Der Welthandel ist genauso wenig kontrollierbar, wie ein Weißer Hai dressierbar ist

Wöchentlicher Marktkompass: Die Drehgeschichte eines Gruselfilm-Klassikers zeigt, dass sich die Realität nicht verleugnen lässt. Invesco | 16.08.2019 14:34 Uhr
Kristina Hooper, Chief Global Market Strategist, Invesco / © Invesco
Kristina Hooper, Chief Global Market Strategist, Invesco / © Invesco
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Einer meiner absoluten Lieblingsfilme ist „Der Weiße Hai“, ein amerikanischer Sommer-Kultfilm über einen riesigen Weißen Hai, der einen Badeort an der amerikanischen Ostküste terrorisiert. Vielleicht, weil ich den Soundtrack liebe oder weil mein Nachname so oft genannt wird (ein bezeichnender Satz ist „Hooper fährt das Boot, Chief“) – in jedem Fall sehe ich mir den Film in jedem Sommer mehrmals an. „Der Weiße Hai“ hat mich sogar so sehr fasziniert, dass ich mir Dokumentationen über die Dreharbeiten angesehen und Artikel über die Entstehung des Films gelesen habe. Völlige Zeitverschwendung, meint mein Mann, aber ich habe tatsächlich eine ganze Menge interessanter Dinge erfahren.

Was mich am meisten überrascht und fasziniert hat, ist die Tatsache, dass die Filmproduzenten — die schon viele erfolgreiche Filme in die Kinos gebracht hatten — zunächst einen echten Weißen Hai einsetzen wollten, um den Film authentischer zu machen. (mentalfloss.com, „How Malfunctioning Sharks Transformed the Movie Business“, 20. Juni 2015) Aber Weiße Haie lassen sich nicht dressieren — an dieser einfachen Tatsache führte bei allem Selbstvertrauen und Geschäftssinn der Star-Produzenten kein Weg vorbei. Anstatt ein Casting für Weiße Haie abzuhalten, ließ der Regisseur daher Hai-Attrappen bauen. Damit stand dem Dreh des Gruselfilm-Klassikers nichts mehr im Weg. 

Die Gefahren der Selbstüberschätzung

Diese Geschichte brachte mich zum Nachdenken über einen Wesenszug, den ich bei Anlegern im Verlauf meiner Karriere immer wieder beobachtet habe — und den ich auch bei den aktuellen Handelskonflikten am Werk sehe: die Selbstüberschätzung und, damit verbunden, die Phänomene der „Kontrollillusion“ und des „Erwünschtheitseffektes“.

  • Laut Definition des Corporate Finance Institute liegt eine Kontrollillusion vor, wenn „Menschen glauben, gewisse Vorgänge kontrollieren zu können, über die sie nachweislich keine Kontrolle haben. Im Schnitt überschätzen die Menschen ihre Fähigkeit, Dinge zu kontrollieren. Das kann gefährlich sein, wenn unternehmerische Entscheidungen oder Anlageentscheidungen getroffen werden müssen, da dadurch Situationen häufig als weniger riskant eingeschätzt werden, als sie es wirklich sind. Wenn Risiken nicht richtig eingeschätzt werden, können sie auch nicht richtig gesteuert werden.” (Corporate Finance Institute, „What is Overconfidence Bias?“)
  • Den „Erwünschtheitseffekt“ definiert das Corporate Finance Institute als Phänomen, bei dem „Menschen die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses einfach nur deshalb zu hoch einschätzen, weil das Ereignis selbst wünschenswert ist. Ein anderer Ausdruck für diese Form des Overconfidence Bias ist der Begriff „Wunschdenken“. Wir lassen uns von der Fehlwahrnehmung leiten, dass ein für uns wünschenswertes Ereignis wahrscheinlicher ist.“ (Corporate Finance Institute, „What is Overconfidence Bias?“)

Selbstüberschätzung in der US-amerikanischen Handelspolitik

Meiner Ansicht nach kennzeichnen genau diesen beiden Ausprägungen des „Overconfidence Bias“ die aktuelle Handelspolitik der USA.

Zunächst der Erwünschtheitseffekt: Bei meinen Reisen habe ich festgestellt, dass sich die große Mehrheit der Amerikaner, mit denen ich gesprochen habe, günstigere Handelskonditionen wünscht. Das erklärt auch, warum sich die Trump-Administration in internationale Handelskonflikte – vor allem mit China – gestürzt hat, um bessere Konditionen für die eigenen Exporteure durchzuboxen. Nur weil etwas wünschenswert ist, ist es aber noch nicht wahrscheinlich.

Ich bin immer noch überzeugt, dass es keine guten Gründe für China gibt, bedeutende Zugeständnisse im Handelsstreit mit den USA zu machen. Trotzdem dauert der Konflikt an – einfach nur, weil das Ergebnis so wünschenswert ist. Unterdessen schlagen sich die negativen Folgen dieses Konfliktes in der US-Wirtschaft nieder. Beispielsweise stehen die amerikanischen Farmer stark unter Druck, seitdem China keine amerikanischen Agrarprodukte mehr kauft. Für noch abträglicher halte ich aber die konfliktbedingte wirtschaftspolitische Unsicherheit, die bereits auf das Geschäftsklima und die Unternehmensinvestitionen durchschlägt.

Aufgrund des Status der US-Wirtschaft als größter Volkswirtschaft der Welt hat die Trump-Regierung in der Handelspolitik zudem schon immer einer „Kontrollillusion“ unterlegen. Sie ist ganz offensichtlich überzeugt, die Handelssituation aufgrund der schieren Größe und des Einflusses der USA kontrollieren zu können. Diese Überzeugung ist ein wichtiger Grund dafür, dass die US-Regierung bilaterale Handelsabkommen vorangetrieben hat.

Die Realität sieht aber ganz anders aus: Tatsächlich kann niemand die Handelssituation kontrollieren. Der globale Freihandel ist ein filigranes, nahezu fragiles Geflecht wechselseitiger Beziehungen zwischen vielen verschiedenen Volkswirtschaften. Nach gängiger Meinung sind Zölle schlecht für die Wirtschaft, genauso wie Weiße Haie nicht dressiert werden können. Die protektionistischen Handlungen eines Landes können eine Kettenreaktion anstoßen, die das gesamte Ökosystem des Freihandels durcheinanderbringt. Und genau das ist derzeit zu beobachten. Der neue wirtschaftliche Nationalismus der USA hat zu noch mehr wirtschaftlichem Nationalismus geführt. Beispielsweise befinden sich Südkorea und Japan bereits mitten in einem handfesten Handelskonflikt, der sich weiter verschärft. Im zurückliegenden Monat sind die Verkäufe japanischer Autos in Südkorea dramatisch eingebrochen, da die Südkoreaner japanische Produkte boykottiert haben, nachdem die japanische Regierung Südkorea von ihrer Liste bevorzugter Handelspartner gestrichen hat. (CNBC, „Sales of Japanese cars in South Korea slump amid growing diplomatic tensions“, 5. Aug. 2019)

Noch besorgniserregender ist allerdings das mögliche Übergreifen der Handelskonflikte auf die Außenpolitik. So macht es der eskalierende Handelsstreit mit den USA weniger wahrscheinlich, dass China die USA bei der nuklearen Entwaffnung Nordkoreas unterstützen wird. Generell kann aus einem wirtschaftlichen Nationalismus schnell ein allgemeiner Nationalismus werden. Das lässt sich bereits heute in vielen Teilen der Welt beobachten, aktuell vor allem in Großbritannien und Italien.

Dass die Märkte auf die Eskalation der Handelskonflikte genauso reagieren, wie Schauspieler und Filmcrew reagieren würden, wenn sie mit einem „dressierten“ Weißen Hai arbeiten müssten, ist nicht verwunderlich.

Die Rolle der Zentralbanken

Während die Weltwirtschaft an Dynamik verliert, gibt es aber auch eine gute Nachricht: Die Zentralbanken werden aktiv. Allein in der vergangenen Woche haben gleich mehrere Banken, darunter die indische Zentralbank, die Leitzinsen gesenkt. Obwohl die Nervosität an den Märkten aktuell groß ist, glaube ich daher, dass die Geldpolitik vor dem Hintergrund der rückläufigen globalen Wachstumsdynamik helfen wird, die Risikoanlagemärkte zu stützen. Das meiner Ansicht nach größte Risiko bleibt der Handel — allerdings vor allem für die Wirtschaft und weniger für die Märkte, die von der akkommodierenderen Geldpolitik der Zentralbanken profitieren sollten.

So halte ich auch ein Szenario für denkbar, in dem die Wirtschaft an Fahrt verliert, Aktien und andere Risikoanlagen aber relativ gut laufen. Investoren mit einem längerfristigen Anlagehorizont sollten sich in diesem Umfeld nicht verunsichern lassen und mit diversifizierten Anlagen am Markt bleiben.

Kristina Hooper, Chief Global Market Strategist, Invesco

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