Im ersten Halbjahr 2022 erzielten die Aktien- und Anleihemärkte negative Renditen. Die Anleger mussten sich den Rohstoff- und Devisenmärkten zuwenden, um überhaupt Erträge zu erwirtschaften. Im Nachhinein betrachtet, hätte dies nicht überraschen dürfen. Gavekal, einer der führenden unabhängigen Anbieter von Finanzanalysen, entwickelte den „4-Quadranten-Rahmen“, um den aktuellen Zustand der Wirtschaft zu analysieren. Ausgehend von der Inflationsentwicklung und der Wirtschaftsaktivität als treibende Kräfte ermittelte der Anbieter vier Zustände: Inflation-Boom, Inflation-Bust, Desinflation-Boom und Desinflation-Bust. In einem inflationären Umfeld tendieren Rohstoffe dazu, in einer Boomphase überdurchschnittlich abzuschneiden, während sichere Währungen in einer Bust-Phase überdurchschnittlich abschneiden.
In einem desinflationären Umfeld sollten Anleger in einer Boomphase Aktien mit langer Duration und in einer Bust-Phase Staatsanleihen halten. In einem inflationären Umfeld, in dem wir uns heute zweifelsohne befinden, tendiert ein kapitalistisches System von Natur aus dazu, die Wirtschaft auf ein desinflationäres Umfeld auszurichten, da die Unternehmen ständig bestrebt sind, ihr Produktionsniveau pro Arbeits- oder Kapitaleinheit zu erhöhen. Daher sind die Zentralbanken bestrebt, uns in diesen natürlichen Zustand der Desinflation zu führen. Jedoch sollte inzwischen klar sein, dass dieser Übergang nicht über Nacht erfolgen wird.
Lassen Sie uns einen Schritt zurückgehen und einige unserer Investitionsentscheidungen näher betrachten. Im Jahr 2018 fingen wir an, schrittweise Gold in unsere Portfolios aufzunehmen. Gold war günstig und in einem Umfeld mit niedrigen Staatsrenditen sehr attraktiv. Seitdem hat es tatsächlich deutlich besser abgeschnitten als EUR-Staatsanleihen. In diesem Jahr allerdings hat Gold aufgrund des starken Dollars und des Anstiegs der Realzinsen mit einigem Gegendruck zu kämpfen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres erzielte auf Euro lautendes Gold eine Rendite von 7 Prozent, die jedoch allein auf die Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar zurückzuführen ist. Dennoch halten wir an unserer positiven Einschätzung von Gold fest, da es im Falle einer Rezession eine gewisse Entlastung bieten kann. Seit Oktober 2020 nehmen wir nach Möglichkeit auch Nicht-Agrar-Rohstoffe in unsere Portfolios auf. Zwar haben die Preise sich mehr als verdoppelt, doch ist es nach unserer Auffassung noch zu früh, diese Positionen vollständig aufzulösen, da wir nicht davon ausgehen, dass die Kurse sofort wieder sinken werden. Dennoch haben wir durch den Abbau unserer Positionen im Februar dieses Jahres einige Gewinne mitgenommen. Futures auf Kohlenstoffemissionen sind ein drittes rohstoffähnliches Produkt, das unser Interesse geweckt hat. Das von der EU eingeführte System hat sich im Laufe der Jahre stark verändert. Aus unserer Sicht haben wir es derzeit mit einer interessanten Konstellation zu tun, die ein besseres Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage schafft. Seit letztem Jahr handeln wir für eine gewisse Anzahl von Kunden aktiv mit diesem Produkt. Heute werden diese Futures zu höheren Preisen gehandelt, aber wir werden unsere Positionen möglicherweise wieder aufstocken, wenn die Kurse auf 60 Euro - 70 Euro fallen. Dieses Preisniveau dient als impliziter Schwellenwert auf dem Markt, weil sich verschiedene Akteure für eine Preisuntergrenze von etwa 50 Euro (laut Frans Timmermans) bzw. 60 Euro (laut der neuen deutschen Koalition) ausgesprochen haben, was das Verlustpotenzial der Investition erheblich einschränken würde.
Auch im Segment der festverzinslichen Anlagen gab es einige interessante Transaktionen. Seit 2020 haben wir aus zwei wesentlichen Gründen einige Positionen in chinesischen Staatsanleihen aufgebaut. Erstens gab es eine große Renditeabweichung zwischen chinesischen Staatsanleihen und Euro-Staatsanleihen. Zweitens legt China großen Wert auf eine stabile und starke Währung. Dies lässt sich daran ablesen, dass China eines der wenigen Länder war, die die COVID-Krise nicht monetarisiert haben, d. h. ihre fiskalen bzw. geldpolitischen Aufwendungen erhöht haben, um die Krise unter Kontrolle zu bringen. In diesem Jahr haben wir unsere Position verkleinert, da die Renditedifferenz weniger ausgeprägt ist und die Währung unter Druck geraten könnte, weil China seine Wirtschaft ankurbeln muss, um die Rezession zu überwinden.
Auch inflationsgebundene Staatsanleihen haben wir in den vergangenen zwei Jahren in unsere Portfolios aufgenommen. Im Verlauf der Rezession im Jahr 2020 blieb die Inflation sehr niedrig, so dass inflationsgebundene Anleihen zu sehr niedrigen Kursen gehandelt wurden. Da die Inflation im vergangenen Jahr sprunghaft angestiegen ist, haben sich inflationsindexierte Anleihen (Linker) deutlich besser entwickelt als Nominalpapiere. Ein Großteil der Inflation ist heute im Markt eingepreist, aber wir halten aus Gründen der Diversifizierung immer noch eine kleine Position.
Mit Blick auf die Zukunft können wir die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Rezession nicht ausschließen. Die Intensität einer möglichen Rezession dürfte allerdings durch mehrere Faktoren abgemildert werden. Erstens ist der Arbeitsmarkt immer noch robust, wie die zugrunde liegenden Daten zeigen (z. B. die Anzahl der Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft, die fast wieder das Niveau von vor dem COVID erreicht hat). Zweitens erleben wir eine lockere Fiskalpolitik, die durch staatliche Investitionen in Projekte wie die Energiewende unterstützt wird. Drittens könnte China eine Rezession überwinden, indem es seine Abschottung aufweicht und seine Wirtschaft auf das offizielle Ziel von 5,5 Prozent Wirtschaftswachstum ausrichtet. Viertens hat der Verbraucher ein Sparguthaben gebildet, das er nun ohne weiteres ausgeben kann. Natürlich gibt es auch Kräfte, die in die entgegengesetzte Richtung wirken. Die Zentralbanken sind fest entschlossen, die Inflation unter Kontrolle zu bringen. Wir haben bereits beobachtet, dass einige Preise sinken (z. B. DRAM-Speicher, Düngemittel, Holz, Schiffspreise). Jedoch ist es unmöglich zu sagen, ob wir den Höhepunkt der Inflation bereits erreicht haben. Die Zentralbanken haben erklärt, dass sie eine Verschärfung der finanziellen Bedingungen anstreben, was bedeutet, dass die Zinssätze und Renditen steigen, die Aktienkurse sinken müssen und der US-Dollar steigen muss. Sicher, es handelt sich dabei um eine schmerzhafte Pille, die es zu schlucken gilt. Jedoch ist es für die Märkte am besten, wenn dies schnell geschieht. Danach können wir zu den kürzlich akzeptierten Marktniveaus zurückkehren.
Trotz des schwierigen makroökonomischen Umfelds verzeichneten die Gewinnrevisionen in den letzten Monaten eine gewisse Widerstandskraft. In Zeiten steigender Zinssätze, hoher Rohstoffpreise und eines starken US-Dollars schwächen sich die Gewinnrevisionen jedoch tendenziell ab. Da wir derzeit mit allen drei Gegebenheiten gleichzeitig konfrontiert sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Gewinnerwartungen in den nächsten Monaten nachlassen werden.
Klar ist, dass sich die Anleger in einem sehr schwierigen Marktumfeld bewegen, in dem aber Geduld belohnt wird. Wenn es den Zentralbanken gelingt, den bereits erwähnten natürlichen Desinflationszustand zu erreichen, werden wir erneut mehr Anlagemöglichkeiten vorfinden. Im Gegensatz zu früher haben wir in unseren Portfolios eine beträchtliche Liquiditätsposition aufgebaut. Wenn jedoch der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werden wir dafür sorgen, dass diese Liquidität eingesetzt wird.
Yves Ceelen, CIO Global Balanced und Head of Portfolio Management DPAM