DPAM-EM Analyst: Welche Schwellenländer sind am stärksten gefährdet?

DPAM | 31.08.2022 10:22 Uhr
Caleb Coppersmith, EM Analyst bei DPAM / © e-fundresearch.com / DPAM
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Da es Anzeichen dafür gibt, dass die US-Notenbank Fed bezüglich ihrer Zinserhöhungen den Fokus weg von der Inflation hin zu Wachstumssorgen verlagert, gab es für Schwellenländeranlagen in den vergangenen Wochen eine kleine Verschnaufpause. Die Unsicherheit hat zwar zugenommen, in unserem Basisszenario gehen wir jedoch davon aus, dass die Industrieländer zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der nächsten drei Quartale von einem stagflationären Abschwung heimgesucht werden dürften. Als Gründe hierfür sehen wir neben den Auswirkungen der starken Straffung der US-Geldpolitik auch die Energieunsicherheit in Europa und den anhaltenden Inflationsdruck auf der Angebotsseite. Schwäche in den Industrieländern würde aber unterschiedliche Auswirkungen auf die verschiedenen Schwellenländer haben. Wir gehen davon aus, dass Osteuropa und Ostasien die Hauptlast des Schocks tragen werden, bleiben im Hinblick auf Lateinamerika jedoch optimistisch.

Wir sehen keine Pulverfässer (wie die toxischen MBS-Titel in den Jahren 2007/2008), welche die Volkswirtschaften der Industrieländer gänzlich aus der Bahn werfen könnten. Folglich dürfte jeglicher Abschwung, der zu weiten Teilen durch die Geldpolitik herbeigeführt wird, eher wie ein Schwelbrand als wie eine Explosion wirken. Was die Lage schwieriger macht, sind die Rohstoffpreise – insbesondere für Energie und Lebensmittel. Wir gehen davon aus, dass sie aufgrund der angebotsseitigen Versorgungsschwierigkeiten erhöht bleiben und damit den Inflationsdruck verstärken werden, auch wenn die Gesamtnachfrage zurückgeht. Die Schwäche in China (die allerdings möglicherweise durch infrastrukturorientierte Konjunkturmaßnahmen ausgeglichen werden könnte) und die Unberechenbarkeit Russlands stellen schwer einschätzbare Risiken für den Rohstoffausblick dar. Insgesamt sehen wir jedoch eine positive Tendenz.
Fazit: Bei der Geld- und möglicherweise auch bei der Fiskalpolitik werden die Spielräume für Anreize begrenzt sein, sodass den Industrieländern möglicherweise eine längere Phase der Schwäche bevorstehen könnte, die mit vermehrter Risikoscheu unter den Anlegern einhergehen dürfte.

Zuerst die gute Nachricht: Lateinamerika scheint im Großen und Ganzen gut aufgestellt zu sein, um den Sturm zu überstehen, da die meisten großen Volkswirtschaften diversifizierte Exportländer sind, die Rohstoffe nach Asien, Nordamerika und Europa liefern. Die große Ausnahme bildet Mexiko, wo das verarbeitende Gewerbe eng in die US-amerikanischen Lieferketten eingebunden ist. Jegliche Herausforderung, mit der sich das Land konfrontiert sieht, könnte allerdings ebenso auf eine schlechte Politik wie auf Handelsrisiken zurückzuführen sein. Die Region hat bei der Anhebung der Zinssätze auf globaler Ebene eine Vorreiterrolle eingenommen: Brasilien hat den ersten Zinsschritt bereits im März 2021 vollzogen, und damit ein ganzes Jahr früher als die US-Notenbank. Dementsprechend haben die meisten Länder inzwischen einen deutlichen Vorsprung gegenüber den USA. In Kombination mit günstigen Handelsbedingungen und allgemein flexiblen Wechselkurssystemen wird dies dazu beitragen, die externen Risiken einzudämmen. Der mittelfristige Außenfinanzierungsbedarf (Leistungsbilanzdefizite + Auslandsabschreibungen) ist in den meisten größeren Ländern der Region gering. Auf Basis der historischen Trends ist davon auszugehen, dass ein Großteil davon durch ausländische Direktinvestitionen gedeckt werden dürfte. Dieser rosige Ausblick könnte durch eine Vielzahl politischer Ereignisse innerhalb der Region (Wahlen in Brasilien, Referendum in Chile, neue Regierung in Kolumbien, instabile Regierungen in Ecuador/Peru) eingetrübt werden. Extreme Entwicklungen sind allerdings unwahrscheinlich.

Osteuropa hingegen erscheint anfällig. Die Volkswirtschaften selbst der Nicht-EU-Mitglieder sind in hohem Maße mit den Lieferketten des Kontinents verflochten. Ausfuhren in andere europäische Länder machen im Durchschnitt fast 90 Prozent der Gesamtexporte der Region aus. Zudem ist Deutschland – dessen Industriesektor die größte Schwachstelle Europas gegenüber der aggressiven Instrumentalisierung russischer Energielieferungen darstellt – das größte Exportziel für sämtliche Länder der Region außer Albanien, Kroatien und Montenegro. Auch die geldpolitische Positionierung erscheint alles andere als rosig: Während einige Länder, vor allem Ungarn, bei der Anhebung ihrer Zinssätze recht proaktiv (bzw. wenn nicht proaktiv, dann aggressiv) vorgegangen sind, sind weite Teile der Region zurückgefallen, sodass sie im Falle einer Krise nur begrenzte Möglichkeiten haben werden. Selbst in Ländern, die über einen gewissen geldpolitischen Spielraum verfügen, dürfte der Druck auf die Zahlungsbilanz aufgrund der schwächeren Exportnachfrage, der teureren Energieimporte und der geringeren Zuflüsse ausländischer Direktinvestitionen eine wesentliche Einschränkung darstellen – insbesondere angesichts der relativ hohen Abhängigkeit der Region von Hartwährungen. Und schließlich birgt die Nähe zum Russland-Ukraine-Konflikt ein zusätzliches Risiko. Auch wenn es sich definitiv um ein Extremrisiko handelt, kann kein Szenario mehr vollständig ausgeschlossen werden.

Auf Ostasien, wo einige der exportabhängigsten Länder der Welt angesiedelt sind, dürften ebenfalls schwierige Zeiten zukommen. Auch wenn die Ausfuhren nach Europa und Nordamerika im Durchschnitt nur etwa 30 Prozent des Gesamtvolumens der Region ausmachen, wird die Komplexität der regionalen Lieferketten unterschätzt, da die Waren in mehreren Ländern eine Wertsteigerung durchlaufen, bevor sie schließlich an die Verbraucher in den Industrieländern verschifft werden. Ein dauerhafter Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise würde zudem die Fundamentaldaten schwächen. Die geldpolitische Positionierung liegt generell weit hinter der der Fed zurück: Die meisten Zentralbanken haben (wenn überhaupt) erst im April begonnen, Zinserhöhungszyklen in die Wege zu leiten. Es wäre aber falsch, dies als Fehler zu bezeichnen: Die asiatischen Volkswirtschaften haben die COVID-Beschränkungen sehr viel langsamer hinter sich gelassen als andere Regionen der Welt und die Inflationsdynamik ist dort im Allgemeinen harmloser. Da die meisten von ihnen inzwischen jedoch deutlich negative Realzinsen aufweisen und die Indikatoren auf einen Abschwung in der gesamten Region hindeuten, erscheint die aktuelle Positionierung heikel. Die Entwicklungen in China werden eine entscheidende Rolle spielen. Das Land hat erst kürzlich seine COVID-Lockdowns aufgehoben, was sich sehr positiv auf die Nachfrage in der Region ausgewirkt hat. Aber dies erinnert auch daran, dass die Pandemierisiken nach wie vor erheblich sind.

Aber nicht alles erscheint düster. In Osteuropa sind die fiskalpolitischen Kennzahlen solide: Die Schuldenlast der meisten Länder ist überschaubar und die Finanzierungsbedingungen für einen Großteil der bestehenden Schulden sind günstig, was nicht zuletzt der Partnerschaft mit der EU sowie den von dieser angebotenen Finanzierungsmöglichkeiten zu verdanken ist. Großzügige Zuwendungen der EU im Rahmen von Programmen wie der aufgrund der Pandemie eingeführten Aufbau- und Resilienzfazilität werden dazu beitragen, Zahlungsbilanzlücken zu schließen, wobei ähnliche Programme auch für Nichtmitglieder zur Verfügung stehen. Ostasien hingegen finanziert sich fast vollständig über seine hochentwickelten lokalen Märkte. Enorme externe Puffer, die über jahrelange Leistungsbilanzüberschüsse aufgebaut wurden, begrenzen die Abwärtsrisiken zusätzlich.

Diese Schlussfolgerungen sind natürlich mit einem erhöhten Maß an Ungewissheit behaftet. Ein starker Rückgang der Rohstoffpreise würde eine völlig andere Gruppe von Gewinnern und Verlierern hervorbringen, wobei die makroökonomische Position mehrerer großer Erzeugerländer alles andere als ideal wäre. Die vielleicht interessanteste Entwicklung und ein Beleg für die zunehmende Robustheit der Anlageklasse ist die Tatsache, dass selbst nach einer Reihe gewaltiger Schocks für die Weltwirtschaft seit 2020 keinerlei Anzeichen für eine drohende regionale Staatsschuldenkrise zu erkennen sind: Die schwerwiegendsten Anzeichen für eine Notlage sind nach wie vor nur in vereinzelten Volkswirtschaften zu finden, deren Kreditrisiken seit langem bekannt sind.

Caleb Coppersmith, EM Analyst bei DPAM

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