In der vergangenen Woche haben wir gleich zweifach Einblick in die aktuelle Haltung der US-amerikanischen Notenbank (Fed) erhalten: Durch die mit Spannung erwartete Rede des Fed-Vorsitzenden Jay Powell und die Veröffentlichung des Protokolls zur letzten Sitzung des Offenmarktausschusses der Fed (FOMC). Einige der Botschaften waren unmissverständlich formuliert, während Beobachter an anderer Stelle zwischen den Zeilen lesen mussten. Hier sind meine fünf wichtigsten Erkenntnisse aus der vergangenen Woche und die fünf Entwicklungen, die ich in der kommenden Woche besonders im Blick haben werde:
- Der FOMC signalisiert, dass eine Zinserhöhung im September beschlossene Sache sein könnte. Im Protokoll zur jüngsten FOMC-Sitzung heißt es: „Viele Teilnehmer deuteten an, dass es, wenn die neuen Daten ihren derzeitigen Wirtschaftsausblick weiterhin bestätigen sollten, schon bald angebracht sein werde, einen weiteren Schritt in der Straffung der Geldpolitik zu unternehmen.“ Anders ausgedrückt ist eine Zinserhöhung im September sehr wahrscheinlich — wenn nichts Unvorhergesehenes geschieht. Gleichzeitig hat das FOMC-Protokoll aber auch die anhaltenden Sorgen der Fed über die möglichen wirtschaftlichen Folgen von Handelskriegen zum Ausdruck gebracht: „Breit angelegte Zölle würden auch die Kaufkraft der US-amerikanischen Haushalte vermindern.” Tatsächlich ist das Unbehagen so groß, dass sich einige FOMC-Teilnehmer bereits Sorgen machen, wie die Fed reagieren würde: So heißt es im Protokoll, dass eine angemessene geldpolitische Reaktion die Notenbank angesichts der Komplexität der Handelsproblematik und ihrer möglichen Auswirkungen auf Wirtschaftsleistung und Inflation bei einer weiteren Eskalation der Handelskonflikte vor Herausforderungen stellen könne.
- Powell spricht das Risiko einer zu schnellen oder zu langsamen Straffung der Geldpolitik an. In seiner Rede beim jährlichen Notenbank-Treffen in Jackson Hole versicherte der Fed-Vorsitzende seinen Zuhörern, dass die US-Notenbank weiter zwischen den zwei zentralen Risiken für die Wirtschaft navigieren werde: 1) dem Risiko, die Zinsen zu rasch zu erhöhen und damit die wirtschaftliche Expansion abzuwürgen, und 2) dem Risiko, sich zu langsam zu bewegen und damit eine destabilisierende Überhitzung der US-Wirtschaft zu riskieren. Zwar sei die Wirtschaft weiter erstarkt, es gebe aber keine Anzeichen eines erhöhten Überhitzungsrisikos, sagte Powell und stellte weitere schrittweise Zinserhöhungen in Aussicht.
Darüber hinaus betonte Powell die Vorteile eines „Risikomanagement-Ansatzes“ für das neuartige Wirtschaftswachstum, mit dem wir es heute zu tun hätten. Diesen Ansatz hatte Alan Greenspan als Fed-Chef Mitte der 1990er Jahre erstmals verfolgt. „Im Vorfeld der letzten beiden Rezessionen traten die destabilisierenden Exzesse hauptsächlich auf den Finanzmärkten und nicht in der Inflation auf“, erklärte Powell. „Daher spricht unter Risikomanagement-Gesichtspunkten alles dafür, nicht nur bei der Inflationsentwicklung nach Exzessen Ausschau zu halten.“ Konkret lobte er vor allem Greenspans Entscheidung, Ende der 1990er Jahre mit Zinserhöhungen zu warten, weil sich die Inflation nicht beschleunigte. So habe Greenspan als einer der ersten erkannt, dass es ein neues Paradigma geben könne, in dem die Wirtschaft wächst, ohne dass sich die Inflation nennenswert erhöht. - In Europa zeigt sich die Zentralbank weiter vorsichtig. Das Protokoll der jüngsten Sitzung der EZB signalisiert, dass die europäischen Währungshüter an der langsamen und vorsichtigen Normalisierung der Geldpolitik festhalten könnten. So heißt es, dass die EZB die Zinsen frühestens im nächsten Sommer anheben werde. Darüber hinaus zeigt das Protokoll, dass die – Ende dieses Jahres erwartete – vollständige Beendigung der Anleihenkäufe von der Entwicklung der Wirtschaftsdaten in den nächsten Monaten abhängt.
- US-chinesische Handelsgespräche laufen ins Leere. Trotz großer Hoffnungen sind die US-chinesischen Handelsgespräche in der vergangenen Woche ohne nennenswerte Ergebnisse zu Ende gegangen. Als die Aktienmärkte vor einigen Wochen mit starken Kursgewinnen auf die Nachricht über die geplanten Handelsgespräche reagierten, hatte ich den Eindruck, dass sich die Investoren an einen Strohhalm klammerten. Wie verfehlt ihr Optimismus war, hat sich jetzt gezeigt. Das Treffen nachrangiger Regierungsvertreter ist nicht nur weitgehend ergebnislos verlaufen, sondern endete ironischerweise zeitgleich mit dem Inkrafttreten neuer US-amerikanischer Zölle auf chinesische Importgüter.
Außerdem sollte nicht übersehen werden, dass die chinesische Regierung in der vergangenen Woche den Startschuss für ein groß angelegtes Infrastrukturprogramm gegeben hat. Mit neuen Stimulusmaßnahmen scheint sich China für die Errichtung weiterer Handelsbarrieren zu rüsten. Investoren sollten zwischen den Zeilen lesen: Ich rechne damit, dass sich die Handelskonflikte weiter zuspitzen werden, bevor es zu einer Entspannung kommt. - Aktien markieren neuen Rekord, aber Anleihen sprechen für Vorsicht. Wie ich erwartet hatte, sind die Aktienkurse in den USA in der vergangenen Woche weiter gestiegen und haben am Mittwoch mit dem längsten Bullenmarkt seit mehreren Jahrzehnten einen neuen Rekord markiert. Am Freitag erklommen dann sowohl der S&P 500 Index als auch der NASDAQ Composite Index neue Allzeithochs.
Parallel dazu sank aber die Rendite der 10-jährigen US-amerikanischen Staatsanleihe (Treasury) bis auf 2,81%. (Bloomberg, L.P., Stand: 24. Aug. 2018) Dadurch verengte sich der Renditeabstand zwischen 2- und 10-jährigen Treasuries bis Freitag auf 19 Basispunkte (Bloomberg, L.P., Stand: 24. Aug. 2018), den tiefsten Stand seit mehr als zehn Jahren. Damit kommen wir einer inversen Zinsstrukturkurve inzwischen gefährlich nahe. Bei aller Euphorie über die Aktienmarktrally dürfen wir die Warnsignale vom Anleihenmarkt nicht übersehen, zumal Anleihen in der Vergangenheit gewöhnlich ein weitaus besserer Indikator rationaler Ängste waren als Aktien.
Kristina Hooper, Chief Global Market Strategist, Invesco Ltd