Obwohl geopolitische Ereignisse wie das nicht enden wollende Brexit-Drama und Handelsspannungen die Märkte kurzfristig weiter belasten könnten, glaubt Greenwood, dass diese „letztlich nichts weiter als Störfeuer im längsten je verzeichneten Aufschwung der amerikanischen Wirtschaft“ sein werden.
Er hält es für sehr wahrscheinlich, dass es der US-amerikanischen Notenbank (Fed) gelingt, den Weg für einen noch mehrere Jahre nach Erreichen des „neutralen“ Zinsniveaus im Jahr 2019 oder 2020 andauernden Aufschwung in den USA zu ebnen. Als „neutral“ wird das Zinsniveau bezeichnet, bei dem die Wirtschaft weder heiß läuft noch schrumpft, sondern beständig wächst. Wie der Chefökonom von Invesco betont, ist die Geldpolitik der Fed nicht „restriktiv“, sondern wird lediglich „normalisiert“, ähnlich wie bei den mittzyklischen Zinskorrekturen der Jahre 1994-95 und 2004-05. „Beide Male dauerte der Konjunkturaufschwung im Anschluss an die Normalisierung der Zinsen noch mehrere Jahre an und auch die Aktien- und Immobilienmärkte erreichten nach Beendigung der Zinserhöhungen nennenswerte neue Höchststände“, so Greenwood. Wenn die US-Wirtschaft bis zum nächsten Juli weiter wächst, wäre der aktuelle Aufschwung länger als die zehnjährige Expansionsphase von März 1991 bis März 2001.
Während die Finanzkommentatoren fast nur über Höhe und Entwicklung der Zinsen sprechen, ist es Greenwood zufolge für die Notenbanken genauso wichtig sicherzustellen, dass die Geldmenge und die Kredite weder zu schnell noch zu langsam wachsen, um ein stabiles Ausgabenwachstum (oder nominales BIP) zu ermöglichen. Angesichts des aktuell moderaten Geld- und Kreditwachstums rechnet er im kommenden Jahr mit einer weitgehend schwächeren Inflation und sehr flachen Zinsstrukturkurve – und einem entsprechend begrenzten Abwärtsrisiko für die Aktien- und Anleihemärkte. Solange der Konsum und die Investitionen im Inland nicht einbrechen, rechnet er auch mit lediglich begrenzten Belastungen durch Präsident Trumps Handelspolitik. Greenwood zufolge wird der aktuelle Handelsstreit die USA vermutlich nur wenige Zehntel eines Prozentpunktes an BIP-Wachstum kosten und China nur wenig mehr. Der Chefökonom von Invesco prognostiziert ein reales BIP-Wachstum von 2,7% für die USA im Jahr 2019.
In der Eurozone hat die Europäische Zentralbank (EZB) signalisiert, dass sie die Zinsen bis zum Sommer 2019 stabil halten wird. Wie Greenwood feststellt, hat die EZB ihre Anleihenkäufe aber beendet, bevor sich die Lage der europäischen Banken stabilisiert hat. Gleichzeitig ist die Fiskalpolitik in der Eurozone unverändert restriktiv. Damit riskiert die EZB in seinen Augen eine erneute Abschwächung der nominalen Wirtschaftsleistung und einen Rückgang der Inflation unter ihren Zielwert. Während das Wachstum in der Eurozone an Schwung verloren hat, müssen viele Banken in der Region ihre Kapitalausstattung verbessern, haben aber immer noch viele Problemkredite in ihren Büchern. Dementsprechend schwach ist auch das Kreditwachstum ausgefallen. Vor diesem Hintergrund rechnet Greenwood in der Eurozone für 2019 mit einem realen BIP-Wachstum von lediglich 1,5%.
In Großbritannien hat die Wirtschaft an Fahrt verloren. Hauptsächlich bedingt durch die geringeren Unternehmensinvestitionen ist das britische BIP in den sechs Quartalen seit Anfang 2017 nur noch mit durchschnittlich 1,5% gewachsen, nach 2,1% in den Jahren 2015-16. Die Brexit-bedingte Verunsicherung spiegelt sich vor allem im britischen Pfund wider. Bis die Unternehmen mehr über die Rahmenbedingungen wissen, mit denen sie ab März 2019 arbeiten müssen, werden sie zurückhaltend bleiben, was Ausgaben und Neueinstellungen angeht. Gleichzeitig hat sich das Geld- und Kreditwachstum abgeschwächt. Fast unabhängig davon, wie das Brexit-Drama weitergeht, meint Greenwood, dass das aktuell sehr schwache Geld- und Kreditwachstum den Inflationsdruck begrenzt halten wird, falls das Pfund nochmals deutlich abwerten sollte. Für das Gesamtjahr 2019 prognostiziert er in Großbritannien ein BIP-Wachstum von 1,4%.
In Japan ist auch nach fünf Jahren aggressiver quantitativer und qualitativer Lockerungsmaßnahmen (Stichwort „QQE“) durch die Bank of Japan von einer Rückkehr auf einen normalen Wachstumspfad und vor allem zu einer normalen Inflationsrate noch wenig zu sehen. Im Trend wächst die japanische Wirtschaft weiter mit bescheidenen 1 bis 1,5%. Hauptgrund dafür ist die alternde Bevölkerung, durch die sich die Erwerbstätigenbasis verkleinert. Japans Problem besteht darin, dass die QQE-Politik zwar zu einer schnellen Ausweitung der Notenbankbilanz geführt hat, aber kaum Spuren in den Bankbilanzen hinterlassen hat. Dementsprechend sind positive Impulse über ein höheres Geld- oder Kreditwachstum ausgeblieben. Obwohl sich das Geldmengenwachstum zuletzt beschleunigt hat, rechnet Greenwood für 2019 mit keiner nennenswerten Veränderung der wirtschaftlichen Rahmendaten in Japan und prognostiziert ein reales BIP-Wachstum und eine Verbraucherpreisinflation von jeweils knapp 1%.
Unterdessen steht Chinas Regierung vor einem akuten wirtschaftspolitischen Dilemma. Einerseits muss die Politik dringend etwas gegen den gewaltigen Schuldenberg tun, den China durch mehrere Phasen der massiven Kreditausweitung in den vergangenen zehn Jahren aufgehäuft hat. Gleichzeitig versucht die People‘s Bank of China, wie es andere Notenbanken auch tun, den Wachstumsmotor durch eine periodische Lockerung der Geldpolitik am Laufen zu halten. Das reale BIP-Wachstum hat nachgelassen und dürfte 2019 noch weiter zurückgehen, wenn die Regierung nicht von ihrem Entschuldungsprogramm abweicht. Mit einem für 2019 erwarteten realen BIP-Wachstum von 6,3% nach einer Gesamtjahresrate von schätzungsweise 6,6% im Jahr 2018 wird die chinesische Wirtschaft aber weiter deutlich schneller wachsen als andere Volkswirtschaften.
Insgesamt und anders als viele andere Marktbeobachter sieht der Chefökonom von Invesco kein Risiko eines erneuten Aufflammens der Inflation, das die Zentralbanken zu einer stärkeren Straffung ihrer Geldpolitik zwingen und damit den Aufschwung abwürgen könnte, obwohl die Weltwirtschaft weiter wächst und die Arbeitslosigkeit in den USA, Japan, Großbritannien und Deutschland Rekordtiefstände erreicht hat. Greenwood zufolge orientieren sich die Mainstream-Analysen zu stark an der Output-Gap- oder Phillips-Kurven-Theorie der Inflation. Diese aber reflektierten nicht die Tatsache, dass die Inflation letztlich ein monetäres Phänomen ist. „Damit erfassen sie auch nicht die Folgen des seit der Krise von 2008-09 insgesamt niedrigen und stabilen Geld- und Kreditwachstums“, so Greenwood. „Letztlich ist das der Grund dafür, dass die Löhne und die Inflation in so vielen Volkswirtschaften immer noch so niedrig sind.“