu halten. Eine solche Situation haben wir seit 40 Jahren nicht mehr erlebt. Und damals waren die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Zentralbanken noch vollkommen anders. Daher hat der Markt keinen Referenzrahmen für die Preisbildung. Der Anleihemarkt befindet sich im Preisfindungsmodus.
Infolgedessen steigen die Renditen, und viele Renditekurven werden immer flacher:
Grafiklegende: US-Zehnjahresrendite, Quelle: Bloomberg
Wie lange kann der Trend noch anhalten? Ein Sprichwort warnt davor, ein fallendes Messer zu fangen. Aber zugegebenermaßen werden die höheren Renditen zu einer immer attraktiveren Investmentmöglichkeit.
Wir sehen zwei Auslöser, die diesen Trend stoppen oder umkehren könnten:
Der erste ist eine Änderung der Inflationsaussichten. Wie bereits gesagt, antizipieren wir eine Normalisierung der Inflation auf ein niedrigeres Niveau aus rein technischen Gründen. Die höheren Preissteigerungen im März und April letzten Jahres werden bald aus den Vorjahreszahlen verschwinden, was bald zu einem niedrigeren Inflationsdruck führen wird. Es sei denn, es gibt neue "einmalige" Ereignisse, die die Inflation wieder in die Höhe treiben. Denken Sie daran, dass die wahre Gefahr in einer wiederkehrenden Inflation besteht, Jahr für Jahr. Im Moment sehen wir diese Gefahr jedoch nicht. Sobald wir mehr Gewissheit über den Inflationsverlauf haben, werden wir auch den Zentralbankkurs und die Leitzinssätze klarer erkennen können. Dies setzt voraus, dass es keine weiteren einmaligen Inflationsschübe gibt, die Zweitrunden-effekte begrenzt sind und die Inflationserwartungen stabil bleiben.
Ein zweiter Auslöser, der einen Anstieg der Zinssätze verhindern könnte, sind eher technische Faktoren, da Käufer auftauchen, um diese Staatsanleihen auf einem attraktiveren Niveau zu erwerben. Die US-Renditen scheinen jedoch vorerst alle technischen Unterstützungsniveaus durchbrochen zu haben, was bestätigt, dass es dem Anleihemarkt derzeit an einem klaren Preisbildungsrahmen mangelt. Es ist, als würde man ein fallendes Messer fangen.
In der Zwischenzeit ziehen wir Sicherheitshandschuhe an.
Fortsetzung folgt.
Sam Vereecke, CIO Fixed Income, DPAM